„West End Girl“ von Lilly Allen: Battle-Rap im Mainstream-Pop

Das neue Album von Lilly Allen rechnet hart mit ihrem Ex-Mann David Harbour ab. Verbalinjurien als Quittungen haben Tradition im Rap, halten aber seit Taylor Swift und Ariana Grande auch immer mehr Einzug im Pop. Was kann „West End Girl“?


In ihrem Album „West End Girl“ verarbeitet Lilly Allen die gescheiterte Ehe mit Schauspieler David Harbour. Ein harmonisches Bild gaben sie bei diesem New Yorker Medienevent im Juni 2024 auch schon nicht ab

Foto: Evan Agostini/AP/picture alliance


„Es wird langsam Zeit, mich zu der Scheiße hier zu äußern; die Lügen, die du über mich verbreitest in ganz Deutschland“ – wer beim Lesen dieser Zeilen glaubt, eine gewisse Männerstimme oder sanfte Klaviertöne zu hören, der ist vermutlich zwischen 25 und 35 Jahren alt und hat eine der Hochphasen des deutschen Rap miterlebt. Die Worte stammen aus dem Diss-Track Leben und Tod des Kenneth Glöckler (2013) von Bushido, und sind der Beginn einer zehnminütigen Abrechnung des Berliner Rappers mit einem ehemaligen Kumpanen.

Vieles an diesem Track erregte Aufsehen, als er erschien: Der explizite Bruch mit dem einstigen Partner, die Überlänge, die Details in fast jeder Strophe und, so viel muss schon eingestanden werden, Bushidos großes Talent für boshafte Reime. Rein formal entsprach der Track aber üblichen Kriterien. Dass sich ein Rapper Strophe für Strophe der Karriere, dem Privatleben und sonstigen Details eines anderen Rappers widmet, gehörte auch 2013 schon längst zur DNA des Subgenres Battle-Rap.

„Du bist nur ein kleiner Junge, der nach seiner Mama sucht“ – nicht unähnlich bissig fängt ein Song auf dem neuen Album West End Girl der britischen Musikerin Lily Allen an. Schon zuvor war sie oft nicht gerade glimpflich im Umgang mit ihren lyrischen Subjekten. Mancher erinnert sich vielleicht an den Song Fuck You (2008), der sich scharf gegen einen Rassisten und Homophoben richtete, der unbenannt blieb. Oder das viel gespielte Not Fair aus dem gleichen Jahr, das die mangelhafte sexuelle Performance eines ebenfalls anonym bleibenden Liebhabers schildert.

Abrechnung mit David Harbour

Allens neues Album geht aber in mehrfacher Hinsicht ein Stück weiter: Es behandelt übereinstimmender Boulevardberichterstattung zufolge ihre Beziehung und vor allem die Trennung von ihrem einstigen Ehemann, dem US-Schauspieler David Harbour, und zwar in nahezu chronologischer Erzählweise und großer Detailtiefe.

14 Songs beschreiben erste Zweifel (West End Girl, Ruminating) bis hin zum Bruch. Weite Teile der Texte befassen sich mit dem Versuch, eine nichtmonogame Ehe zu gestalten, wobei Allens Ex-Mann Abmachungen ignoriert oder sie deutlich spielerischer ausgelegt haben soll (Tennis, Pussy Palace). Zudem erscheinen diese Geschichten zu einem pikanten Zeitpunkt: David Harbour spielt seit vielen Jahren eine wichtige Rolle in der Netflix-Hitserie Stranger Things, deren fünfte und letzte Staffel demnächst anläuft.

Dass Popsängerinnen und Popsänger in ihren Songs derartig konkret schmutzige Wäsche waschen, ist kein brandneues Phänomen. Spätestens aber seitdem Musikerin Taylor Swift zur großen Freude ihrer Fans damit anfing, in ihren Texten kleine Seitenhiebe und intime Details hinsichtlich ihrer (Ex-)Beziehungen zu oft ebenfalls prominenten Männern zu verstecken, hält das Prinzip Diss-Track schleichend Einzug in die Mainstream-Pop-Welt.

Ein neuer Typus Pop-Song

Gute Zeiten für prächtig bezahlte Star-Anwälte, könnte man meinen. Namen fallen in diesen Pop-Songs neuen Typus’ allerdings selten, bis auf wenige Ausnahmen: In thank u, next (2018) zählt die Sängerin Ariana Grande gleich mehrere Namen von Ex-Beziehungen auf. Taylor Swift hat hingegen das Prinzip „non-mention“ – ein unmissverständlicher Bezug auf eine bestimmte Person, ohne den Namen zu nennen – auf ihrem jüngsten Album geradezu perfektioniert. Wer sich nur ein wenig im US-Pop-Kosmos auskennt und ausreichend Englisch kann, dem ist völlig klar, dass die koksende Musikerin, die im Song Actually Romantic beschrieben wird, die Britin Charli xcx meint.

Alle anderen verlieren aber etwas. Sicherlich ist einkalkuliert, dass Gerüchte rund um berühmte Persönlichkeiten immer Aufsehen erregen und eine Single so schnell zum viel diskutierten Pop-Moment werden kann. Aber die neue Streitlust im Pop birgt ein Risiko: Zwar ist Lily Allens neues Album auch musikalisch sehr hörenswert, die unzweideutigen Texte rauben den Songs aber Identifikationspotential.

Wie viele Hörerinnen können sich so ernsthaft in die Geschichte einer berühmten Sängerin reinfühlen, die von einem berühmten Schauspieler eine Wohnung in New York City geschenkt und später eine Hauptrolle in einem Theaterstück angeboten bekommt? Erlauben es solche Zeilen trotz des Unterhaltungsfaktors noch, dass man die eigenen Erfahrungen in sie projiziert und leidenschaftlich mitfühlt?

Eher nicht. Und das ist schade, gerade weil Popmusik doch eine der letzten Sphären ist, in denen solche hemmungslosen Projektionen geradezu erwünscht sind.