Ukrainekrieg: Donald Trump beschimpft Wolodymyr Selenskyj denn „Diktator“

US-Präsident Donald Trump hat nach dem Treffen einer US-Delegation mit Vertretern Russlands den Ton gegenüber der Ukraine deutlich verschärft. „Ein Diktator ohne Wahlen, Selenskyj sollte sich schnell bewegen oder er wird kein Land mehr übrig haben“, schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social. 

Der ukrainische Präsident sei ein „mittelmäßig erfolgreicher Comedian“, schrieb Trump in Anspielung auf die Bühnenvergangenheit Wolodymyr Selenskyjs. Als Präsident habe dieser aber einen „schrecklichen Job“ gemacht: „Sein Land ist zerstört, und Millionen sind unnötig gestorben.“  

Umfragewerte widersprechen Trumps Behauptungen

Der US-Präsident wiederholte zudem mehrere Behauptungen, die er bereits am Vortag aufgestellt hatte. Selenskyj stehe „weit unten“ in ukrainischen Umfragen und weigere sich, den Krieg zu beenden, um weiter Geld aus dem Ausland zu erhalten, schrieb Trump. Hilfen der USA im angeblichen Wert von 350 Milliarden Dollar seien in einen Krieg geflossen, „der nicht gewonnen werden konnte, der nie beginnen sollte“.

In der Nacht zum Dienstag hatte Trump bereits behauptet, Selenskyjs Umfragewerte in der Ukraine lägen bei vier Prozent – eine Falschbehauptung, die sich auf keine Belege stützt und der die Ukraine am Mittwochvormittag widersprach. In jüngsten Umfragen des anerkannten Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie hatten 57 Prozent der Befragten angegeben, Selenskyj zu vertrauen. 

Damit liegen seine Umfragewerte unter dem Niveau der ersten beiden Kriegsjahre, aber deutlich über der von Trump genannten Zahl von vier Prozent. Bis auf den ehemaligen Militärchef und derzeitigen ukrainischen Botschafter in London, Walerij Saluschnyj, kommt kein ukrainischer Politiker auf höhere Werte.  

Auch Trumps Angaben zum Umfang der US-Unterstützung für die Ukraine von angeblich 350 Milliarden Dollar sind im Vergleich zu bisher bekannten Zahlen weit übertrieben. So ist der von Trump angegebene Betrag, um den sie die europäischen Hilfen angeblich überstiegen – 200 Milliarden Dollar – deutlich überhöht. Dementsprechend widersprach Selenskyj früheren ähnlichen Behauptungen Trumps. An militärischen und finanziellen Hilfen habe die Ukraine etwa 100 Milliarden Dollar aus den USA und ebenso viel aus Europa erhalten, sagte er.

US-Hilfen liegen nicht über, sondern unter europäischem Beitrag

Unabhängige Beobachter nennen ähnliche Zahlen. So beziffert das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, das die internationale Ukraineunterstützung seit Kriegsbeginn misst, alle US-Hilfen seither auf 114 Milliarden Euro. Die EU und weitere europäische Länder hätten in derselben Zeit Hilfen im Wert von 132 Milliarden Euro geleistet. Bei Militärhilfen lägen die USA und Europa mit jeweils etwas mehr als 60 Milliarden Euro in etwa gleichauf, bei Finanz- und humanitären Hilfen liege Europa 20 Milliarden Euro vor den USA.

Trumps Zahlen fallen in den Kontext von Forderungen des US-Präsidenten gegenüber der Ukraine, die bisherigen US-Hilfen mit einem beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen zurückzuzahlen. Einen entsprechenden Vertrag hatte die US-Regierung der Ukraine am Wochenende im Zuge der Münchner Sicherheitskonferenz unterbreitet. Selenskyj verweigerte jedoch eine Unterschrift – nach eigenen Angaben, weil der Vertrag als Ausgleich dafür keine Sicherheitsgarantien der USA vorsah. 

Die Idee, den USA einen privilegierten Zugriff auf ukrainische Ressourcen als Gegenleistung für eine Steigerung der US-Unterstützung anzubieten, stammt vom ukrainischen Präsidenten: Sie war Teil eines Unterstützungsplans, den er im vergangenen Herbst im ukrainischen Parlament vorstellte. Schon damals galt der Vorschlag als Angebot an den zu dem Zeitpunkt noch nicht gewählten Trump. 

