Von Bild gehetzt, von Merz vollstreckt: So geht Klassenkampf von oben

Für ihre Hetze gegen Bürgergeld-Empfänger kassierte Bild eine Rüge – zu spät. Merz hat längst geliefert, mit Kürzungen, Sanktionen und Hartz-IV-Rhetorik. Über das Geheimnis der Klassenpolitik in Deutschland


Spielt ihre Rolle

Fotomontage: der Freitag, Material: iStock


Immer öfter Stütze statt Arbeit“, „Bürgergeld ist zu hoch! Empfängern droht neuer Hammer“, oder „Bürgergeld bis zu 10 Milliarden Euro zu teuer“. Das sind nur drei Schlagzeilen der Bild aus dem vergangenen Sommer, in dem das Blatt wiederholt behauptet, es seien knapp vier Millionen erwerbsfähige Menschen im Bürgergeld, die alle arbeiten könnten, wenn sie nur wollten. Das ist schlicht falsch, man könnte fast vermuten: gelogen.

Fakt ist: Die meisten dieser vier Millionen sind zwar in der Theorie erwerbsfähig, aber aus vielen Gründen stehen sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Beispielsweise, weil sie pflegende Angehörige sind, Kinder erziehen oder andere Vermittlungshemmnisse haben.

Bild lügt? Nein, das wäre zu drastisch ausgedrückt, meinen Sie? Sicher, im Zweifel sind wir in diesem Rechtsstaat für den Angeklagten. Deswegen heißt es gern „Bild verdreht Fakten“. Aber ist das nicht dasselbe? Der Deutsche Presserat jedenfalls – die moralische Instanz der Printmedien – hat Ende März die Bild mit seinem schärfsten Sanktionsmittel, der öffentlichen Rüge abgestraft: Bezogen auf Bürgergeld sei die Berichterstattung der Bild „massiv irreführend“ und habe für die Betroffenen einen „stigmatisierenden Effekt“.

Und das hat reale Folgen, denn aufgrund der Stimmung, die die Bild mit ihren „massiven Irreführungen“ produziert hat, plant nun die schwarz-rote Bundesregierung die Abschaffung des Bürgergelds und die Rückkehr zu Hartz IV.

Wie es zur Rüge des Deutschen Presserats kam: Die wichtige Arbeit von Übermedien

Der Autor und Journalist Martin Rücker von Übermedien wies die Bild im Juni letzten Jahres auf ihre zweifelhafte Berichterstattung hin und lieferte Fakten und Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA), die die Bild zumindest daraufhin korrekt verwenden und einordnen hätte können. Aber stattdessen veröffentlichte sie gleich mehrere Folgeartikel, in denen vier Millionen Bürgergeld Beziehende per se als faule Nutznießer der hart arbeitenden Steuerzahlenden dargestellt werden. Auf eine Anfrage von Übermedien ließ eine Sprecherin in einer Stellungnahme ganz entspannt verlauten: „Wir stehen zu unserer redaktionellen Berichterstattung und haben ihr nichts hinzuzufügen“.

Rücker ließ nicht locker und reichte daraufhin eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ein, auf die nach eingehender Prüfung nun die öffentliche Rüge folgte. An dieser Stelle kann Martin Rücker gar nicht genug für seine Beharrlichkeit und auch für seine fortlaufende und sorgfältig recherchierte Berichterstattung zu Armut und Bürgergeld gedankt werden. Journalist*innen wie er sind ein rares Gut.

Stattdessen schreiben sich zuhauf Personen die Finger an dem Thema wund, die wenig Expertinnenwissen, dafür viel Meinung und eine politische Agenda haben. Empathie, differenzierter Blick, Zahlen und Fakten werden da leider nicht nur bei der Bild gerne zu Ungunsten der Betroffenen verwendet.

Warum gegen die neue Grundsicherung nicht protestiert wird

Öffentliche Rüge – schön und gut. Ein wichtiges Zeichen ist das allemal. Nur ist der Deutsche Presserat leider ein zahnloser Tiger, wenn auf seine Sanktionen nichts gegeben wird und keinerlei Konsequenzen erfolgen. Dieses Jahr hat der Deutsche Presserat schon 24 öffentliche Rügen ausgesprochen. Allein ein Drittel davon hat die Bild kassiert! Mit der bundesweit stärksten Auflage noch vor der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verkauft sich die Bild fast 0,9 Millionen Mal pro Quartal (in 2024) und erreicht insgesamt verbunden mit Bild online über 12 Millionen Leser*innen.

Die Wehrlosesten unserer Gesellschaft in einer Tour über einen Kamm zu scheren und als Arbeitsverweigerer zu bezeichnen, hat bei Bild System. Seit Jahren nutzt das Blatt jede Gelegenheit, um Bürgergeld-Beziehende zu diffamieren und nimmt damit auch erheblich Einfluss auf die Wahlergebnisse, Stimmung und Meinung in der Bevölkerung.

Die Akzeptanz für das Bürgergeld hat dramatisch abgenommen, Armut ist hochgradig stigmatisiert, die Betroffenen werden immer weiter ausgegrenzt. Gab es vor zwanzig Jahren zur Einführung der Agenda 2010 und Hartz IV noch Proteste mit Hunderttausenden, wird ein sozialer Kahlschlag und die geplante „Neue Grundsicherung“ jetzt gerade mit erschreckender Gleichgültigkeit hingenommen und sogar befürwortet.

Der ganz ehrliche Klassenkampf

Klassenkampf von oben nach unten wird bei Springer und somit auch bei Bild nicht zufällig großgeschrieben und verfolgt eigene Zwecke. Eine Überraschung ist das nicht. Der Springer-Verlag gehört zum Großteil einem Milliardär, der seinen Reichtum durch unlautere Mittel ins für Normalsterbliche Unermessliche gesteigert hat. Er lacht sich bei Champagner und Kaviar ins Fäustchen, während die Bundesrepublik den Ärmsten die Butter auf dem Brot nicht gönnt und bei Kalibern wie ihm nicht richtig hingeschaut wird.

Und leider entspricht der Klassenstandpunkt dieses Milliardärs ziemlich genau jenem der CDU und CSU. Die Sorge, dass Arbeitnehmer wegen der steigenden Sozialbeträge und hoher Steuern am Ende von Schwarz-Rot weniger Geld haben, erzeugt bei Friedrich Merz jedenfalls nur ein Achselzucken: Sie sei „sicherlich nicht unberechtigt“. Und so führen die Lügen der Bild zu ganz ehrlichem und realen Klassenkampf gegen unten.