Wie dem Staat mehr Geld für die Zukunft bleibt

Eigentlich sollte die neue U-Bahn-Linie 5 in Frankfurt schon längst fertig sein. Sie sollte eine schnelle Verbindung in die Stadt anbieten für die Bewohner und Bürogänger des Europaviertels, das gar nicht mehr so neu ist und in dem manche Häuser schon erste Risse zeigen. 2022 hätten die ersten Züge fahren sollen. Im Moment ist von Ende 2027 die Rede, doch selbst dieses Ziel rückt weiter und weiter in die Ferne. Am Geld fehlt es nicht. Aber es findet sich keine Firma, die an den neuen Gleisen und Haltestellen die Elektrikarbeiten erledigen will.

Ein paar Kilometer weiter sieht es ähnlich aus. Von Bad Homburg bis zum Flughafen soll bald eine neue Bahn fahren und dann noch weiter in den Süden. Schon 2005 wurde das Projekt beschlossen, seit wenigen Wochen wird endlich an der ganzen Strecke gebaut. Aber für die Telekommunikation an der Strecke ist nicht immer jemand zu bekommen, auch nicht für die Oberleitungen und die Leittechnik. „Die sind voll bis obenhin“, sagte der Planungschef der F.A.Z. im November. Obwohl nach dem Ampel-Streit ums Geld einige Sanierungspläne der Bahn auf die lange Bank geschoben wurden, hat Deutschland immer noch nicht genügend Leute, um alles zu erledigen, wofür Geld da ist.

Mehr Geld könnte gerade nicht ausgegeben werden

Es geht nicht nur bei den Schienen so. Das ist wichtig im Kopf zu behalten, wenn ständig jemand nach der Aufhebung der Schuldenbremse ruft, um mit neuen Krediten Investitionen auf den Weg zu bringen: Selbst jetzt noch, im zweiten Jahr der deutschen Rezession, könnte das Geld wahrscheinlich gar nicht ganz ausgegeben werden.

Deutschland braucht nicht nur Geld für Schienen, sondern auch für seine Verteidigung. Bevor das ausgegeben werden kann, stehen Verträge und Lieferfristen, vielleicht sind neue Munitions- und Rüstungsfabriken nötig. All das kommt nicht über Nacht.

Vielleicht braucht man das Geld also sowieso erst in einiger Zeit. Bis dahin können einige wirtschaftspolitische Reformen greifen, Wachstum und Steuereinnahmen steigen. Doch all die Leute müssen eingestellt werden, sie brauchen Schulungen und Werkzeug – und das riskieren Unternehmer nur dann, wenn sie einigermaßen Sicherheit haben, dass das Geld jahrelang dafür gut eingesetzt ist. Wenn sie also einigermaßen sicher erwarten können, dass die Aufträge auch in ein paar Jahren noch fließen. Der Glaube daran ist bei vielen in den vergangenen Jahren schwer erschüttert worden.

Ob unter der Schuldenbremse oder schon vorher, ob in Zeiten klammer Kassen oder sprudelnder Steuereinnahmen: In diesem Jahrhundert haben die öffentlichen Kassen der Bundesrepublik noch nie nennenswert investiert. So ergibt es sich aus einer Untersuchung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der meist kürzer „Wirtschaftsweise“ genannt wird. Wenn man von den Investitionen das abzieht, was auch wieder kaputtgeht, dann sind seit 2000 noch in keinem einzigen Jahr mehr als 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung investiert worden.

Wenn man breiter guckt, sieht es nicht besser aus. 7,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung steckt Deutschland in alle zukunftsorientierten Ausgaben, von der Verteidigung bis zur Bildung. Um auch nur den EU-Durchschnitt zu erreichen, müsste die Bundesrepublik knapp 50 Milliarden Euro mehr lockermachen. Wenn irgendwo neues Geld herkommt, dann haben Bundes- und Landesregierungen in den vergangenen Jahren allerdings eher die Sozialleistungen und die Subventionen gesteigert.

Im Wahlkampf werden soziale Wohltaten gefordert

So ähnlich läuft auch der Wahlkampf für den nächsten Bundestag bisher: Bundeskanzler Olaf Scholz forderte eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel, Grünen-Chefin Franziska Brantner eine Senkung der Energiesteuern. Und die Union gibt trotz Alterung als Ziel aus: Das Rentenniveau soll gleich bleiben, die Rente nicht später beginnen, die Beiträge sollen nicht steigen.

Ausgaben für die Zukunft gibt es in den weitläufigen Wahlprogrammen zwar, im Zentrum des Wahlkampfs standen sie bisher allerdings nicht. Und die Debatten zwischen den Wahlkämpfen liefen in den vergangenen Jahren ganz ähnlich: Seit der Finanzkrise 2008 ist auch in den Reden von Bundestagsabgeordneten die Zukunft immer kürzer gekommen, wie die Wissenschaftler Anselm Küsters und Jochen Andritzky im vergangenen Jahr ermittelt haben.

