Ukraine-Überblick: Ukraine bittet Deutschland um Lenkwaffen, Rutte erwägt F-16-Lieferung

Die Ukraine hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen um Marschflugkörper vom Typ Taurus gebeten. Das bestätigte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Sie machte keine näheren Details zu dem Schreiben – etwa dazu, wie viele Einheiten die ukrainische Regierung angefragt hat. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, Präsident Wolodymyr Selenskyj habe darüber schon bei seinem Berlin-Besuch im Mai mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen.

Taurus-Marschflugkörper haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Sie werden von Kampfflugzeugen abgeworfen und finden ihre Ziele selbstständig. Der Lenkflugkörper kann Radar unterfliegen. Er gilt als wirksame Waffe gegen geschützte Ziele wie Kommandobunker oder Munitionsdepots.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hatte sich vor wenigen Tagen für die Lieferung der Lenkwaffen an die Ukraine ausgesprochen. Mit ihren maximal 500 Kilometern Reichweite ermöglichten sie dem angegriffenen Land „Schläge gegen die militärische Infrastruktur der Russen weit hinter der Frontlinie“, hatte er gesagt. Von den 600 Taurus, die vor zehn Jahren für die Bundeswehr beschafft worden waren, seien heute noch „um die 150“ einsatzbereit.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte am Dienstag zurückhaltend auf Kiesewetters Vorschlag reagiert. Er sagte aber auch, er sei „der Auffassung, dass wir die Ukraine mit allen völkerrechtlich zulässigen Systemen unterstützen sollten, die es braucht, um diesen Krieg zu gewinnen und die wir imstande sind, zu geben“.

Rutte: Niederlande erwägen „ernsthaft“ Lieferung von F-16-Jets an die Ukraine

Gut eine Woche, nachdem die Niederlande und Großbritannien eine internationale „Kampfjet-Koalition“ angekündigt haben, geht die Regierung in Den Haag einen Schritt weiter: Man ziehe „ernsthaft in Erwägung“, der Ukraine selbst F-16-Kampfjets zur Verfügung zu stellen, sagte Ministerpräsident Mark Rutte auf einer Pressekonferenz. Wie die USA, Portugal und Dänemark haben sich die Niederlande bereits verpflichtet, ukrainische Piloten an der F-16 auszubilden. Dies sei aber nicht alles, sagte Rutte: „Wenn man mit der Ausbildung beginnt, ist es offensichtlich, dass man [die Entsendung von F-16] ernsthaft in Erwägung zieht.“

Die endgültige Entscheidung hängt von der Zustimmung der USA ab, die die F-16 herstellen. Bei den Leopard-Panzern war es ähnlich; damals mussten die westlichen Verbündeten die Zustimmung Deutschlands einholen. Deutschland und Großbritannien haben schon deutlich gemacht, dass sie keine Kampfjets liefern werden.

Bislang hat die Ukraine 14 MiG-29-Kampfjets aus der Sowjetära von Polen und 13 von der Slowakei erhalten. Das größte Interesse hat die Ukraine jedoch an F-16-Kampfflugzeugen gezeigt – auch wenn diese für die geplante Frühjahrsoffensive zu spät kommen werden.

EU und USA verurteilen Verlegung russischer Atomwaffen nach Belarus

Die russische Regierung hat Meldungen zufolge ihre Ankündigung vom März umgesetzt und Atomwaffen ins Nachbarland Belarus verlegt – ein Schritt, den EU-Chefdiplomat Josep Borrell und US-Präsident Joe Biden deutlich kritisieren. Dies werde „zu einer weiteren äußerst gefährlichen Eskalation führen„, schrieb Borrell. Biden sagte, er reagiere „extrem negativ“ auf entsprechende Berichte.

Borrell bezeichnete Belarus als „Komplize in Russlands illegalem und unprovoziertem Angriffskrieg gegen die Ukraine“ und forderte die Regierung auf, „seine Unterstützung für Russlands Angriffskrieg unverzüglich einzustellen“. Die Stationierung von Atomwaffen auf belarussischem Territorium verstoße gegen die Nichtverbreitungsvereinbarungen, die Belarus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschlossen hat, schreibt er weiter und ergänzt: „Jeder Versuch, die Situation weiter zu eskalieren, wird mit einer starken und koordinierten Reaktion beantwortet werden.“

Vorgestern hatten sich Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und sein belarussischer Amtskollege Viktor Khrenin in Minsk getroffen, um ein Abkommen über die Stationierung russischer nicht-strategischer Atomwaffen auf belarussischem Gebiet zu unterzeichnen. Kurz darauf behauptete der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, die Verlegung russischer Atomwaffen nach Belarus sei bereits im Gange.

Weitere wichtige Ereignisse der Nacht:

  • Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer sieht Europas Sicherheit dauerhaft durch Russland bedroht. Ein Waffenstillstand werde dauerhaft „territoriale Kompromisse“ erfordern.
  • Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat nach eigenen Angaben eine Einladung des russischen Diktators Wladimir Putin nach Russland abgelehnt. Im Telefonat mit Putin sagte Lula demnach aber, Brasilien werde „mit beiden Seiten des Konflikts sprechen“. Die westlichen Verbündeten kritisieren Lulas Haltung zum Angriffskrieg seit Monaten.
  • Das polnische Parlament will untersuchen lassen, ob Russland die Sicherheit des Landes beeinflusst hat. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte für den Gesetzentwurf der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, sie wolle damit vor der Parlamentswahl im Herbst lediglich den Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Donald Tusk diskreditieren.
  • Das US-Verteidigungsministerium sieht russische und chinesische Hackerangriffe, unter anderem auf kritische Infrastruktur, als akute Bedrohungen. Seine neue Cyberspace-Strategie berücksichtigt die Lehren aus dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.
  • Senator Lindsey Graham, ein konservativer Republikaner aus dem US-Bundesstaat South Carolina, ist zum dritten Mal seit Beginn der russischen Invasion nach Kiew gereist. Er versicherte Selenskyj, dass der US-Kongress die Ukraine weiter unterstützen werde – ungeachtet dessen, was die Kandidaten seiner Partei im Wahlkampf von sich gäben.
  • Russische Statthalter in der ukrainischen Region Donezk sowie haben Raketenangriffe auf die Stadt Mariupol gemeldet. Zuvor hatte die ukrainische Exilbehörde der Stadt von einer großen Explosion berichtet.

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