Verschollene Kunst: Da bist du ja!

Sie gelten jahrzehntelang als verschollen und erscheinen plötzlich an Orten, an denen sie niemand vermutet hätte. Wie zuletzt ein Gemälde, das den langen Weg aus Nordfrankreich bis in Madonnas Haus in New York gefunden hat – ohne dass die Kunstwelt davon wusste. Fünf Geschichten von verschollen geglaubten Kunstschätzen.
Madonna, Diana und Endymion
Im Jahr 2015 druckte die Zeitschrift Paris Match ein Foto von Madonna. Darauf ist die Queen of Pop zu sehen, wie sie an einem Treppenaufgang steht, ihre Arme greifen nach dem Geländer, ein Bein lugt aus dem Kleid hervor, ihr Blick lasziv. Das alles interessierte den aufmerksamen Kurator des Museums der nordfranzösischen Stadt Amiens seiner Zeit wenig, wie der Guardian Anfang der Woche berichtete. Er hatte nur Augen für das Gemälde, das über dem Treppenaufgang hängt. Das kannte er doch! Im goldenen Rahmen zeigt es die römische Göttin Diana, die auf ihren Geliebten, den ewig jungen Endymion blickt.
Das Gemälde von Jérôme-Martin Langlois heißt wenig verwunderlich Diana und Endymion und stammt aus dem Jahr 1822. Bis 1918 hing es in der Heimatstadt des aufmerksamen Kurators. Doch nach den Wirren des Ersten Weltkriegs galt es erst als verloren, später als zerstört, wie große Teile des Musée de Beaux Arts (heute Musée de Picardie), das es ausgestellt hatte. Und dann das: eine Madonnenerscheinung aus der Illustrierten. Wie es nach Amerika kam, ist nicht gesichert. Man weiß lediglich: Madonna erwarb das Gemälde bei einer Auktion 1998 in New York für 1,3 Millionen Dollar. Seitdem dient es als Dekoration ihres Treppenaufgangs. Doch was sollte aus der Wiederentdeckung werden? Außer, dass der Kurator wohl ein wenig ruhiger schlief, geschah erst einmal nichts.
Bis jetzt. Denn Amiens bewirbt sich aktuell als europäische Kulturhauptstadt 2028. Es war also ein passender Zeitpunkt, dass Bürgermeisterin Brigitte Fouré kürzlich von Diana, Endymion und – vor allem – von Madonna erfuhr. Sie schaltete daraufhin die Kamera an: „Madonna, Sie haben wahrscheinlich noch nie von Amiens gehört“, spricht sie in die Weiten der Facebook-Timlines. „Aber es gibt eine besondere Verbindung zwischen Ihnen und unserer Stadt.“ Sie bat den Popstar darum, der Stadt das Bild auszuleihen. Natürlich habe sie es legal erworben, aber so ein kleiner Besuch in der Heimat? Und womöglich könnte die Sängerin es dann ja sogar persönlich vorbeibringen, wäre doch eine schöne Idee. Eine Antwort Madonnas steht noch aus.
Gurlitt und der Nazischatz
Cornelius Gurlitt saß im Zug von Zürich nach München, als er sich bei einer Zollkontrolle auffällig verhielt. Ein Beamter forderte ihn auf, seine Taschen zu öffnen. Es kamen zum Vorschein: 9.500 Euro in 500 Euroscheinen. Noch war das kein Vergehen, doch der Beamte wollte trotzdem wissen, woher das Geld gekommen sei. Von Kunstgeschäften mit einem Schweizer Händler, antwortete Gurlitt. Das machte die Zollbeamten stutzig und erregte den Verdacht eines Steuerdelikts.
Die Zugfahrt im Jahr 2010 führte zu einem der aufsehenerregendsten Kunstfunde der Nachkriegsgeschichte. Im Februar 2012 durchsuchten Zollbeamte schließlich Gurlitts Wohnung in München-Schwabing. Zwischen Konservendosen und auf selbst gezimmerten Regalen entdeckten sie 1.500 Kunstwerke: von Max Beckmann, Claude Monet, Albrecht Dürer und vielen mehr. Darunter Werke von den Nationalsozialisten verfemten Künstlern, teilweise Raubkunst, aus Sammlungen jüdischer Kunstliebhaber. Die Werke stammten aus dem Nachlass von Gurlitts Vater, Hildebrand Gurlitt, einer der Händler, die offiziell von den Nationalsozialisten mit der Verwertung von „Entarteter Kunst“ beauftragt waren.
Bis zum Fund ging die Kunstwelt davon aus, dass alle diese Werke bei den Luftangriffen auf Dresden 1945 verbrannten – eine Lüge der Familie Gurlitt. Doch die Gurlitts saßen allein in ihrer Schwabinger Wohnung mit der Kunst, von der niemand wissen durfte. Nachdem die Polizei die Bilder, Skulpturen und Skizzen beschlagnahmt hatte, begann ein jahrelang anhaltender, bis heute umstrittener Prozess der Rückführung.
