Zohran Mamdani gewinnt: „Z. Hd. die, deren Handflächen verhornt sind vom Lieferrad“
Der frisch gewählte Bürgermeister kommt unter den Jubelrufen kaum zu Wort. Als Zohran Mamdani in der Nacht zum Mittwoch im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf die Bühne tritt, ist die Begeisterung in der Halle spürbar. „Wir atmen die Luft in einer wiedergeborenen Stadt“, ruft er seinen Unterstützern zu, die monatelang begeistert von der Energie seiner Kampagne an Türen geklopft und Flyer verteilt haben. Nun ist es geschafft. Zohran Mamdani, 34 Jahre alt und erklärter „Demokratischer Sozialist“, ist neuer Bürgermeister von New York. Etwas mehr als 50 Prozent der Wähler gaben ihm ihre Stimme.
Ein Zitat aus Zohran Mamdanis Rede am Wahlabend führt angesichts der Massenabschiebungen durch Trumps ICE-Soldaten besonders zu Gänsehaut: „New York bleibt eine Stadt der Migranten, eine Stadt, gebaut von Migranten, getragen von Migranten – und ab heute Nacht: angeführt von einem Migranten.“
Mamdani punktete nicht nur in den linksliberalen Hipster-Enklaven in Brooklyn und Manhattan, sondern auch in den Teilen von Queens und der Bronx, in denen jene Arbeiter wohnen, die den Big Apple mit Malocherarbeit am Leben halten. Menschen, „deren Finger angeschwollen sind vom schweren Heben im Lagerhaus, Handflächen verhornt vom Lenker des Lieferfahrrads“, wie Mamdani bei seiner Rede sagt. Ihnen widmet er seinen Wahlsieg. Sein Erfolg ist wegweisend für die gesamte linke Politik in den USA und die Zukunft der Demokraten.
Seit Jahren muss die politische Linke in den USA eine Niederlage nach der anderen verkraften. Nun zieht ein Politiker ins Gracie Mansion, den Amtssitz des New Yorker Bürgermeisters, ein, der ungeniert für die Menschen in New York Politik macht, die sich das Leben im überteuerten Big Apple kaum noch leisten können.
Mamdani gewinnt gegen die Superreichen
Dabei hatte alles recht unspektakulär angefangen. Als der Abgeordnete der New York State Assembly, eine Art Landtagsabgeordneter, vor knapp einem Jahr seine Bürgermeister-Kandidatur ankündigte, rechneten ihm Umfragen kaum Chancen zu. Noch im Februar wollten laut dem renommierten Umfrageinstitut des Emerson College nur knapp ein Prozent der Wähler dem in Uganda geborenen Sohn indischstämmiger Einwanderer in den Vorwahlen der Demokraten ihre Stimme geben. Seinem Konkurrenten, dem politischen Schwergewicht Andrew Cuomo, schien den Prognosen zufolge mit 33 Prozent ein Erdrutschsieg zu winken. Schließlich war Cuomo einst Gouverneur von New York und stammt aus einer Politiker-Dynastie.
Doch Mamdani räumte das Feld auf – mit klassisch sozialdemokratischer Politik. Seine Kernforderungen: Kostenlose Busse, eine Mietpreisbremse für knapp die Hälfte aller New Yorker Wohnungen und kostenlose Kinderbetreuung. Maßnahmen, die das Leben in der Metropole am East River leistbarer machen sollen. Das ist dringend nötig. Laut dem führenden US-amerikanischen Immobilienmarktplatz Zillow beträgt die Durchschnittsmiete im Big Apple 3.596 Dollar im Monat, die Tagesbetreuung für Kleinkinder kostet knapp 1.500 Dollar im Monat. Die Lebenshaltungskosten sind für Normalverdiener kaum noch leistbar – Mamdani hat das erkannt.
Doch während der smarte Politik-Newcomer die New Yorker mit seinem bürgernahen Wahlkampf (im Juni lief er an einem Abend den gesamten Stadtteil Manhattan ab) begeisterte, stieß seine Kandidatur bei vielen New Yorker Milliardären auf wenig Gegenliebe. Der Gegenwind ist reich. Mehr als 22 Millionen Dollar stellten Superreiche für Anti-Mamdani-Kampagnen zur Verfügung. Unter den Geldgebern sind der Medienunternehmer und ehemalige Bürgermeister der Stadt, Michael Bloomberg – und der Investor Bill Ackman, der seit Monaten täglich in den sozialen Medien gegen den 34-Jährigen wettert.
Dass Ackman Mamdani zu seinem Lieblingsgegner auserkoren hat, liegt nicht nur an dessen Forderung nach einer moderaten Steuererhöhung für Einkommensmillionäre, sondern auch an dessen Haltung zum Gaza-Krieg. Ackman verteidigt die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen. Mamdani bezeichnet den Militäreinsatz dagegen als Genozid – das Thema Israel dominierte den Wahlkampf – mehr, als man bei einer Bürgermeisterwahl erwarten würde.
Vor allem Cuomo versuchte, sich selbst als Pro-Israel-Kandidat zu inszenieren und spielte mit rassistischen Vorurteilen zu Mamdanis muslimischem Glauben. In einem Radiointerview insinuierte der Ex-Gouverneur, sein Widersacher würde sich über einen weiteren Terroranschlag wie am 11. September 2001 freuen. Bei vielen jüdischen Wählern verfing die Kampagne offenbar. Gerade in den Vierteln, in denen viele orthodoxe Juden wohnen, die sonst eher die Demokraten wählen, konnte Cuomo punkten. In seiner Siegesrede sagte Mamdani, er stehe „unverrückbar an der Seite jüdischer New Yorker“ und „wanke nicht im Kampf gegen die Geißel des Antisemitismus“.
