Urlaub 2023: Frag die Sterne
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Urlaubsplanung kann alles andere als erholsam sein. Es gilt, ein Bündel von Faktoren zu berücksichtigen. Absprachen mit Kollegen, Schulferien, Interessen und das Budget. Hotel und Flugpreise haben seit der Pandemie abgehoben. In den USA, wo ich mit meiner Familie lebe, sind Preise für Flüge gegenüber 2022 um 20 Prozent gestiegen, Hotelzimmer sogar über 50 Prozent. Eine durchschnittliche Übernachtung kostet nun 212 Dollar. Vor allem für Jüngere kommt noch ein zu berücksichtigender Faktor dazu: ihr Horoskop. Tatsächlich ist einer der heißesten Reisetrends derzeit, den Trip nicht von einem Reisebüro, sondern von einer Astrologin planen zu lassen. Besonders gefragt sind Solar Returns.
In der Astrologie versteht man unter der „Sonnenrückkehr“ ein Horoskop, das für die Zeit berechnet wird, in der die Sonne an der exakten Position der Sonne im Geburtshoroskop einer Person ankommt. Dies geschieht einmal jedes Jahr um den Geburtstag herum. Solar-Return-Berechnungen sollen Orte ausfindig machen, wo man diesen Zeitpunkt am besten verbringen sollte. Denn, so der Glaube, dadurch kann das darauffolgende Jahr vorteilhaft beeinflusst werden. Entsprechend buchen sie eine Reise dorthin. So wie etwa die Autorin eines Artikels in der New York Times, die sich auf Anraten einer astrologischen Beraterin – oder der Konstellation der Sterne folgend – im November in Alaska wiederfand. Immerhin war ihr Sonnenrückkehrtrip auch finanziell günstig, denn es war außerhalb der Saison.
Die Astrologen haben auch Antworten, die Reiseprofis nicht zu geben vermögen. Haben Sie nicht auch öfter gedacht, Ihre Reisen stünden unter einem schlechten Stern? Verpasste Anschlüsse, verlorene Pässe, laute Hotelnachbarn, Algenplage am Meer? All diese Missgeschicke, so würden die Sterndeuter sagen, liegen daran, dass Sie Ihren Urlaub in eine Zeit legten, in denen Merkur rückläufig war. Astronomen, das sind die Menschen, die im Universum nach wissenschaftlichen Antworten suchen, erklären den rückläufigen Merkur als eine optische Illusion, bei der der Planet den Kurs zu ändern und sich am Himmel rückwärts zu bewegen scheint. In der Astrologie handelt es sich jedoch um ein wichtiges Phänomen, das alles auf den Kopf zu stellen vermag.
Wer sich jetzt Sorgen um die Pfingstferien macht: Bis zum 23. August ist das laut IsMercuryInRetrograde.com nicht der Fall. Die Webseite, gegründet von Kate Trgovac, verzeichnet laut dem Wall Street Journal rund 25.000 Besucher pro Monat, aber diese Zahl verdreifache sich, wenn Merkur rückläufig ist.
Die Tourismusbranche hat die Macht der Planeten inzwischen für sich entdeckt und entsprechende Angebote von der Erstellung von Reiserouten nach dem Geburtshoroskop bis hin zu Resorts mit hauseigenen Astrologen. Wie etwa das Grand Wailea auf Maui, wo die Übernachtung ab 899 Dollar aufwärts kostet, das seinen Gästen laut Webseite folgendes verspricht: „Wichtige Erkenntnisse über Ihren Seelenweg, mit einer persönlichen astrologischen Deutung, die Ihnen emotionale und psychologische Unterstützung für tiefe Heilung, Wachstum und Transformation bietet.“
Dahinter steckt das wachsende Interesse der Millennials und Generation Z, das schon vor der Pandemie einsetzte. Immerhin 62 Prozent der Generation Z und 63 Prozent der Millennials geben an, dass ihr Sternzeichen ihre Persönlichkeitsmerkmale genau widerspiegele. So die Londoner Trendforschungsagentur WGSN. Viele nutzten die Astrologie auch, um Lebensentscheidungen zu treffen – von der Partnersuche über die Berufswahl bis hin zu den Finanzen, einschließlich Immobilien und Investitionen.
Astrologie tröstet über Stress und Unsicherheiten unserer Zeit hinweg
Jahrzehntelang schienen Horoskope auf den hinteren Seiten von Klatschblättern ihr Dasein zu fristen. Doch inzwischen ist es ein Wachstumsmarkt. Im Jahr 2021 etwa wurden mit Astrologie-Dienstleistungen laut Allied Market Research 12,8 Milliarden Dollar umgesetzt. Die Marktforscher prognostizieren 22,8 Milliarden Dollar bis 2031. Gründe für die steile Zunahme seien die Digitalisierung, vor allem die Weiterentwicklung von KI und maschinellem Lernen böten neue Chancen in den kommenden Jahren. „Aber auch der Wunsch der jüngeren Generation nach Hilfe von außen“, so die Marktforscher. Sie warnen allerdings: „Der Mangel an qualifiziertem Personal, eine schlechte Servicequalität aufgrund von Budgetbeschränkungen und die Zunahme von Betrugsfällen begrenzen jedoch das Marktwachstum.“
Zu den Start-ups, die früh auf den Trend aufsprangen, gehört CoStar. 2021 erhielt das Unternehmen der Gründerin 15 Millionen Dollar an Kapital. „Als Kind pakistanischer und türkischer Einwanderer hat Banu ihre Identität auf einem schmalen Grat zwischen wissenschaftlichem Pragmatismus und alten Traditionen wie Kaffeesatzlesen, Handlesen und Astrologie entwickelt“, heißt es über die Mitgründerin (Sternzeichen Skorpion und studierte Psychologin) auf der Webseite von Female Founders Fund, einem der beteiligten Wagniskapitalgeber.
Einer der Anziehungspunkte für die Geldgeber dürfte gewesen sein, dass die App bereits mehr als 20 Millionen Mal heruntergeladen wurde, „und zwar ohne wirkliche Marketinganstrengungen“, wie die Nachrichtenseite Axios damals berichtete. Etwa ein Viertel aller jungen Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren in den USA hätten CoStar auf ihrem Smartphone.
Die Gründe für die Wiederentdeckung der jahrtausendealten Tradition haben viel mit dem Stress und der Unsicherheiten unserer Zeit zu tun. Gerade die jüngeren Generationen litten darunter, so das US-Magazin Atlantic, das dem Trend bereits 2018 nachging. Die Astrologie biete denjenigen, die sich in einer Krise befinden, den Trost, sich eine bessere Zukunft vorzustellen, „eine greifbare Erinnerung an diese klischeehafte Binsenweisheit, an die man sich jedoch nur schwer erinnern kann, wenn man mitten im Geschehen steckt: Auch das wird vorübergehen“, so die Autorin.
Seither hat die Stresserfahrung noch weiter zugenommen. Bei der jährlichen Umfrage der American Psychological Association in 2022 gaben 27 Prozent aller Erwachsenen an, sie könnten vor lauter Stress nicht mehr richtig funktionieren. Bei den unter 35-Jährigen waren es sogar 46 Prozent. Angesichts dieser düsteren Stimmung ist es vielleicht nicht so schlecht, den Blick in den Nachthimmel und die Sterne zu heben. Und sei es nur, um zu sagen: Kopf hoch!