Umfragehoch: Wie sich die AfD ihren Erfolg erklärt

In der AfD kursieren zwei Deutungen ihres aktuellen Umfragehochs. Die eine lautet, die Partei habe den richtigen Kurs eingeschlagen, die andere, die Partei habe überhaupt keinen Kurs eingeschlagen und sei nicht wegen, sondern trotz ihrer Führung erfolgreich.

Der ersten Deutung hängt naturgemäß die Parteispitze an. Einen Anlass, Selbstlob zu äußern, bot ihr am Donnerstag der neue ARD-Deutschlandtrend. In dieser von Infratest dimap durchgeführten Umfrage gewinnt die AfD zwei Prozentpunkte und würde von 18 Prozent gewählt, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Die SPD büßt einen Prozentpunkt ein und liegt ebenfalls bei 18 Prozent.

Die Rechtspopulisten gleichauf mit der Kanzlerpartei – das bestätige „unseren Kurs der interessengeleiteten Politik“, schrieb AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla auf Facebook. Er grenzte seine Partei von den Grünen ab, deren „wertegeleitete Politik“ zu „Wirtschaftskrieg, Teuerung und Deindustrialisierung“ führe. Die AfD sei die einzige Partei, die mit „diesen gefährlichen Grünen“ nicht koalieren würde. „Das wissen die Bürger zu schätzen.“

Nur ein Drittel wollen Partei aus Überzeugung wählen

Zwar wissen der Umfrage zufolge immer noch mehr als achtzig Prozent der deutschen Wähler eine andere Politik mehr zu schätzen; die CDU belegt demnach mit 29 Prozent den ersten Platz. Doch der Zuspruch für die AfD erreicht mit der Umfrage einen neuen Höchstwert. Chrupalla folgerte auch sogleich, der aktuelle Kurs der Partei sei „unser Weg über 20 Prozent“, werde also noch größere Erfolge bringen.

Außerdem gebe es eine Veränderung bei den Gründen für den Erfolg der AfD: „Früher wählten uns viele Bürger aus Protest, immer mehr wählen uns aus Überzeugung. Wir sind Programmpartei!“ Dem Deutschlandtrend zufolge sagt allerdings nur ein Drittel der AfD-Anhänger, die Partei aus Überzeugung wählen zu wollen, zwei Drittel geben an, ihr Grund sei Enttäuschung über die anderen Parteien.

Dazu passt, dass die öffentlichen Wortmeldungen von AfD-Politikern beinahe ausnahmslos in drastischen Worten die Bundesregierung geißeln und mit Anspielungen auf Diktaturen charakterisieren. So äußerte Alice Weidel, neben Chrupalla Bundessprecherin ihrer Partei, diese Woche, die Kompromissbereitschaft der FDP beim Heizungstauschgesetz liefere die Bürger der „Heizungs-Stasi und Wärmeplanwirtschaft“ aus. Von „Heizungs-Wahn“ und „Energie-Stasi“ sprach allerdings auch Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm sagte diese Woche, dank Habeck sei Deutschland auf dem Weg in eine „Öko-Diktatur“. Andere Abgeordnete der AfD äußerten in den vergangenen Wochen, die „Enteignung der Bürger“ nehme Fahrt auf, linker Terror werde ignoriert, der Rechtsstaat versage, die Regierungsparteien hätten Angst vor dem Volk. Gesetzesvorhaben legten „Axt an die Grundlagen der Familie an“ (Selbstbestimmungsgesetz) oder seien „Bürokratiemonster“ (EU-Lieferkettengesetz), seien also nicht nur falsch, sondern zerstörerisch und monströs. Dagegen setzt die AfD auf das Versprechen von Frieden, Wohlstand, Arbeit und einem „Zuwanderungsstopp“.

In der Bundestagsfraktion der AfD wird die Frage, worauf der derzeitige Höhenflug zurückzuführen sei, unterschiedlich bewertet. Einig sind sich alle darin, dass die Politik der Ampel und die Kommunikation der Koalition über ihre Politik einen entscheidenden Beitrag leiste. Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, welches Streitthema man am besten für die eigenen Kampagnen nutzen könne.

