Ukraine | Ukraine-Verhandlungen zwischen USA und Russland: Zwei Züge rasen aufeinander zu

Donald Trump hat sich als zu schwach und zerrissen erwiesen, das am 15. August mit dem russischen Präsidenten beim Alaska-Gipfel gefundene Agreement durchzusetzen. Das Ergebnis sind neuerliche Eskalationsszenarien, die es in sich haben


Donald Trump will Russland zu Verhandlungen zwingen, ohne die Alaska-Übereinkunft zu verwerfen

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Nicht auszuschließen, dass Donald Trump von seiner bisherigen Ukraine-Politik enttäuscht ist, sodass er sich von einer abrupten Wendung Entlastung verspricht. Sie besteht unter anderem in dem offenkundigen Verlangen, wieder mehr Verfügungsgewalt über Eskalationsszenarien des Krieges in Europa zu erlangen und Russland zu bedeuten: Wir scheuen nicht länger Risiken, die bisher vermieden wurden.

Keith Kellogg, Trumps Ukraine-Emissär, gibt sich gegenüber dem Kanal Fox News überzeugt, dass demnächst Tomahawk-Marschflugkörper an Kiew geliefert werden, sofern sich genug europäische NATO-Staaten finden, dafür zu zahlen. Es wäre der Ukraine dann freigestellt, mit US-Langstreckenwaffen russische Ziele zu attackieren. Bei einer Reichweite von 2.500 Kilometern würden Moskau und der Kreml ins Visier geraten.

Den Gegner dort treffen, wo er am verwundbarsten ist

Da die Ukraine selbst demnächst mit der Neptun-Rakete und dem Marschflugkörper „Flamingo“ eigene Angriffswaffen mit einem Aktionsradius von bis zu 3.000 Kilometern im Bestand haben will, nährt das Hoffnungen, den Gegner dort zu treffen, wo er am verwundbarsten ist, sprich: sein Vermögen zur Kriegsführung am stärksten Schaden nimmt.

Es geht um Standorte der Rüstungsindustrie, der Ölgewinnung und -aufbereitung sowie Militärbasen. Auch solche, auf denen Trägersysteme von Kernwaffen stationiert sind. In Moskau würden Studien kursieren, so der ukrainische Geheimdienst HUR, dass der Krieg 2026 beendet werden müsse, weil alles andere ökonomisch kaum zu verkraften sei. Will die Ukraine ein Zeitfenster aufstoßen, das sich für Russland zu schließen beginnt? Wer bring wen in Zugzwang?

Unerbittliche Kampfansagen und konträre Vorstellungen

Die Kriegslage zeigt, noch lässt sich die Führung in Moskau nicht darin beirren, die Ukraine an den Rand des militärischen Bankrotts und ökonomischen Kollapses zu bringen. Die Luftschläge reißen nicht ab, während im Osten demnächst die eingekesselten Städte Pokrowsk wie Kupjansk erobert sein könnten, womit sich ein Gebietstausch anbieten ließe: den gesamten Donbass gegen teilbesetzte Regionen um Sumy oder Charkiw.

In der Konsequenz rasen zwei Expresszüge aufeinander zu. Sie haben unerbittliche Kampfansagen und konträre Vorstellungen über ein Kriegsende an Bord. Russland will den Verzicht der Ukraine auf die NATO und eigene Territorien mit vertraglichen Garantien für eine neue europäische Sicherheitsordnung versehen. Erst wenn dies als Agenda für Verhandlungen feststeht, soll es eine Waffenruhe geben.

Kiew und die NATO wollen umfassende Sicherheitsgarantien zugunsten der Ukraine, keine sicherheitspolitische Inventur für Europa und einen Waffenstillstand sofort. Erreicht werden soll das durch ein ungefähres Patt auf dem Schlachtfeld, das einem politischen Patt Vorschub leistet, um Russland daran zu hindern, seine Friedensbedingungen durchzusetzen.

Putin zu Verhandlungen zwingen, ohne Alaska aufzugeben

In welchem dieser Züge sitzt Donald Trump? In keinem oder in beiden? Gegenwärtig hat es den Anschein, als wollte er Wladimir Putin zu Verhandlungen zwingen, ohne die Übereinkunft des Alaska-Gipfels von Mitte August für vollends hinfällig zu erklären. Was freilich nicht groß ins Gewicht fällt, solange der US-Präsident daran scheitert, sie im eigenen Lager durchzusetzen. Das gilt in Europa für die Ukraine-Alliierten wie in den USA für den eigenen Anhang. Weder die Republikaner in Gänze noch Vizepräsident J.D. Vance oder Außenminister Marco Rubio sympathisieren mit einem allzu russlandfreundlichen Kurs, der Moskau eine enge Kooperation anbietet, wenn der Ukraine-Krieg erst einmal vorbei ist.

Eine heutige Ukraine ist die sicherste Gewähr für den Status quo

Auf der Pressekonferenz zum Gipfel am 15. August in Anchorage hatte Trump der Aussage Putins nicht widersprochen, dass es einen Friedensschluss in der Ukraine nur mit einer über die Ukraine hinausgehenden, sie aber sehr wohl schützenden, neuen europäischen Friedensordnung geben könne. Bisher beharrt Moskau auf dieser Verbundlösung. Der NATO ist sie höchst suspekt.

Natürlich wird das nicht expressis verbis verkündet, sondern nach der Devise verfahren: Wir wollen die seit 1990/91 entstandenen sicherheitspolitischen Unwuchten als Status quo aufrechterhalten. Eine russlandfeindliche Ukraine bleibt die sicherste Gewähr dafür. Schließlich wäre das Eingeständnis ein schwer zu verkraftendes Politikum, seit 35 Jahren den Abgrund zwischen zwei Machtblöcken herbeigeführt zu haben und nun Vorsorge treffen zu müssen, nicht hineingerissen zu werden.

Im Klartext sagen Friedrich Merz, Emmanuel Macron oder Donald Tusk: Wir wollen für die Ukraine keinen Frieden mit Russland, solange der über die Ukraine hinausgeht und das Europa der NATO zu Zugeständnissen zwingt. Also setzt man lieber auf eine Spirale der gegenseitigen existenziellen Bedrohung. Wer zermürbt wen? Russland hat diesen Krieg nicht begonnen, um dem ausgesetzt zu sein und wieder im Jahr 2022 anzukommen. Es wird aus seinem Zug nicht aussteigen.