Die Eier des Zaren
Auf dem Flohmarkt einen Schatz zu finden – das ist der Traum eines jeden Schrotthändlers. Und manchmal wird dieser wahr. Zum Beispiel im Jahr 2014. Ein anonym gebliebener Händler aus dem mittleren Westen der USA fand auf einem Antiquitätenmarkt ein aufwendig verziertes, goldenes Ei. Der Preis: umgerechnet 10.000 Euro. Erst mal kein Schnäppchen, er hoffte aber, dass er mit dem eingeschmolzenen Gold einen kleinen Gewinn machen würde.
Zu Hause angekommen klickte er sich durchs Internet. Suchleiste: Ei, Gold, verziert. Die Suchmaschine spuckte aus: Farbergé. Aber konnte das sein? Der russische Zar Alexander III. ließ das erste Ei 1885 von seinem Juwelier Carl Farbergé anfertigen: als Ostergeschenk für seine Frau, die Zarin Maria Feodorowna. Das schien gut angekommen zu sein, sodass der Zar es zur Tradition machte: jedes Osterfest ein goldenes Ei. Insgesamt gibt es 52 Farbergé-Eier, wobei nicht alle Auftragsarbeiten des Zaren waren. Heute sind sie extrem begehrt. 2007 verkaufte die Familie Rothschild eines bei Christie’s in London: für umgerechnet 12,5 Millionen Euro.
Um sicherzugehen, dass sein Eier-Traum wahr war, wandte sich der amerikanische Schrotthändler an die Farbergé-Expertin Kieran McCarthy vom Londoner Juwelierhaus Wartski. Und der lief ein Schauder über den Rücken. Bei dem Ei handelte es sich um eins von acht verschollenen Stücken. Dieses Ei sei der „Heilige Gral“ für Sammler, sagte sie. Wartski vermittelte zwischen Händler und einem Sammler. Der Preis blieb ungenannt.
Skulpturen im Bauschutt
Im Januar 2010 sollte gegenüber dem Roten Rathaus in Berlin eine neue U-Bahn-Station ausgehoben werden. Plötzlich grinste einen der Grabungshelfer aus dem freigelegten Trümmerschutt das Gesicht der deutschen Theater- und Filmschauspielerin Anni Mewes an. Genauer: eine Bronzeskulptur, die der Künstler Edwin Scharff ihrem Kopf nachempfunden hatte. Zeitlebens spielte sie unter anderem auf der Volksbühne in Wien und den Kammerspielen in München. Erst vermuteten Experten, es handle sich um einen Einzelfund. Doch wenige Monate später stießen Arbeiter auf eine regelrechte Skulpturenader: die Tänzerin von Marg Moll, das Stehende Mädchen von Otto Baum, Fragmente der Büste von Otto Freundlich. Spätestens als der Terrakottakopf von Emy Roeders Die Schwangere aus dem Schutt quoll, war klar: Alle diese Werke wurden einst von den Nationalsozialisten als „entartet“ bewertet.
An dem Fundort in der Rathausstraße, die vormals Königstraße hieß, stand einst ein Haus, das 1944 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Erst nach dem Fund der Kunstwerke begannen Ermittlungen. Denn bis zu dem Zeitpunkt gab es keine Hinweise darauf, dass sich hier ein Lager für „Entartete Kunst“ befunden hatte. Doch dann tauchte ein Brief des Reichspropagandaministeriums aus dem Jahr 1942 auf, der bestätigte, dass das Haus ein Depot des Ministeriums beherbergte. Der Brief enthielt eine Liste der deponierten Kunstwerke: Es waren Hunderte, die meisten von ihnen sind zerstört. Die geborgenen Schätze sind heute in verschiedenen deutschen Museen ausgestellt.
Ein „Kunst + Krempel“-Traum wird wahr
Wer auf seinem Dachboden ein altes Gemälde findet, fängt nicht selten an zu träumen. So scheint es zumindest, wenn man sich durch Sendungen wie Kunst + Krempel oder Bares für Rares zappt. Ein paar Kleckser auf einer verstaubten Leinwand wecken Träume vom großen Geld. Und manchmal werden diese Träume wahr.
Anfang der Achtzigerjahre wurde bei Renovierungsarbeiten auf dem Speicher eines Hauses in Taubertal bei Wertheim ein Gemälde entdeckt. Die glücklichen Finder ließen es restaurieren und hängten es sich in die Wohnung. Auf dem Bild: eine bergige Landschaft, eine Bucht und dahinter schneebedeckte Gipfel. Was so schön sei, müsse auch etwas wert sein, dachten sie sich – und gingen damit zu Kunst + Krempel. In der TV-Sendung stellte sich heraus, dass es sich dabei um ein Werk des mexikanischen Malers José María Valesco handele. Dieser war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der anerkanntesten Künstler seines Landes. Sein Œuvre gilt auch heute für viele Mexikanerinnen und Mexikaner noch als identitätsstiftend. 2014 wurde das Bild von dem New Yorker Auktionshaus Sotheby’s als Original bestätigt und für 220.000 US-Dollar, also rund 180.000 Euro, verkauft.