Aktuell befeuern viele AfD-Abgeordnete die neue Kampagne „Heizhammer stoppen“, die etwa mit dem Slogan „Heizen wir der Ampel ein!“ gegen das von Wirtschafts- und Bauministerium geplante Gesetz mobilisiert. Dabei wird unterstellt, es gehe der Regierung nicht um den Klimaschutz, sondern um einen „Angriff auf unseren Wohlstand“ und lukrative Posten. Etwas in den Hintergrund geraten ist darüber ein parteiinterner Konflikt, der die vergangenen Monate prägte. Er dreht sich um die Frage, ob die AfD vor allem als Friedenspartei oder als Anti-Migrations-Partei wahrgenommen werden soll.

Im vergangenen Winter verstärkte die Partei vor allem auf das Betreiben von Chrupalla hin ihre Anstrengungen, sich vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine als Friedenspartei zu vermarkten. Da sah man Potential, vor allem unter ostdeutschen Wählern; Chrupalla selbst stammt aus der Oberlausitz. Der Versuch, große Friedenskundgebungen auf die Straße zu bringen, scheiterte im Frühjahr allerdings. In Cottbus, einer AfD-Hochburg, kamen trotz persönlichen Erscheinens Chrupallas nur wenige Hundert Demonstranten. In der Brandenburger AfD fanden viele, der Chef setze aufs falsche Pferd. Was die Leute wirklich aufrege, seien Flüchtlingsunterkünfte.

„Der eine kann’s fachlich nicht, die andere kann’s menschlich nicht“

Auch in der Bundestagsfraktion lästern viele über Chrupalla. Die Partei sei nicht wegen, sondern trotz ihm erfolgreich und könnte noch viel besser dastehen. Eine Abgeordnete sagt, Chrupalla sei in ihrem westdeutschen Wahlkreis „wahnsinnig schwer zu verkaufen“, schon als Politikertypus, aber insbesondere mit seiner auffälligen Russlandaffinität.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Kritik der Fraktion in einer Fraktionssitzung am Dienstag vergangener Woche. Dort verlangten Abgeordnete, noch einmal gründlich darüber zu reden, warum Chrupalla am 9. Mai einen Empfang in der russischen Botschaft besucht habe. Aus Sicht vieler AfD-Abgeordneter war daran vor allem problematisch, dass ausgerechnet am Tag des Sieges der Alliierten über Nazideutschland der Parteichef bei den Siegern feierte.

Jedoch gelang es Chrupalla in der Fraktionssitzung, eine knappe Mehrheit dafür zu gewinnen, das Thema ruhen zu lassen. Seine Gegner führen das auf seine nimmermüde Netzwerktätigkeit zurück. Sie gestehen Chrupalla zu, er sei gut darin, „Sachen im Hintergrund einzufangen“ und sich menschlich mit anderen zu verbinden. Eine Eigenschaft, die andere – teilweise aber auch dieselben Abgeordneten – wiederum Alice Weidel absprechen, die dagegen intellektuell mehr könne. Ein Parlamentarier der AfD charakterisiert die Parteispitze mit den Worten: „Der eine kann’s fachlich nicht, die andere kann’s menschlich nicht.“

Zerstritten ist die AfD, seit es sie gibt; anders als früher werden Richtungsstreits derzeit aber nicht offensiv in der Öffentlichkeit ausgetragen. Mehrere Abgeordnete sagen, sie wollten sich nicht zitieren lassen mit ihrer Kritik an der Parteispitze. Zugleich beobachten sie, dass sich die früher einmal klaren Lager – hier die Rechtsextremen, da die vergleichsweise Gemäßigteren – auflösten und sich Fronten jenseits ideologischer Einstellungen bildeten, „Beutegemeinschaften“, wie einer sagt.

Es handele sich um Interessengruppen, die ihre Macht sichern wollten. „Die Frontlinien verschieben sich ständig.“ So hätten den Vorstoß gegen Chrupalla in der Fraktionssitzung drei Abgeordnete koordiniert, die inhaltlich eigentlich kaum etwas verbinde. Innerhalb der AfD wird also erbitterter gestritten als unter den drei Parteien der Bundesregierung – mit dem Unterschied, dass die Koalition ihren Streit vor aller Augen austrägt.

Source: faz.net