Vielfalt adé: Wie Disney sein Rückgrat fand und wieder verlor

Die Walt Disney Company hofft wahrscheinlich, dass das Publikum beim Schauen des neuen Trailers für den neuen Star Wars-Film The Mandalorian & Grogu eine Welle der Nostalgie überkommt.

Nein, nicht für das Jahr 1977, als Star Wars noch frisch und voller Wunder war; schließlich gehörte es Disney damals nicht einmal. Auch die Zeit vor zehn Jahren ist nicht das Ziel, als das Unternehmen 2015 mit Das Erwachen der Macht die Filmreihe mit großem Erfolg zurückbrachte – noch immer der Film mit den höchsten Einspielergebnissen in der Geschichte der US-Kinocharts. Vielmehr möchte der Trailer, bewusst oder unbewusst, die Zuschauer und vermutlich auch die Gewinne zurück in die glücklichen Tage von … 2019 versetzen.

Zwar wäre Disney vermutlich mit jedem Zeitpunkt zufrieden, der vor der kurzen, aber Tumult auslösenden Suspendierung von Late-Night-Moderator Jimmy Kimmel vom Sender ABC liegt, der weitreichende Schlagzeilen machte. Aber 2019 wäre noch besser. Damals dominierte Disney die Kinokassen auf fast beispiellose Weise und erzielte erstaunliche sieben der zehn größten Hits des Jahres – und einen achten mit Spider-Man, einer Figur aus dem Besitz von Disney, in einem Film, der von Disneys Marvel Studios produziert wurde (nur von Sony veröffentlicht).

Remakes von Aladdin und Der König der Löwen, Fortsetzungen von Toy Story und Die Eiskönigin – völlig unverfroren, zwei bis drei Marvel-Filme (je nachdem, wem man Spider-Man zuschreibt) und ein neuer Star Wars-Film brachten weltweit insgesamt rund 10 Milliarden US-Dollar (8,5 Milliarden Euro) ein.

Auch wenn der Star Wars-Film Der Aufstieg Skywalkers im Vergleich zu seinen besser bewerteten Vorgängern etwas schwächer abschnitt, hatte selbst diese Wolke einen Silberstreif am Horizont: Das Debüt von The Mandalorian Ende 2019 auf dem damals neuen Streamingdienst Disney+ war sofort ein Riesenerfolg. Selbst wirklich raffgierige Unternehmensentscheidungen wie Disneys Kauf von 20th Century Fox wurden von einigen Fans mit unüberlegter Begeisterung aufgenommen, weil dadurch einige fehlgeleitete lizenzierte Marvel-Charaktere in das Marvel Cinematic Universe (MCU) aufgenommen werden konnten.

Die Mitarbeiter von Pixar und Marvel wehrten sich gegen das Schweigen

Als die Corona-Pandemie es unmöglich machte, diese Gewinne aus dem Jahr 2019 in den nächsten Jahren zu wiederholen, versuchte das Unternehmen zunächst, auf andere Weise an Ansehen beim Publikum zu gewinnen. Insbesondere schienen Disneys verschiedene Entertainment-Marken/Reiche – Pixar, Marvel, Lucasfilm und so fort –, die bösartigsten (oder gleichgültigsten) Unternehmensinstinkte in Schach zu halten.

2022 halfen Mitarbeiter von Pixar und Marvel dabei, das anfängliche Schweigen des Unternehmens zu dem von Kritikern „Don’t say gay“ (Sag nicht „schwul“) genannten Gesetz in Florida zu durchbrechen, das die Thematisierung sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität im Unterricht in der Grundschule verbietet. Am Ende verurteilte Disney den Gesetzentwurf. Beide Unternehmen begannen nach langer Verzögerung auch damit, ihr Angebot an Filmen, Serien und Figuren zu diversifizieren, etwa durch Projekte wie Black Panther, Captain Marvel, Rot und The Acolyte.

Zur gemischten Resonanz auf einige dieser Projekte kam damals die generelle Angst, dass es nicht möglich sein würde, jedes Jahr auf Dauer Filme wie Frozen, Toy Story, Star Wars und Avengers zu produzieren. Das verunsicherte Disney offenbar in der Übergangsphase vom vermeintlich brillanten CEO Bob Iger zu seinem ungeschickten Nachfolger Bob Chapek und schließlich wieder zurück zu Iger.

Bekenntnis zur Bedeutungslosigkeit

Trotz seines Retter-Status offenbarte Iger selbst diese Angst, als er mit unternehmerisch verschlüsselter Feigheit davon sprach, dass zukünftige Projekte „keinerlei Agenda“ verfolgen würden. Es war ein Bekenntnis zur Bedeutungslosigkeit, das selbst die eher feigen „rein schwulen Momente“ oder den lange hinausgezögerten Marvel-Film mit weiblicher Hauptrolle im Vergleich dazu feurig erscheinen ließ.

Die unternehmerische Scheu davor, schwule oder Minderheitencharaktere einzubeziehen, die ein vages „internationales Publikum“ beleidigen könnten, war nun offizielle Politik.

In gewisser Weise bekam das Unternehmen wohl nur die Folgen der längst überfälligen Erkenntnis zu spüren, dass CEOs weitgehend nutzlose Galionsfiguren sind. Doch eine Reihe ungeschickter, feiger Entscheidungen ging über das Drama in den Vorstandsetagen hinaus. Disney führte Igers Ansagen in schlampiger Panik aus.

