Wahlverhalten im Rahmen den Landtagswahlen: Nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung gewählt
Nicht nur auf Sachsen und Thüringen kommen komplizierte Tage und Wochen zu, sondern auf die gesamte Bundesrepublik. Vieles ist noch unklar, etwa die nicht ganz kleine Frage, wer mit wem regieren kann und will. Es ist unwahrscheinlich, dass die AfD regieren wird, aber eins ist klar: Die Partei hat in beiden Bundesländern viele Stimmen geholt und ist nun in Thüringen stärkste Kraft. SPD, Grüne und FDP – die Parteien der Bundesregierung – kommen zusammengenommen im Osten gerade noch auf eine zweistellige Prozentzahl. Damit sind sie gemeinsam nicht einmal halb so stark wie die AfD.
Vorläufige Umfragen und Experteneinschätzungen hatten bereits vor der Wahl darauf hingedeutet, dass die Unzufriedenheit über die Ampelregierung im Bund der AfD auf Landesebene in die Ergebnisse spielen könnte – eine Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Zumindest teilweise lässt sich das Ergebnis als Reaktion auf die Politik von drei Jahren Regierung Scholz erklären, wie diese Daten zeigen:
1. Zuwanderung und Sicherheit zentrale Themen
Der Messeranschlag in Solingen hat die Endphase der Landtagswahlkämpfe in Sachsen und Thüringen bestimmt. Zehn Tage vor den Wahlen hat ein geflüchteter Syrer auf einem Stadtfest im nordrhein-westfälischen Solingen drei Menschen getötet und mehrere zum Teil schwer verletzt. Experten und Expertinnen hatten gemutmaßt, dass Solingen einen ähnlichen Effekt auf diese Wahlen haben könnte wie das Mannheim-Attentat kurz vor der Europawahl. Damals schnitt die AfD zwei Prozentpunkte besser ab als in den Umfragen.
Sicherheit ist das größte Thema
Die drei wichtigsten Themen, die für die Wahlentscheidung bei der Landtagswahl die größte Rolle spielten
Auch diesmal lagen die Umfragen bis vor der Wahl stabil bei 30 Prozent. Das Wahlergebnis in Thüringen liegt nun 3,5 Prozentpunkte und in Sachsen 1,5 Prozentpunkte über den Umfragewerten. Ob das Attentat das Wahlergebnis beeinflusst hat, lässt sich schwer sagen. Was die Wähler und Wählerinnen allerdings zu ihrer Wahlentscheidung bewegt hat, machen die Nachwahlbefragungen deutlich.
In Sachsen sieht ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler die soziale Sicherheit (20 Prozent) als entscheidenden Faktor für ihre Wahlentscheidung, dicht gefolgt von der Zuwanderung (19 Prozent). In Thüringen steht die Kriminalität (21 Prozent) an erster Stelle der wahlentscheidenden Themen, knapp vor der sozialen Sicherheit (21 Prozent) und der Zuwanderung (18 Prozent). Es sind insbesondere diese bundespolitischen Streitfragen wie Einwanderung, innere Sicherheit und der Ukrainekonflikt, bei denen die AfD und das BSW punkten konnten.
2. BSW und AfD mobilisieren Nichtwähler
Vor allem dem BSW, der erst Anfang des Jahres gegründeten Partei der ehemaligen Linkenspitzenpolitikerin Sahra Wagenknecht, gelang ein Blitzstart: In Thüringen und Sachsen erreichte sie zweistellige Wahlergebnisse. In beiden Bundesländern wird das BSW zur drittstärksten Kraft. Laut Umfrageinstitut Infratest dimap befürworten 56 Prozent der Ostdeutschen eine Regierungsbeteiligung des BSW nach den Landtagswahlen.
Viel Zulauf erreicht das BSW vonseiten der Linken und der Nichtwähler. Das Bündnis gewann an Popularität, da es ein Ende der Ukraineunterstützung fordert, was manche als Friedensinitiative begrüßen – andere sehen darin ein Zugeständnis an Russland. Vor dem Wahlkampf betonte Sahra Wagenknecht, dass sie gezielt um AfD-Wähler werbe, jedoch eine Zusammenarbeit mit Björn Höcke in Thüringen ausdrücklich ablehne.