Trump fordert Ressourcen, Selenskyj lehnt „Ausverkauf“ ab

Trumps Vorschlag hingegen soll nach ukrainischen Angaben keine Gegenleistung vorgesehen haben – dafür aber einen Zugriff auf Ressourcen im Wert von 500 Milliarden Dollar, also dem Vierfachen dessen, was die USA an Hilfen geleistet haben. Der Umstand, dass ein Großteil der US-Unterstützung in Form von Nachbeschaffung gelieferter Waffen an die US-Rüstungsindustrie floss und nicht an die Ukraine ging, ist in dieser Rechnung dabei nicht eingepreist.

In Kyjiw hatten bereits Trumps Äußerungen vom Mittwoch für Irritationen gesorgt. Der US-Präsident lebe in einem „Desinformationsraum“, mutmaßte Selenskyj, und erklärte den Einfluss russischer Propaganda für verantwortlich dafür. Er könne aber keinen „Ausverkauf“ seines Landes verantworten. Forderungen nach Wahlen noch vor einem Ende des Krieges erteilte Selenskyj ebenfalls eine Absage: Sie seien ein „Ultimatum“, dem er sich nicht beugen wolle.

In den vergangenen Tagen hatten sich Trump und mehrere seiner Vertrauten verbal der Deutung Russlands angenähert, wonach Selenskyj kein Recht mehr habe, sein Land zu vertreten. Russlands Staatschef Wladimir Putin begründet das mit der im vergangenen Jahr in der Ukraine kriegsbedingt ausgefallenen Präsidentschaftswahl. Diese darf nach ukrainischem Recht nicht im Kriegszustand abgehalten werden. Auch politisch gibt es für Neuwahlen im Krieg keine Unterstützung in der Ukraine: Selbst ein Großteil der Gegner Selenskyjs strebt nach eigenen Aussagen erst nach dem Kriegsende Wahlen an.  

Kurswechsel der USA zugunsten Russlands

Sollten die USA Neuwahlen in der Ukraine zur Bedingung für eine weitere Vermittlung zwischen der Ukraine und Russland machen, wäre das ein deutlicher Kurswechsel in Richtung russischer Forderungen. Einen vom US-Sender Fox News verbreiteten angeblichen Plan, wonach die USA und Russland zunächst einen Waffenstillstand, anschließend Wahlen und erst danach die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit einer neuen ukrainischen Regierung anstrebten, bezeichnete Russlands Außenminister Sergej Lawrow als „Fälschung“. Laut Putins Sprecher Dmitri Peskow soll es aber einen „Meinungsaustausch“ zum Thema Wahlen in der Ukraine gegeben haben.

Lawrow und weitere russische Unterhändler hatten sich am Dienstag im saudischen Riad mit einer Delegation der USA getroffen, die vom US-Außenminister Marco Rubio angeführt wurde. Es war das erste Treffen zwischen US-amerikanischen und russischen Diplomaten in einem solchen Format seit Kriegsbeginn. Lawrow und später auch Putin lobten die Gespräche: Die neue US-Regierung zeige, dass sie russische Interessen berücksichtigen wolle. Trumps Verhandlungsteam sei „vorurteilsfrei“, sagte Putin.

Auf die Bezeichnung „Diktator“ reagierte Selenskyj indessen zunächst nicht. Der ukrainische Präsident empfing parallel zu Trumps schriftlicher Äußerung in Kyjiw Trumps Sondergesandten Keith Kellogg. Der Ex-General ist für Kontakte der neuen US-Regierung mit der Ukraine zuständig. In den vergangenen Wochen äußerte er regelmäßig deutlich mehr Verständnis als Trump für die ukrainischen Befürchtungen, bei einem schnellen Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien schnell wieder Opfer eines neuen russischen Angriffs zu werden. Wie viel Einfluss Kelloggs Einschätzung auf Trump hat, ist jedoch unbekannt. Der US-Delegation, die sich in Riad mit Vertretern Russlands traf, gehörte er nicht an.

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