New York Post hetzte täglich gegen den Sozialisten
Die New Yorker Boulevardpresse fuhr monatelang eine massive Kampagne gegen den Überraschungsfavoriten auf. Die New York Post veröffentlichte täglich mehrere Anti-Mamdani-Kommentare auf ihrer Webseite und berichtete süffisant über irrelevante vermeintliche Ausrutscher – etwa, dass der Bürgermeister-Kandidat bei einem Interview ein Lied des bekannten New Yorker Sängers Billy Joel nicht erkannt hatte. Führende Politiker der Demokratischen Partei weigerten sich lange, Mamdani zu unterstützen – oder distanzierten sich sogar von ihm.
Reiche Geldgeber, das Parteiestablishment der Demokraten, große Medienhäuser – alle Akteure, die seit Jahrzehnten die amerikanische Politik dominieren, haben entweder aktiv die Bürgermeister-Kampagne von Zohran Mamdani bekämpft oder zumindest nicht unterstützt. Und dennoch hat er gewonnen. Wie ist das möglich?
Die Antwort: Mamdani hat nicht trotz, sondern wegen der Widerstände gegen seine Kandidatur den politischen Überraschungssieg des Jahres eingefahren – weil er die Interessen der Basis vertritt, die die Demokraten seit Jahren ignorieren.
Mamdani hat Linkssein wieder cool gemacht
Nach zwei Wahlniederlagen gegen Donald Trump wenden sich immer mehr Wähler vom Establishment der Demokraten ab. Die enttäuschenden Präsidentschaften von Barack Obama und Joe Biden sowie die Rohrkrepierer-Kampagne der politisch orientierungslosen Kamala Harris haben die Wähler von ihrer Partei entfremdet. Trotz der zunehmend autoritären Amtsausübung des Präsidenten steigen die Beliebtheitswerte der Demokraten kaum. Seit Jahren orientiert die Partei ihre Politik mehr an den Interessen reicher Großspender (die wenig Interesse an weitreichenden Umverteilungsmaßnahmen haben) und wirbt mit Anti-Trump-Theatralik, statt sich um die Interessen ihrer Wähler zu kümmern, die nicht nur in New York ums finanzielle Überleben kämpfen.
Mamdani hat das erkannt und seinen Wahlkampf radikal auf die materiellen Bedürfnisse seiner Wähler ausgerichtet. Während die Demokraten im Kongress ständig Äußerungen des Präsidenten kommentieren, antwortete er auf eine abschätzige Bemerkung Trumps über ihn vor einigen Tagen nur: „Mein Fokus liegt auf den Lebenshaltungskosten“. Während sein Gegner Andrew Cuomo Negativ-Wahlwerbung und Warnungen vor „Sozialismus“ setzte, organisierte Mamdani eine Graswurzel-Kampagne, getragen von Tausenden New Yorkern.
Trotz der desolaten Zustände im Land, präsentiert Mamdani sich nicht als Zyniker, sondern als fröhlicher Populist, der mit breitem Grinsen und einer optimistischen Botschaft nachts in Schwulenbars Karaoke singt, Taxifahrer am LaGuardia-Flughafen besucht und mit Basketball-Fans auf den billigsten Sitzplätzen im Madison Square Garden Spiele der New York Knicks verfolgt – kurz: Mamdani hat links sein wieder cool gemacht.
Kleiner Blick in die Zukunft: Linke Kandidaten bei den Zwischenwahlen 2026
Sein Wahlsieg dürfte Auswirkungen haben, die weit über die Grenzen der Metropole am East River hinausgehen. Der politische Neuling hat bewiesen, dass man gegen das Establishment der eigenen Partei und gegen die Lobbyinteressen Wähler von populistischer linker Politik überzeugen kann – und diese Erkenntnis könnte die Machtverhältnisse bei den Demokraten durcheinanderwirbeln.
Ein kleiner Ausblick noch: Für die Zwischenwahlen im kommenden Jahr trauen sich in einigen Wahlbezirken bereits dezidiert linke Kandidaten hervor, die gegen die Platzhirsche aus der eigenen Partei aufbegehren. In Maine etwa bewirbt sich der Marine-Veteran und Austernzüchter Graham Platner um die Nominierung seiner Partei – und hat die „Oligarchen“ und „Milliardäre, die sie bezahlen“ zum Gegner auserkoren. Sein Gegner ist die 77-jährige (sic!) Janet Mills, scheidende und unbeliebte Gouverneurin des Bundesstaats im Nordosten der USA, die unter anderem ein Gesetz blockierte, das Erntehelfern ermöglichen sollte, einer Gewerkschaft beizutreten.
Die amerikanische Linke, die nach den erfolglosen Präsidentschaftskandidaturen von Bernie Sanders und der Rechtsverschiebung der US-Politik unter Donald Trump lange als marginalisiert galt, erlebt eine Renaissance – dank Zohran Mamdani.
Ins Weiße Haus wird der charismatische Jungpolitiker aber vermutlich nie einziehen. Da er nicht in den USA geboren wurde, darf er nicht als Präsident kandidieren.