Webserie „Boah, Bahn!“: Wo Tina heimlich ins Dienstabteil schreit

Wie verkauft man ein Produkt, das von vorne bis hinten unzuverlässig ist? Das gerne mal kurz vor Schluss aufgibt oder, und das gar nicht so selten, komplett ausfällt? Das dabei alle Beteiligten unangenehm viel Nerven kostet, aber jeder muss es benutzen, weil es so gut wie keine Alternative dazu gibt?

Als Produktmanager würde man dem Anbieter wohl raten, das Angebot gründlich zu überarbeiten, aber das ist im Fall der Deutschen Bahn nicht ganz so einfach. Es kostet Milliarden, und man rechnet in Jahrzehnten. In der Zwischenzeit hat man immerhin beschlossen, dass es nicht hilfreich ist, die Dinge zu beschönigen und geplagte Fahrgäste mit auswendig gelerntem Marketingvokabular abzuspeisen.

Diese neue Sachlichkeit kann man im alltäglichen Umgang erfahren, aber auch auf den Social-Media-Accounts von „Bahnansagen“ eindrucksvoll nachempfinden. „Der Fahrdienstleiter ist der Meinung, dass unser Zug ausfällt. Der Lokführer und ich sind da anderer Ansicht und denken, dass der Zug fährt. Aktuell diskutieren wir das aus. Wir wissen nicht, wie lange das dauert“, wurde im vergangenen Jahr einem Zugbegleiter abgelauscht. Der Ton im Zug ist neuerdings getragen von Sarkasmus bis hin zum Galgenhumor. Unter der Bahn leiden schließlich alle, nicht zuletzt die Bahn selbst, und die womöglich gar am meisten.

Werkspraktikum an der Front

Eine, die seit vierzig Jahren die Entwicklung der Bahn mitverfolgt, ist die bekennende Bahncard-100-Erste-Klasse-Inhaberin Anke Engelke. Sie sei auf die Bahn zugekommen und habe sinngemäß gesagt: „Hallo, läuft schlecht bei euch, kann ich helfen?“ Das freundliche Angebot lief zunächst auf ein Werkspraktikum an der Front hinaus, sprich, mehrere Tage als Zugbegleiterin, verteilt über ein halbes Jahr. In voller UBK – das steht für „Unternehmensbekleidung“ – kontrollierte Engelke Fahrkarten, spülte Geschirr im Bordrestaurant und redete vor allem viel mit den Mitarbeitern. Dabei entstand die Idee zu einer Webserie.

DSGVO Platzhalter

Für die Umsetzung holte sich Engelke renommiertes Fachpersonal mit Humorkompetenz. Regisseur Arne Feldhusen kennt man von „Stromberg“ und „Mord mit Aussicht“, vom „Tatortreiniger“ und der Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Produziert hat die Werbetochter der Kölner Produktionsfirma BTF. Das Ergebnis ist eine Mockumentary, die – man muss es leider so sagen – mit unseren Gefühlen spielt. „Boah, Bahn! – Wir sitzen alle in einem Zug“ ist der Titel, der Verständnis wecken möchte für die täglichen Herausforderungen von Zugbegleiterin Tina, gespielt von Engelke, und ihrer Crew. Hier wird satirisch überzeichnet, was wir alle kennen und was uns auf die Nerven geht. Die Verspätung, der nörgelnde Besserwisser auf dem Sitz nebenan, der Kaffee, der irgendwo hängengeblieben ist, wenn er nicht gar verschüttet wurde. Tina schreit heimlich ins Dienstabteil und rät zu Ausgleich in der Freizeit: „Sucht Euch einen inneren Schienenersatzverkehr.“

„Ehrliche, transparente Kommunikation ist für uns ein Muss“, sagte Michael Peterson, Vorstand Personenfernverkehr, am Mittwoch in Frankfurt bei der Vorstellung des Produkts. Auch die Mitarbeiter litten unter den Rahmenbedingungen, die Fahrgäste gäben ihnen zudem Bestnoten. Die Serie sei eine Liebeserklärung an das Personal. Gedreht wurde unter authentischen Bedingungen, nämlich in echten, fahrenden, nicht fahrenden und mit zu wenig Waggons fahrenden Zügen.

Das Lachen bleibt einem dabei im Hals stecken. Denn die Bahn ist ein unzuverlässiges Produkt. Es bereitet vielen Menschen schlechte Laune. Sie nicht an den Mitarbeitern auszulassen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber man hat sie nun einmal, die schlechte Laune, sie geht nicht einfach so weg und man hat auch kein Dienstabteil, um hineinzuschreien. Man zahlt dafür viel Geld und Lebenszeit. Dass das nervt, daran kann auch Tina nichts ändern.

KI-Artikelchat nutzen

Mit der kostenlosen Registrierung nutzen Sie Vorteile wie den Merkzettel.
Dies ist
kein Abo und kein Zugang zu FAZ+
Artikeln.

Sie haben Zugriff mit Ihrem Digital-Abo.

Vielen Dank für Ihre Registrierung