Im Dezember erst hat der Politikwissenschaftler Oliver Weber in einem viel beachteten Beitrag darauf hingewiesen, dass die Schuldenbremse vielleicht die Nachhaltigkeit der Staatseinnahmen schützen kann, die Nachhaltigkeit der Staatsausgaben damit aber noch längst nicht sichergestellt ist.

Wie gibt es dauerhaft genug Geld für Investitionen?

Vielleicht ist es am besten, die Frage nach der Schuldenbremse von der nach den Zukunftsausgaben zu trennen. Wie lässt sich sicherstellen, dass genug Geld für die Zukunft übrig ist? Nicht nur für Investitionen, sondern auch für Verteidigung, für Bildung und für Forschung? Und wie macht man das, ohne den zuständigen Regierungen jeden Spielraum für politische Akzente zu nehmen?

Die Wirtschaftsweisen haben dazu im Herbst Vorschläge gemacht. Für Investitionen in Straßen und Schienen denken die meisten von ihnen über ein Sondervermögen nach, aus dem man die Ausgaben tätigen könnte. Die Schweiz hat etwas Ähnliches. Das müsste nicht zwangsläufig wie bisher mit neuen Schulden einhergehen. Man könnte das Sondervermögen auch mit eigenen Einnahmen ausstatten, zum Beispiel aus der Lkw-Maut, der Energiesteuer auf Benzin oder der Kfz-Steuer. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sähe statt eines Sondervermögens lieber Infrastrukturgesellschaften, die eigene Einnahmen haben, ähnlich wie in Österreich.

So oder so: Beide Male wäre das Geld für Investitionen gesichert. Auch längerfristige Planung würde erleichtert, weil die in solchen Gesellschaften leichter fällt als im jährlich aufgestellten Bundeshaushalt.

Aber was ist mit den anderen Aufgaben? Mit Verteidigung, Bildung, Forschung? Der Sachverständigenrat schlägt vor, die Bildungsausgaben per Gesetz festzulegen. Das allerdings könnte genauso leicht von der jeweiligen Regierungskoalition geändert werden, wie jetzt der Haushalt aufgestellt wird. Umgekehrt diskutiert der Rat – und mancher aus dem Umfeld der FDP – eine Obergrenze für den Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt, in der Hoffnung, dass das dann frei werdende Geld zukunftsfähiger ausgegeben wird. Den Wirtschaftsweisen ist das allerdings zu unsicher, außerdem würde so ein Vorschlag sicher heftigen Widerstand hervorrufen.

Und dann gibt es die Städte und Gemeinden. Sie haben in den Nuller- und Zehnerjahren praktisch überhaupt nicht mehr investiert. Sie gaben nicht mal mehr genug Geld aus, um das Alte instand zu halten. Das lag nicht nur an ihren eigenen Entscheidungen. Über Jahre hinweg hat der Bund den Kommunen immer mehr Aufgaben übertragen, auch Sozialausgaben gesteigert, sodass den Räten in Städten und Gemeinden nur noch wenig Geld blieb, das sie selbst verteilen konnten. Da wäre vielleicht mit einer Finanzreform geholfen: wenn Städte und Gemeinden mehr Geld bekämen – und wenn es aus einer anderen Quelle käme. Bisher gehört die Gewerbesteuer zu den großen Geldquellen von Städten und Gemeinden. Sie allerdings schwankt sehr mit der Konjunktur und ist deshalb für die Planung von Investitionsprojekten schwierig.

Ausgaben für Forschung und Rüstung

Doch auch damit ist noch nicht alles erledigt. Wer sich richtig um die Zukunft kümmern will, braucht nicht nur von der Stadt bezahlte Schulgebäude, sondern auch von den Ländern bezahlte Lehrer. Und ohne eine stärkere Verteidigung geht es sowieso nicht mehr.

Es lassen sich Quoten ausrechnen: das Zwei-Prozent-Ziel der NATO für Verteidigung zum Beispiel, das für Deutschland vielleicht gar nicht mehr ausreicht. Am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung berechnet der Ökonom Friedrich Heinemann eine sogenannte „Zukunftsquote“, die zeigt, wie viel Geld der Staat für die Vorbereitung auf die künftige Welt ausgibt. Damit enttarnt er nebenbei, dass selbst im Klima- und Transformationsfonds der aktuellen Bundesregierung jeder dritte Euro für ganz gegenwärtige Wünsche ausgegeben wird und nicht etwa für die Zukunft.

Am Schluss bleibt es die Aufgabe der Wähler, darauf zu achten, dass all diese Quoten hoch bleiben – zum Beispiel indem sie, wenn sie mehr Zukunft wollen, am Wahlkampfstand vielleicht mehr nach den Ausgaben für Forschung und Rüstung fragen als nach der nächsten Rentenerhöhung.