Scheinbar verunsichert durch die Wut irgendwelcher YouTuber, die Unwägbarkeiten einer Welt nach der Pandemie und den erneuten Aufstieg von US-Präsident Donald Trump, zog das Unternehmen allein im laufenden Jahr mehrere progressive Vorhaben zurück.

Hinweise auf Transgender- oder schwule Identität wurden beseitigt

Beispielsweise beseitigte es alle Hinweise auf die Identität einer Transgender-Figur in einer Pixar-Streaming-Serie. Außerdem wurden im Lauf der Überarbeitung des Pixar-Films Elio alle Hinweise darauf gestrichen, dass der titelgebende Junge eine queere Identität besitzen könnte. Disney richtete zudem seine DEI (Diversity, Equity and Inclusion)-Anstrengungen neu aus (und benannte sie um), um die Erzielung des alten Fanlieblings in den Vordergrund zu stellen, nämlich Gewinn. Weiterhin kippte Disney die von der schwarzen Schauspielerin Zendaya angeführte Marvel-Serie Ironheart in einem einzigen Binge-Watching-Marathon aus, während es für seine Flaggschiff-Serien ein wöchentliches Veröffentlichungsmodell verwendet.

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Und dann nahm das Unternehmen Jimmy Kimmel aus dem TV-Progamm, weil er sich kritisch über die Reaktion der Maga-Welt auf den Mord an Charlie Kirk geäußert hatte. Am Ende ruderte das Unternehmen zurück. Aber ABC-Sender, die zur Sinclair Broadcast Group oder Nexstar gehören, ersetzen Kimmels Late-Night-Show weiter bis auf Widerruf durch andere Sendungen.

Als Sahnehäubchen der schlechten PR entschied Disney offensichtlich dann noch, es sei der richtige Zeitpunkt für eine Streamingdienst-Preiserhöhung, die dritte in drei Jahren.

Natürlich ging es Disney, wie jedem großen Unternehmen, bei seinem früheren Fokus auf Diversität vermutlich mehr um das öffentliche Image und die damit verbundenen geschäftlichen Interessen als um echte Empathie. Es lohnt sich also zu fragen, ob sich die jüngsten Entscheidungen tatsächlich finanziell gelohnt haben, insbesondere im Vergleich zu den Gewinnen, die mit den Black Panther-Filmen oder einer vielfältigeren Star Wars-Trilogie erzielt wurden.

Mehr Box-Office mit weniger Trans?

Der veränderte Animationsfilm Elio jedenfalls könnte kaum noch weniger Erfolg an der Kinokasse haben; es ist der Pixar-Film mit dem geringsten Einspielergebnis, nur die Filme, die direkt von der Corona-Pandemie betroffen waren, haben noch weniger eingebracht.

Lassen sich irgendwelche Disney+-Abonnements direkt auf die Umkehr der sexuellen Ausrichtung der Hauptfigur in einer achtteiligen Miniserie zurückführen? Dagegen haben offensichtlich viele Leute ihr Abo wegen der Jimmy-Kimmel-Auseinandersetzung gekündigt, und der Aktienkurs des Unternehmens ist in der vergangenen Woche erstmal gesunken.

Wenn die Idee hinter einem dieser Schritte war, langfristig Maga-Anhänger zurückzugewinnen, dann viel Glück damit! Dort regt man sich immer noch über den gleichgeschlechtlichen Kuss in Lightyear auf oder darüber, dass Frauen in Star Wars mitspielen oder Black People in irgendetwas. Die schlichte Wahrheit ist, dass es eine bestimmte Maga-Wählerschaft gibt, die nichts anderes akzeptiert als die vollständige Kapitulation vor ihren Präferenzen und Werten – will man sich darauf einlassen?

Die Marke Disney schützt nicht vor Reinfällen

Daher muss Disneys echter Wunsch ein Revival des Jahres 2019 sein. Damals gab es vielleicht hier und da kleine Aufregungen seitens einiger Zuschauer, die sich darüber beschwerten, dass ein Remake zu „woke“ sei oder, weniger fanatisch, die Einbeziehung von beispielsweise queeren Nebenfiguren als geringe (und zynische) Zugeständnisse betrachteten. Aber zehn Milliarden US-Dollar können Führungskräften eine Menge Selbstvertrauen erkaufen (auch wenn es scheinbar für echten Mut nicht reicht). Schließlich ist das ein Umfeld, in dem auch ein Star Wars-Film, den niemand für den besten hält, weltweit immer noch eine Milliarde Dollar einspielen kann.

Disney steht nicht als einziges Unternehmen vor einer harten Unterhaltungs-Landschaft, in der Filme nicht mehr so viel einspielen wie früher und Streaming-Dienste schnell zu viel Geld ausgeben. Aber es ist das Unternehmen, das die größte Angst vor dieser neuen Welt zu haben scheint, vielleicht weil sein Aufstieg Ende der 2010er den Eindruck schuf, dass ein endloses und unschlagbares Wachstum auf der Basis der schon lange beliebten Nostalgiemarken möglich wäre.

Das ist es aber nicht. Und wenn Disneys moralisch wechselhaftes Jahr einen Vorteil hat, dann die Erkenntnis, dass Marke kein Schutz gegen alles ist. Keiner, der wütend über Jimmy Kimmels Suspendierung (oder auch wütend über seine Worte) ist, scheint Trost darin zu finden, dass bald ein weiterer Zootopia-Film herauskommt. Der Mandalorian-Film sieht unterhaltsam, fanfreundlich und anschaubar aus … Aber das reicht nicht, um damit irgendjemanden zu retten.