Vor welcher COP: Immer noch keine Einigung hinauf EU-Klimaziele

Einmal im Jahr bekommt die internationale Klimapolitik ihre ganz große Bühne: auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Auch in diesen Tagen machen sich wieder Tausende Delegierte aus aller Welt auf den Weg zur „COP“, um darüber zu beraten, wie die Welt die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter möglichst auf 1,5 Grad Celsius beschränken kann. Doch wenige Tage vor Beginn der Verhandlungen im brasilianischen Belém ist die Ausgangslage noch schwieriger als in vielen Jahren zuvor.
China, mit einem Anteil von 29 Prozent weltweit größter Emittent von Treibhausgasen, zögert, sich zu ambitioniertem Klimaschutz zu bekennen. Staatspräsident Xi Jinping verkündete Ende September zwar, dass die Volksrepublik ihre Treibhausgasemissionen bis 2035 um sieben bis zehn Prozent senken werde. Viele Fachleute halten das aber für unzureichend. US-Präsident Donald Trump nennt den Klimawandel einen „Witz“; die Vereinigten Staaten als zweitgrößter Emittent weltweit sind unter seiner Regentschaft abermals aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Trump arbeitet gar daran, die Öl- und Gasförderung in dem Land wieder aktiv auszuweiten. Und in der Europäischen Union, die sich selbst gerne als globaler Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentiert, ist der Streit groß um die Frage, wie der Kontinent bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden möchte.
Streit um Klimaprojekte in Drittstaaten
Schon gesetzlich verankert ist, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken sollen. In Brüssel wird nun darüber diskutiert, wie das offizielle Ziel für das Jahr 2040 aussehen soll. Auch nach Verhandlungen bis in die frühen Morgenstunden konnten sich die Umweltminister bei ihrem Treffen in Brüssel zunächst nicht auf einen Kompromiss verständigen. Die Kommission hatte im Sommer vorgeschlagen, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen bis dahin um 90 Prozent reduzieren soll. Die Mitgliedstaaten sind darüber jedoch tief gespalten. Streit gibt es insbesondere um die Frage, wie viele Klimaprojekte in Drittstaaten auf das Ziel angerechnet werden können sollen. Diese Gutschriften sollen den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität geben, die Ziele zu erreichen. Vielen Ländern, darunter Frankreich und Polen, reicht es nicht, dass über solche Projekte nur drei Prozentpunkte Minderung angerechnet werden dürfen. Die Kommission gesteht zwar ein, dass Klimaschutz solcher Art außerhalb Europas deutlich günstiger wäre, argumentiert aber, es gebe nicht genügend geeignete Projekte, weshalb der Anteil möglichst niedrig gehalten werden müsse.
Vom neuen Klimaziel für 2040 wollten die EU-Umweltminister bei ihrem Treffen am Dienstag in Brüssel in einem zweiten Schritt ein Zwischenziel für das Jahr 2035 ableiten, um es im Anschluss bei den Vereinten Nationen einzureichen – so war es eigentlich geplant. Hintergrund ist, dass nach den Regeln des Pariser Abkommens jeder Staat selbst festlegt, welchen Beitrag („Nationally Determined Contribution“, NDC) er zur Begrenzung der Erderwärmung leisten möchte. Alle fünf Jahre sollten auf diese Weise ehrgeizigere Pläne angekündigt werden. Doch die Frist in diesem Jahr haben etwa zwei Drittel der Staaten missachtet, ihren Beitrag also – wie China – verspätet oder – wie die EU – bislang gar nicht eingereicht. Die Umweltminister hatten sich bei ihrem Treffen im Oktober nur auf eine grobe Spanne von 66,25 bis 72,5 Prozent Minderung gegenüber 1990 einigen können. Mit leeren Händen nach Belém zu fahren, würde die Glaubwürdigkeit Europas jedoch unterminieren, glaubt so mancher Diplomat in Brüssel.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am frühen Mittwochmorgen mit Bezug auf die dänische Ratspräsidentschaft: „Wir glauben, dass wir die Grundlage für eine politische Einigung haben.“ Ein Entwurf für einen Kompromiss sehe vor, dass die Mitgliedstaaten bis zu fünf Prozentpunkte des 90-Prozent-Ziels durch den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland ausgleichen können. Damit müsste in der EU der Ausstoß von Treibhausgasen faktisch nur um 85 Prozent sinken. Zudem soll der Start des neuen Emissionshandels (ETS2) für die Bereiche Verkehr und Gebäude um ein Jahr auf 2028 verschoben werden. Die Ministerrunde soll demnach im Laufe des Vormittags in Brüssel abermals zusammentreten, um die Einigung formell zu beschließen.
Schneider warnt vor Scheitern
Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) hatte sich vor Beginn der Beratungen zuversichtlich gezeigt, dass den Umweltministern „ein starkes Signal der Verlässlichkeit an die internationale Gemeinschaft“ gelinge, aber auch gewarnt: „Keine Entscheidung wäre keine gute Entscheidung.“ Seine französische Kollegin Monique Barbut wurde noch deutlicher und sagte, ohne eine Einigung nach Brasilien zu reisen, wäre ein „Desaster“. Die Bundesregierung unterstützt offiziell den Vorschlag der Kommission und hatte sich schon in den Koalitionsverhandlungen auf das 90-Prozent-Ziel festgelegt. Die Union setzte damals gegen die SPD durch, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einsetzen will, dass dabei auch in geringem Maß Projekte aus Drittstaaten angerechnet werden dürfen. Diese Position verteidigte die Bundesregierung über den Sommer in den Gesprächen mit den anderen Mitgliedstaaten. Als sich abzeichnete, dass einige EU-Länder den Plänen skeptisch gegenüberstehen, stimmte Schwarz-Rot aber zu, zunächst noch einmal im Kreis der Staats- und Regierungschefs zu beraten – auch wenn das bedeutete, die eigentlich vorgesehene Frist für die Einreichung des europäischen NDC zu verpassen. Aus Sicht der Bundesregierung wäre ein Ziel am unteren Ende der Spannweite ein Misserfolg, daran ließ sie keinen Zweifel.
Wie wichtig der Bundesregierung das Treffen in Brüssel war, zeigte sich auch daran, dass am Dienstag nicht nur Umwelt- und Klimaminister Schneider nach Brüssel reiste, sondern auch sein Staatssekretär Jochen Flasbarth. Letzterer führt seit Jahren klimadiplomatische Verhandlungen – und weiß als deutscher Chefverhandler auf der anstehenden Klimakonferenz, wie stark die Positionierung der EU vom Rest der Welt beobachtet wird.
Kritik von energieintensiver Industrie
Für die Verabschiedung des Klimaziels 2040 genügt im Ministerrat eine qualifizierte Mehrheit, das heißt, es müssen mindestens 15 der 27 Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Anschließend wird sich das Parlament mit den Vorschlägen befassen. Der besonders dringende Beitrag Europas bis 2035 hingegen muss in Brüssel einstimmig beschlossen werden.
Kritik kommt insbesondere von energieintensiven Unternehmen. „Europa verliert sich in Zieldebatten, statt endlich zu liefern“, ließ sich Wolfgang Große Entrup zitieren, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie. „Klimaneutralität erreicht man nicht mit Sonntagsreden, sondern mit bezahlbarer Energie und verlässlicher Infrastruktur. Davon sind wir weit entfernt.“ Eine Sprecherin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future forderte hingegen mit Blick auf die „ungebremst eskalierende Klimakrise“ ein „starkes Klimaziel ohne Schlupflöcher, Rechentricks und Hintertüren“.