„Young Mungo“ von Douglas Stuart: Discokugeln und reifes Obst

Vor drei Jahren erschien Shuggie Bain, das Debüt des Schotten Douglas Stuart. Es war die Geschichte über einen empfindsamen Jungen in der Betonwirklichkeit eines Glasgower Arbeitslosenviertels in den Achtzigern. Stuart hatte einen etwas märchenhaft enthobenen Roman geschrieben, der verhärmte Brutalität und Rührseligkeit paarte. Stuart, zuvor Modedesigner, erhielt im selben Jahr den Booker Prize und stieg zum international gefeierten Schriftsteller auf.

Nun erscheint sein Folgeroman Young Mungo. Wieder ist der Handlungsort Glasgow, nun spielt alles in den frühen Neunzigern, nachdem Margaret Thatchers Neoliberalismus die Stahlarbeiter arbeitslos machte, danach alle anderen. Und erneut ist es die Welt abwesender Väter und kaputter Zähne, wo man Weißbrot mit Margarine und Zucker isst und eine wärmelose Sonne auf Sozialbauten herabscheint, die als „gebrochene Versprechen“ in der Stadt stehen; davor die Männer mit dem Starkbier und die Frauen mit Laufmaschen. Protestanten verprügeln Katholiken, Katholiken die Protestanten. Wer schwach ist, ist eine „Schwuchtel“.

Der 15-jährige Mungo Hamilton lebt hier: Sohn einer saufenden, lieblosen Mutter, sein älterer Bruder ein stadtbekannter Schläger, die ältere Schwester eine hochbegabte Schülerin. Mungo hat, ähnlich wie Stuarts Shuggie, eine treue Mutterliebe, obwohl es dafür kaum Gründe gibt. Und er verliebt sich in seinen Nachbarn James, einen Jungen mit Segelohren, einer Faszination für Tauben und einem strengen Vater. Man muss nun nicht verraten, wie das endet, man ahnt es ja sofort.

Die Motivlage des Romans ist geradezu eine Kopie seines Vorgängers: Es geht um Kaltherzigkeit, Einsamkeit, Homophobie, Vergewaltigung, Schlägereien, männliche Deprivation und in all dem Grau noch ein Existenzminimum an Hoffnung.

Young Mungo ist nur kein wirklich guter Roman, gleichviel für wie aktuell oder berührend man seine Themen auch halten kann. Seine dramaturgische Gewöhnlichkeit, das offenbar fehlende formale Interesse seines Autors ist das noch geringere Problem, es ist eben in dieser Hinsicht ein recht konventioneller Jugendroman. Doch bereits Shuggie Bain hatte den fatalen Willen, aus kargsten Glasgower Verhältnissen sprachlich scheinschöne Erlesenheit herauszupressen, damit alles ein wenig mehr nach „echter, großer“ Literatur schmeckte. In Young Mungo treibt Stuart das nun so weit, dass man, einmal auf die Fährte gebracht, notgedrungen zum spitzfindigsten Leser wird. Etliche Beschreibungsbanalitäten werden mit schiefen Metaphern, mit regelrechten Poesieattrappen versehen. Glasscherben, die es im rauen Glasgow natürlich überall gibt, „glitzerten wie die Discokugel beim Schulball“. Die Liebe von Stuarts Held zur Mutter liegt in der Wohnung herum „wie überreifes Obst, das keiner einsammelte“, obwohl es ja nur wichtig wäre, dass seine Mutter es täte. Verläuft ein Pfad hinterm Haus, „windet“ er sich „durch Gras wie eine glitschige Zunge“, nur dass Zungen sich recht selten winden, möglicherweise die eines Warans, doch die ist wiederum, soweit man weiß, nicht sehr glitschig. Wallt Eifersucht in Mungo auf, spürt er, „wie sie in seinem Brustkorb herumkullerte wie eine Murmel“, also offenbar ein Gefühl, das klonk-klonk macht, bitte nicht verwechseln mit dem Geräusch von Marschflöten, die hier „tirilieren“, und zwar „wie zwitschernde Vögel“, weil man sonst an zwitschernde, also tirilierende Wasserbüffel denken könnte, das Tierreich ist in dieser Hinsicht bekanntlich divers. So geht das 416 Seiten lang. Mungos Haut ist „so sahnig, dass man am liebsten den Löffel hineingesteckt hätte“, und diese Groschenheftprosa kommt zu ihrem Höhepunkt, als Mungo und James sich erstmals nackt sehen und die Körper „erkundet“ werden: „James’ Haut war weitläufiger und aufregender als jede andere Landschaft, die Mungo kannte“.

Nun ist die Weitläufigkeit von Haut, auch zur Freude der Dermatologie, generell begrenzt; und nichts gegen die Ekstase junger Liebe, aber welche Landschaftsvergleichsgrößen kann Mungo denn haben, wenn Stuart seine Leser zu verschiedenen Gelegenheiten in erschöpfender Redundanz informiert, dass sein Held „in seinen fünfzehn Jahren auch nichts von der Welt gesehen hatte, außer den paar Straßen mit den Mietshäusern“, und „das Meer noch nie bei Tageslicht“. Der Roman gerät nicht nur hier in die Nähe des sentimentalen Snobismus von Elendstouristen.

Möglich, dass ein Lektorat der Eile nicht hinterherfegen konnte, mit der ein plötzlich zu Ruhm gekommener Autor, wie man heute so sagt, „dringend nachlegen“ wollte. Vielleicht aber ist Douglas Stuart gar nicht der übergeniale Schriftsteller, als den ihn die erneut begeisterte englischsprachige Literaturkritik sieht, die teilweise von Young Mungo schwärmt, als sei ihr der Geist von Charles Dickens noch mal persönlich erschienen. Dem lässt sich, bei aller Höflichkeit, wirklich nicht zustimmen.

Douglas Stuart: Young Mungo. Roman; aus dem Englischen von Sophie Zeitz; Hanser Berlin, Berlin 2023;  416 S., 26,– €, als E-Book 19,99 €