„Wohnungsbau in Schockstarre“ – Deutschland stellt das Bauen ein

Vor gut einem Jahr begann die Baukrise. Als wegen hoher Zinsen und Preise viele Häuslebauer ihre Pläne für ein Eigenheim aufgaben, gingen die Genehmigungszahlen für Ein- und Zweifamilienhäuser zurück. Jetzt schlägt die Baukrise in ganzer Breite zu.

Im Januar wurden insgesamt nur 21.000 neue Wohnungen bundesweit genehmigt, meldet das Statistische Bundesamt am Freitag. Gegenüber Januar 2022 war das ein Rückgang um 26 Prozent. Bereits im vergangenen Jahr waren die Baugenehmigungen auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen. Mit dem weiteren Rückgang sacken sie jetzt auf einen Wert, den es zuletzt im Februar 2015 gegeben hat.

Bei Ein- und Zweifamilienhäusern herrscht inzwischen ein regelrechter Baustopp: Für Einfamilienhäuser gab es 25,5 Prozent weniger Genehmigungen, bei Zweifamilienhäusern fällt das Minus mit 48,4 wesentlich höher aus.

Quelle: Infografik WELT

Das lässt darauf schließen, dass sogenannte Schwellenhaushalte, die beim Eigenheimkauf besonders knapp kalkulieren und keine höheren Monatsraten aus Zins und Tilgung stemmen können, von ihren Bauvorhaben ablassen. Solche Schwellenhaushalte entscheiden sich eher für eine neue Doppelhaushälfte als für ein frei stehendes Haus.

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Im vergangenen Jahr hatten die Statistiker aus Wiesbaden zudem häufig auf einen Sondereffekt hingewiesen: Im Vorjahr 2021 hatte es besonders viele Baugenehmigungen für neue Ein- und Zweifamilienhäuser gegeben, da es einen Vorzieheffekt durch das Baukindergeld gegeben habe: Viele Haushalte hätten die Förderung vom Staat noch nutzen wollen, die Ende 2021 auslief.

Diese Erklärung kann nun nicht mehr herangezogen werden, da der Jahr-zu-Jahr-Vergleich in der Statistik vollständig in eine Zeit ohne Baukindergeld fällt. Der Sondereffekt ist verschwunden, und aus dem statistischen Ausnahmezustand wird ein dauerhaftes Bau-Tief.

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In der Bau- und Immobilienwirtschaft wächst die Panik, und Ökonomen warnen vor einer neuen Mietpreiswelle, sollte die Knappheit in größeren Städten zunehmen. Denn auch darauf deutet einiges hin: Bei Mehrfamilienhäusern, in denen typischerweise neue Mietwohnungen entstehen, gab es erstmals einen deutlich zweistelligen Rückgang mit minus 28,6 Prozent. In dieser Kategorie hatte es noch bis Ende 2022 nur leichte Genehmigungs-Rückgänge gegeben.

Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB), Felix Pakleppa, warnte vor einer „handfesten Wohnungsmarktkrise“. Tatsächlich zeigen Daten des Onlineportals Immowelt (gehört wie WELT zu Axel Springer), dass gerade in den vergangenen Monaten die Mieten wieder stärker gestiegen sind: In Bremen, Dresden, Hannover und München etwa stiegen die Angebotsmieten für eine Durchschnittswohnung von November bis Februar um vier Prozent.

Für einen Zeitraum von drei Monaten ist das außergewöhnlich. In Berlin betrug der Preissprung sogar 27 Prozent – wobei die Experten noch rätseln, wie es zu einem so extremen Sprung gekommen sein könnte. In München stieg der Mietspiegel binnen zwei Jahren um 21 Prozent.

Vonovia bestätigt die Flaute am Bau

„Der Wohnungsbau ist in einer Schockstarre“, befindet der ZDB. „Wir sehen mehr und mehr die Ergebnisse einer rigoros zusammengestrichenen Förderpolitik im Neubau.“ Hinzu kämen die immensen Zinsbelastungen für Wohnungsbaukredite.

Auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) bemängelt die fehlende Förderung – und sieht eine weitere Gefahr, neben steigenden Mieten: „Die Wohnungsbauunternehmen geraten mittelfristig in eine immer schwierigere Situation“, so HDB-Chef Tim Oliver.

„Dabei sollte es doch das Ziel sein, Kapazitäten zu halten, um den dringenden Bedarf auch künftig wieder decken zu können.“ Sprich: Gerade erst stellten die Unternehmen wieder mehr Leute ein und bildeten Nachwuchs aus. Doch kommt jetzt eine jahrelange Bauflaute, erweise sich das als Fehler. Laut HDB reicht der Auftragsbestand im Durchschnitt noch bis zur Jahresmitte 2023.

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Bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für das Jahr 2023 beschäftigte sich der Vorstandschef des Wohnungskonzerns Vonovia, Rolf Buch, ebenfalls mit der Bauflaute. „Wir brauchen ein jährliches Investitionsvolumen von 100 Milliarden Euro im Wohnungsneubau“, sagte er. Das sei die Größenordnung, die nötig sei, um den Bedarf zu decken, der wegen anhaltend hoher Flüchtlingszahlen dramatisch gestiegen sei.

Anders als manche Branchenkollegen in der Immobilienwirtschaft zeigte sich Buch jedoch skeptisch, ob allein höhere staatliche Subventionen helfen würden. „Das ist zu kurz gegriffen“, sagte der Dax-Vorstand.

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„Sicherlich braucht es sinnvolle Förderprogramme und Abschreibungsmöglichkeiten, die zu den technischen Anforderungen passen.“ Aber aktuell gebe es einen Mix aus mehreren Problemfeldern: „hohe Zinsen, hohe Baukosten, viel Regulierung und eben unzureichende Förderung“.

Die Bundesregierung habe das Problem noch nicht erkannt, sagte Buch, nahm das Bauministerium aber ausdrücklich aus: „Zu begrüßen ist aus meiner Sicht, dass die Bundesbauministerin an einer Vereinfachung von Bauvorschriften und Beschleunigung von Verfahren arbeitet.“

Europas größter Wohnungskonzern hat selbst alle neuen Bauvorhaben vorerst auf Eis gelegt. Lediglich bestehende Projekte würden noch abgearbeitet und in diesem Jahr noch rund 3700 Wohnungen fertiggestellt.

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Source: welt.de