Auch die Wählerwanderung der AfD zeigt, dass die Partei vor allem bei Nichtwählern gewinnt, außerdem bei der CDU. Verloren hat die AfD die meisten Stimmen an das BSW.
3. Junge wählen die äußeren Ränder, Ältere eher das Altbewährte
Bei der Europawahl sprach das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) alle Altersgruppen an. Doch bei den Landtagswahlen überzeugt es vor allem die über 60-Jährigen. Im Gegensatz dazu punktet die AfD besonders bei den Jüngeren und den Mittelalten. In Thüringen erreicht die AfD mit 36 Prozent die meisten Stimmen bei den 18- bis 24-Jährigen und ist damit stärkste Kraft in dieser Altersgruppe. In Sachsen schneidet sie mit 33 Prozent knapp hinter der Union als zweitstärkste Kraft bei den 60- bis 69-Jährigen ab.
Gerade in diesen Altersgruppen ist die Angst vor den gesellschaftlichen Veränderungen durch Globalisierung und Digitalisierung besonders ausgeprägt, begleitet von der Sorge um die eigene wirtschaftliche Zukunft.
4. Die etablierten Parteien stürzen ab
Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen sackten die etablierten Parteien SPD, Linke, Grüne und FDP extrem ab. Lediglich die CDU konnte einen Einbruch verhindern. Die SPD erlebt mit 7,5 in Sachsen und 6,5 Prozent in Thüringen ihr schlechtestes Abschneiden seit Jahren. Ähnlich schlecht schneiden die Linke, die FDP und die Grünen ab.
Mit 5,2 Prozent in den Prognosen scheint es zwar, dass die Grünen den Einzug ins Parlament schaffen, doch die Stimmung gegenüber der Partei ist sowohl landes- als auch bundesweit schlecht. Katharina Horn, Landesvorsitzende der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, sieht die Landtagswahlergebnisse in Sachsen und Thüringen als Warnsignal für alle Demokratinnen und Demokraten. Sie bezeichnet das absehbare Ergebnis als „demokratische Zäsur“ in diesem Land.
5. AfD-Wahl aus Überzeugung
Die Nachwahlbefragungen zeigen, dass die hohen Zustimmungswerte für die AfD kein Ergebnis einer Protestwahl sind, sondern Ausdruck einer Überzeugung. Etwa die Hälfte gibt an, dass sie die Partei deswegen gewählt haben und nicht aus Enttäuschung über andere Parteien. Die AfD hat mittlerweile einen festen Kern an Wählern und Wählerinnen etabliert.
Betrachtet man die Wahlbeteiligung, hat sich die These eines wachsenden Politikverdrusses oder eines Desinteresses an Politik jedenfalls nicht bewahrheitet. Zur Landtagswahl in Thüringen waren heute rund 1,7 Millionen Bürger und Bürgerinnen aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben.
In Sachsen sind es 3,3 Millionen. Die Wahlbeteiligung in Sachsen lag mit 74 Prozent so hoch wie seit 1990 nicht mehr. Vor fünf Jahren lag die Wahlbeteiligung bei rund 66,5 Prozent. In Thüringen lag die Wahlbeteiligung auch bei 74 Prozent.
Nicht nur auf Sachsen und Thüringen kommen komplizierte Tage und Wochen zu, sondern auf die gesamte Bundesrepublik. Vieles ist noch unklar, etwa die nicht ganz kleine Frage, wer mit wem regieren kann und will. Es ist unwahrscheinlich, dass die AfD regieren wird, aber eins ist klar: Die Partei hat in beiden Bundesländern viele Stimmen geholt und ist nun in Thüringen stärkste Kraft. SPD, Grüne und FDP – die Parteien der Bundesregierung – kommen zusammengenommen im Osten gerade noch auf eine zweistellige Prozentzahl. Damit sind sie gemeinsam nicht einmal halb so stark wie die AfD.