Wahlrechtsreform: Die Linke wäre raus, die CSU hätte zittern müssen

Die Wahlrechtsreform kann für einige Fraktionen dramatische Folgen haben. Das wird deutlich, wenn man die Regeln beispielhaft auf die aktuellsten Wahlergebnisse anwendet, auf die der Bundestagswahl 2021. Denn dann wäre die Linksfraktion gar nicht erst in den Bundestag eingezogen. Und auch die CSU hätte zittern müssen.

Berechnungen von ZEIT ONLINE zeigen, wie der Bundestag dann zusammengesetzt wäre. Auch wenn sich kein Wahlergebnis exakt wiederholen wird und die neuen Regeln erst zur nächsten Wahl 2025 gelten sollen – die Berechnung kann doch helfen, den Effekt der Reform beispielhaft zu veranschaulichen.

Die Linke ist 2021 knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde gelandet (4,9 Prozent), hat aber in drei Wahlkreisen gewonnen. Bisher gilt: Alle Wahlkreissieger ziehen direkt in den Bundestag ein, egal, wie viele Zweitstimmen ihre Partei hat. Und: Wer unter fünf Prozent Zweitstimmen hat (wie die Linke), aber in mindestens drei Wahlkreisen siegreich ist, darf trotzdem in Gesamtstärke ins Parlament einziehen. Deshalb sitzen 39 Linke im Bundestag, was ihrem Anteil von 4,9 Prozent entspricht. Diese Regel nennt man Grundmandatsklausel. Die Ampel will sie nun abschaffen.

Aber auch die drei direkten Erststimmensieger der Linken dürften nicht drinbleiben, denn auch hier ändert die Ampel die Regeln: Einziehen sollen nur noch die Erstplatzierten aus den Wahlkreisen, deren Einzug durch Zweitstimmen gedeckt ist. Wenn einer Partei 20 Sitze zustehen, sie aber 25 Wahlkreise gewonnen hat, müssen die überschüssigen fünf jetzt draußen bleiben, anstatt wie bisher mit Überhangmandaten doch einzuziehen und so den Bundestag aufzublähen. An diesem Teil der Reform hängt also die Verkleinerung des Bundestags von aktuell 736 auf dann konstant 630 Abgeordnete. Die Linke hätte so allerdings auch ihre letzten drei Abgeordneten verloren, weil sie mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen einen Sitzanspruch von null gehabt hätte.

„Das ist ein direkter, offener Anschlag auf die Partei Die Linke“, sagt Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, in der ARD: „Man will hier die linke Opposition mittels Wahlrecht ausschalten.“

Ein anderer Fall wäre 2021 nicht eingetreten, aber ist mit der Reform nicht mehr undenkbar: dass nämlich die CSU komplett aus dem Bundestag fliegt. Sie ist nur in Bayern
wählbar, bei einer Bundestagswahl werden ihre Stimmen aber aufs ganze Land gerechnet. 2021 kam sie so auf 5,2 Prozent. Bisher musste sie sich um die Fünfprozenthürde und die Grundmandatsklausel nicht kümmern, weil alle ihre Abgeordneten Wahlkreissieger sind, die also auf jeden Fall im Parlament bleiben dürften. Aber mit der Reform wäre das anders. Bei unter fünf Prozent hätte keiner der CSU-Erstplatzierten in den bayerischen Wahlkreisen Anrecht auf ein Mandat. Denn nun entscheidet allein die Zweitstimmenverteilung über die Verteilung, egal, wie viele Wahlkreise man mit Erststimmen gewinnt, 2021 waren es bei der CSU in Bayern 45 von 46 bayerischen Wahlkreisen. Im Extremfall könnte also fast ganz Bayern keinen direkt gewählten Wahlkreisvertreter im Bundestag haben.

Verhindern könnte die CSU das allerdings, indem sie mit der CDU gemeinsam zur Wahl antritt und sich nur die Bundesländer aufteilt. Dann würde auch die Fünfprozenthürde für die Union als Ganzes gelten.

CDU-Verhandler Ansgar Heveling schimpft, der Vorschlag zeige, dass es der Ampel „nicht um einen partei- und fraktionsübergreifenden Kompromiss im Wahlrecht geht, sondern nur darum, ihr Wahlrechtsmodell auf Biegen und Brechen durchzusetzen“. Er wertet die Abschaffung der Grundmandatsklausel als einen „Angriff auf die föderale Struktur in unserem Land, denn damit ist sogar die regionale Repräsentanz zukünftig in Gefahr“.

Eine weitere Änderung im Reformvorschlag betrifft die Zahl der Listenmandate. Zu den 299 Wahlkreissiegern sollen nicht wie in der bisherigen Regelung 299 Abgeordnete von den Parteilisten kommen, sondern 331. Damit wäre der Bundestag 630 statt 598 Sitze groß. Die zusätzlichen Mandate verringern die Wahrscheinlichkeit, dass Wahlkreissieger nicht einziehen können.

Berechnungen von ZEIT ONLINE zeigen allerdings, dass die Anpassungen an der Zahl der unbesetzten Wahlkreise nur wenig ändern. Der ursprüngliche Reformvorschlag der Ampel hätte dazu geführt, dass 35 Direktmandate unbesetzt bleiben. Das Anheben der Regelgröße auf 630 Abgeordnete verringert diese Zahl auf nun 24 Wahlkreise; dazu kommen allerdings jene drei Sitze, die 2021 von der Linken gewonnen wurden. Unterm Strich wären also mit dem neuen Vorschlag, angewandt auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021, weiterhin 27 Wahlkreise nicht durch ein Direktmandat im Bundestag vertreten.

Die Analyse zeigt auch, dass die große Mehrheit dieser Wahlkreise nach wie vor einen Repräsentanten in Berlin hätte – nur könnte der- oder diejenige aus einer anderen Partei kommen. Denn meist sind andere Abgeordnete aus dem Wahlkreis über die jeweilige Landesliste eingezogen. Das Havelland etwa wäre nicht mehr durch die 2021 direkt gewählte SPD-Abgeordnete Ariane Fäscher vertreten, sondern allein durch den Listenkandidaten Uwe Feiler von der CDU.

Nur fünf der 299 Wahlkreise hätten aktuell gar keine Vertretung im Bundestag. Diese Zahl hat sich durch die Anpassung des Reformvorschlags nicht verändert. Zwei der verwaisten Wahlkreise liegen in Berlin, je einer liegt in Brandenburg, Baden-Württemberg und Sachsen.

Die Abschaffung der Grundmandatsklausel, die für die Linke und möglicherweise für die CSU so besonders gefährlich ist, begründen die Regierungsfraktionen damit, dass sie nun „verfassungsrechtlich nur schwer zu rechtfertigen“ sei, wie es in der Begründung des Gesetzentwurfes heißt. Sie sei im neuen System ein „Fremdkörper“, sagt Grünenobmann Till Steffen. Denn nun dient die Wahl in den Wahlkreisen nur noch „der vorrangigen Besetzung der von den Parteien nach ihrem Zweitstimmenergebnis errungenen Sitze und nicht wie bisher der Personenwahl“, heißt es weiter. Anders gesagt: Wenn nun die Zweitstimme allein über die Zusammensetzung des Parlaments entscheidet, ist es nicht schlüssig, dass man weiterhin nur dank gewonnener Erststimmen trotzdem ins Parlament kommen kann. Eine Ausnahme davon soll es nur für Wahlkreiskandidaten geben, die keiner Partei angehören, also gar keine Zweitstimmen gewinnen können.