Zinsen: Warum steigende Zinskosten für die Bundesregierung kein Problem sind

Bundesfinanzminister Christian Lindner warnt eindringlich,
dass der Anstieg der Zinskosten des Staates den finanziellen Spielraum der Bundesregierung
stark einenge
. Er rechtfertigt damit seine Forderung, die Staatsausgaben zu
beschränken. Ist der Anstieg der Zinskosten wirklich problematisch? Und wie
sollte die Bundesregierung mit der gegenwärtigen Finanzsituation umgehen?

Der Bundesfinanzminister weist zu Recht auf den starken
Anstieg der Zinskosten hin. Betrugen diese im vergangenen Jahr noch weniger als
20 Milliarden Euro, so werden sie dieses Jahr bereits mit fast 40
Milliarden Euro im Bundeshaushalt veranschlagt – das ist knapp ein Prozent der
gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Drei Argumente, die das Bild verändern, werden aber in der Diskussion häufig unter den Teppich gekehrt. Zum einen
sind die Zinskosten des Staates historisch gesehen ungewöhnlich gering, obwohl
die Schuldenquote, also die Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung,
heute mit knapp 65 Prozent weiterhin vergleichsweise hoch ist. Auf 65 Prozent
Verschuldung zahlt der Staat also nur knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung
an Zinsen. Selten war die Zinsbelastung relativ zur Wirtschaftsleistung – und
auch relativ zu den Steuereinnahmen, was die relevantere Betrachtung bezüglich
der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen ist – so gering wie heute. Selbst in den Sechziger- und Siebzigerjahren musste der Staat deutlich mehr seiner Steuereinnahmen
für das Bedienen seiner Schulden entrichten. Außergewöhnlich waren vielmehr die
letzten Jahre, als die Nominalzinsen ungewöhnlich niedrig waren. Es gilt also
festzuhalten: Keine Panik, die gegenwärtige Finanzierung der Staatsschulden gibt
überhaupt keinen Anlass zur Sorge.

Zum zweiten dürfte sich dieses positive Bild auch in den
kommenden fünf bis zehn Jahren nicht grundlegend verändern. Denn der deutsche
Staat konnte sich bis 2021 selbst über einen Zeitraum von zehn Jahren noch zu
negativen Nominalzinsen verschulden. Eine zehnjährige Bundesanleihe, die 2020
zu negativen Nominalzinsen aufgenommen wurde, wird für den Staat bis zum Jahr
2030 keinerlei Zinsbelastung bedeuten, sondern frühestens dann, wenn die
Schulden neu finanziert werden müssen. In anderen Worten: Die lange Zeit der
negativen Zinsen wird sich noch viele Jahre positiv auf die Finanzierung der
deutschen Staatsschulden auswirken.

Nun merken vor allem ordoliberale Kritikerinnen und Kritiker gerne an,
dass niedrige Zinsen nicht garantiert sind, sondern sprunghaft steigen
können, so wie dies beispielsweise in den vergangenen zwölf Monaten passiert
ist. Dies ist möglich, jedoch langfristig äußerst unwahrscheinlich. Die
Entwicklungen von Demografie, Ersparnissen und Wirtschaftswachstum deuten allesamt
darauf hin, dass der neutrale Realzins in Deutschland und Europa auch in den
kommenden zehn Jahren nahe null liegen dürfte. Bei einer Inflation von 2,5 Prozent
bedeutet dies einen nominalen Zinssatz von um die 2,5 Prozent für eine
zehnjährige deutsche Staatsanleihe, also keinen grundlegend anderen nominalen Zins
als heute. Das sieht selbst das Bundesfinanzministerium so, das 30 Milliarden
Euro an Zinskosten für 2026 prognostiziert.

Es kommt auf die Steuereinnahmen an

Das dritte und wichtigste Argument ist aber ein anderes: Die Zinskosten können
nicht isoliert von den Steuereinnahmen betrachtet werden. Wieso sind die
Zinskosten für den deutschen Staat denn so stark gestiegen? Die Antwort ist:
Weil die EZB wegen des starken Anstiegs der Inflation die Leitzinsen massiv
erhöht hat. Die Inflation bedeutet jedoch nicht nur höhere nominale Finanzierungskosten
von Schulden, sondern auch einen deutlichen Anstieg der Steuereinnahmen auf
Einkommen und auch den Konsum. Die relevante Kennzahl für die
Finanzierungsbedingungen des Staates ist daher der Realzins – und der war nie
in den letzten 50 Jahren so stark negativ wie heute, bei einer Inflation von knapp
acht Prozent im Jahr 2022, voraussichtlich mehr als fünf Prozent im Jahr 2023
und nominalen Zinsen von weniger als drei Prozent.

In anderen Worten: Schuldner und niemand mehr als der Staat
sind die großen Gewinner der Inflation – weil die Inflation einerseits den
realen Wert der bestehenden Verschuldung deutlich reduziert und andererseits
die Steuereinnahmen des Staates deutlich verbessert und damit die Finanzierung
laufender Ausgaben deutlich erleichtert. Daher ist die ausgedrückte Sorge des
Bundesfinanzministers über eine steigende Zinslast eben nur eine Seite, und
zwar die unwichtigere Seite der Medaille.

Der Bundesfinanzminister weiß dies und hat im vergangenen
Jahr völlig zu Recht moniert, der Staat dürfe nicht Gewinner der Inflation sein
und er solle die höheren Steuereinnahmen an die Bürger*innen zurückgeben. Damit
rechtfertigte er sein Inflationsausgleichsgesetz, durch das vor allem Menschen
mit hohen und mittleren Einkommen dauerhaft jedes Jahr um mehr als zehn
Milliarden Euro entlastet werden.

Wenn es dem Bundesfinanzminister so wichtig ist, nicht
Gewinner der Inflation zu sein und die Steuermehreinnahmen zurückzugeben, wieso
tut er dies dann nicht für alle gleichermaßen und ausgewogen? Er könnte
beispielsweise Menschen mit geringen Einkommen die Gelder über eine Absenkung
der Mehrwertsteuer
auf nachhaltige Lebensmittel zurückgeben. Und er könnte mit
seiner Zustimmung zur Kindergrundsicherung einen Teil der höheren
Steuereinnahmen nutzen, um die Kinderarmut deutlich zu reduzieren und
gleichzeitig den Sozialstaat langfristig finanziell sinnvoll zu entlasten und
die Wirtschaft zu stärken. Stattdessen äußert er bisher Kritik an der
Kindergrundsicherung und schlägt lieber eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags
auch für die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher*innen vor, was mit über
zehn Milliarden Euro jährlich genauso viel zusätzlich kosten würde wie die
Kindergrundsicherung.

Der Anstieg der Zinslast des deutschen Staates ist kein Grund
zur Sorge, sondern er ist das Spiegelbild der hohen Inflation und der noch
stärker steigenden Steuereinnahmen. Daher sollte die Bundesregierung ihr
Versprechen ernst nehmen und diese höheren Einnahmen an die Menschen
zurückgeben. Die Bundesregierung würde klug handeln, wenn sie dies nicht primär
– wie bisher – für Menschen mit hohen Einkommen und für Unternehmen tun würde,
sondern Menschen mit mittleren und geringen Einkommen stärker entlasten würde.
Die Kindergrundsicherung wäre das perfekte Instrument dafür. Es bleibt zu
hoffen, dass der Bundesfinanzminister bald zu dieser Einsicht kommt.