Zum Ende von Radio Free Europe/Radio Liberty: Ungarn verliert wichtiges Medium

Seitdem die USA die Finanzierung der Sender Radio Free Europe/Radio Liberty eingestellt haben, verliert Ungarn einen wichtigen Teil der Medienlandschaft. Viktor Orbán freut es. Die Pressevielfalt ist aber auch in anderen Ländern gefährdet


Viktor Orbán bei den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 15. März. Den unabhängigen und regimekritischen Medien hat er den Krieg erklärt

Foto: picture alliance / Anadolu | Stringer


Am 15. März 2025 erreichte uns die Nachricht, dass die Trump-Administration die Finanzierung der Auslandssender Radio Free Europe/Radio Liberty sowie von Voice of America und Radio Free Asia einstellt. Der ungarische Nachrichtendienst von Free Europe wurde während Trumps erster Amtszeit im Herbst 2020 mit parteiübergreifender Unterstützung von Republikanern und Demokraten aus dem Kongress neu gestartet und entwickelte sich in den letzten fünf Jahren zu einem wertvollen und wichtigen Teil der ungarischen Medienlandschaft.

Die Entlassungen bei Free Europein Budapest begannen schon kurz nachdem Elon Musk ankündigte, den Geldhahn von Free Europe und Voice of America zudrehen zu wollen. Dies ist nicht das erste Medium, das in den vergangenen Jahren in Ungarn eingestellt wurde. Unter der Regierung Orbán kam es zu einigen Schließungen renommierter Medienhäuser.

ImJuli und November 2011 bekommen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (MTV) und Rundfunk, so wie bei der Ungarischen Nachrichtenagentur (MTI) rund 600 erfahrene und angesehene Reporter, Journalisten und Moderatoren den Laufpass.

Ab Oktober 2014 übernimmt der Orbán-nahe Dániel Papp die Verantwortung der gesamten Nachrichtenabteilung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Drei Jahre zuvor wurde er von den öffentlich-rechtlichen Medien noch entlassen. Ihm wurden fehlerhafte Berichterstattung und das Fälschen von Reportagen vorgeworfen.

Anfang Oktober 2016 wird die auflagenstärkste Tageszeitung Népszabadság an das regierungsnahe Medienunternehmen Mediaworks verkauft. Am 8. Oktober wird die Zeitung unter teils zynischen, hinterlistigen und ausgedachten Vorwänden eingestellt. Die Mitarbeiter wurden zunächst vor dem Wochenende aufgefordert, ihre persönlichen Sachen mit nach Hause zu nehmen, da der Verlag umzöge. Ebenso sollte die gesamte Firmenausrüstung beschriftet im Büro hinterlassen werden. Einen Tag später, am Samstag um 8.40 Uhr morgens, fielen die Büroserver aus. Die Webseite der Zeitung war von da an nie wieder abrufbar.

Das beliebteste unabhängige Onlineportal Index war über zehn Jahre den Machtspielchen von Wirtschaftsakteuren mit politischem Einfluss ausgesetzt. Das führte dazu, dass im Juli 2020 das neue Management den damaligen Chefredakteur Szabolcs Dull entließ. Daraufhin kündigten 80 Mitarbeiter, weil keine Garantie bestand, dass das Onlineportal seine Unabhängigkeit bewahren könne.

Der Verlust von Free Europe ist nicht nur für Ungarn problematisch

All diese Ereignisse sind Grabkreuze im Friedhof der ungarischen Pressefreiheit. Ausgenommen des Eingangsbeispiels wurden alle direkt von der ungarischen Regierung initiiert. Da Free Europe allerdings bei der Entlarvung von Korruptionsfällen in der Regierung eine tragende Rolle spielte, ist die Freude der Regierung über dessen Schließung groß. Hier mussten sich Journalisten nämlich nicht der Selbstzensur unterwerfen, weil deren Gehalt nicht vom Medienimperium der Regierung abhing.

Für die Leserinnen und Leser des Landes verschwindet ein weiteres unabhängiges und freies Medium, das nicht auf Geheiß und Gusto der Orbán-Regierung Nachrichten produziert.

Die meisten Ungarn, vor allem auf dem Lande, werden vom Staatsfernsehen informiert, sie hören Staatsradio, und sie können nicht viel anderes tun, selbst wenn sie wollten. Die Rundfunkkanäle wurden neu zugeteilt, als Orban an die Macht kam. Free Europe mit seinem weltweiten Korrespondentennetz gewährleistete Pluralismus im ungarischen Fake-News- und Propaganda-Dschungel und diente als eine zuverlässige Nachrichtenquelle. Mit seiner Schließung wird eine wichtige Bastion zerschlagen. Der größte Verlust ist aber nicht in Ungarn zu beklagen, sondern in Russland, Belarus, Afghanistan und Georgien, wo der Sender die einzige unabhängige Nachrichtenquelle gewesen ist und Journalisten tagtäglich physisch bedroht und inhaftiert werden.

Viktor Orbán schimpft über „Wanzen“ und „Schattenarmeen“, die er liquidieren will

Die Lage in Ungarn ist zwar prekär, aber von den Zuständen in eben genannten Ländern noch entfernt. Es gibt noch einige winzige Inseln für die freie Presse, auch wenn sie primär online stattfinden (müssen) und auf Abonnements von HörerInnen und auf Mittel aus dem Ausland angewiesen sind. Die Frage lautet: Wie lange halten sie noch durch?

Viktor Orbán hielt nämlich am 15. März, dem Nationalfeiertag, der nebenbei auch der Feiertag der Pressefreiheit in Ungarn ist, eine Rede, in der er folgendes seinem Publikum mitteilte: „Nach dem heutigen Feiertag kommt der Osterputz. Die Wanzen haben überwintert. Wir liquidieren die Finanzmaschine, die in Ungarn Politiker, Richter, Journalisten, Schein-NGOs und politische Aktivisten mit korrupten Dollars gekauft hat. Wir werden diese gesamte Schattenarmee liquidieren.“

Wer hat überhaupt noch in Ungarn Kraft und Motivation, als Journalist tätig zu sein, zumal man ständig eingeschüchtert und der eigenen Arbeit tagtäglich der Stempel der Agententätigkeit und des Heimatsverrats aufgedrückt wird? Und wer hat noch Lust und Motivation in diesem Land zu leben?

Die Antwort derjenigen, die noch geblieben sind, kam bisher aus dem ungarischen Kultfilm Die Zeit bleibt stehen des Regisseurs Péter Gothár aus dem Jahr 1982, der die Perspektivlosigkeit des Landes nach der niedergeschlagenen Revolution von 1956 beschreibt: „Gut, dann werden wir halt hier leben!“, heißt es hier. Mit einem trotzigen Ausrufezeichen in der Intonation.

Ich nehme es aber so wahr, dass dieses Ausrufezeichen langsam zu einem leisen angstvollen Fragezeichen wird …