Überschwemmungen nach Zerstörung von Kachowka-Staudamm

Der Kachowka-Staudamm bei Cherson in der Südukraine ist nach Angaben des ukrainischen Militärs am frühen Dienstagmorgen von russischen Streitkräften gesprengt worden. Nach der Beschädigung des Staudamms in dem russisch kontrollierten Teil der ukrainischen Region Cherson strömt demnach Wasser unkontrolliert aus dem Stausee. Mehrere Ortschaften, darunter auch ein Teil der Großstadt Cherson, flussabwärts des Dnipro sind von Überschwemmungen bedroht. Die Gebietsverwaltung von Cherson hat eine Notfallevakuierung angekündigt. Der Höhepunkt der Flut werde gegen Mittag erwartet.

Mehr als 700 Menschen seien vom Westufer bereits in Sicherheit gebracht worden, teilte der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko am Dienstagvormittag mit. „Wir helfen den Bürgern im befreiten rechtsufrigen Teil der Region Cherson“, sagte er. Man sorge sich auch um die Menschen auf der anderen Seite des Flusses, in den von Russland besetzten Gebieten. Insgesamt geht es um etwa 16.000 Menschen am Westufer und 22.000 Menschen am Ostufer des Dnipro, die von den Überschwemmungen betroffen sind.

Aus dem russisch besetzten Gebieten heißt es, erste Siedlungen seien schon überflutet worden. In sozialen Netzwerken wurden Aufnahmen von Überschwemmung in Nowa Kachowka geteilt. Die von Moskau eingesetzten Verwaltung im Gebiet Cherson hat nach eigenen Angaben die Bewohner der Küstengemeinden gewarnt, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten, falls sich die Lage verschlechtern sollte. 

Laut russischen Behördenangaben sind 22.000 Menschen von Überschwemmungen bedroht. Das meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf die von Russland installierte Verwaltung in den besetzten Teilen der ukrainischen Region Cherson. Die Menschen lebten in 14 Ortschaften im Süden der Region Cherson.

Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit und das Volumen des Wassers sowie die wahrscheinlichen Überschwemmungsgebiete werden derzeit geklärt“, erklärte das Militär auf seiner offiziellen Facebook-Seite. Der Kachowka-Staudamm ist laut der russischen Nachrichtenagentur Tass auf der Hälfte seiner Länge zerstört. Das Bauwerk stürze weiter ein, meldet die staatliche Agentur unter Berufung auf Rettungsdienste.

Der Wasserstand rund um den zerstörten Kachowka-Staudamm ist der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge bereits um fünf Meter gestiegen. Mehrere flussabwärts gelegene Inseln seien inzwischen völlig überflutet, meldet RIA unter Berufung auf örtliche Behörden.

Das an den Staudamm angrenzende Wasserkraftwerk ist nach Angaben beider Kriegsparteien zerstört. Es sei „offensichtlich“, dass eine Reparatur nicht möglich sei, sagte der russische Besatzungsbürgermeister Wladimir Leontjew am Dienstag im russischen Staatsfernsehen. Auch der ukrainische Kraftwerksbetreiber sprach von einer kompletten Zerstörung der Anlage.

Der Staudamm Kachowka  wurde in der Anfangsphase der russischen Invasion 2022 erobert. Er ist von strategischer Bedeutung, da er die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit Wasser und einen großen Teil der Südukraine mit Strom versorgt. Der am Fluss Dnipro gelegene Damm ist eine der größten Anlagen dieser Art in der Ukraine. Außerdem versorgt der Stausee das nahegelegene Atomkraftwerk Saporischschja mit Kühlwasser.

Für die Sicherheit des Atomkraftwerkes Saporischschja besteht nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) keine direkte Gefahr durch die Situation rund um den Kachowka-Staudamm. Es gebe kein  „unmittelbares nukleares Risiko“, teilte die IAEA mit. Experten der Behörde beobachteten die Lage. Nach Einschätzung der ukrainischen Atomenergiebehörde Energoatom besteht hingegen eine Gefahr für das Atomkraftwerk. Die Lage sei aber gegenwärtig unter Kontrolle, teilt Energoatom auf Telegram mit

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Sicherheitsrat einberufen. In einer morgendlichen Ansprache betonte er, dass die Russen mit solchen Aktionen einmal mehr der ganzen Welt bestätigen, dass sie aus jedem Winkel des ukrainischen Landes vertrieben werden sollten. „Kein einziger Meter sollte ihnen überlassen werden, denn sie werden jeden Meter für ihren Terror nutzen. Nur ein ukrainischer Sieg wird die Sicherheit zurückbringen. Und dieser Sieg wird kommen. Die Terroristen werden die Ukraine weder mit Wasser, Raketen noch irgendwas anderem aufhalten können“, teilte er auf Telegram mit.

Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, hat die Zerstörung des Staudamms und des Kraftwerks als Ökozid bezeichnet. „Die Russen werden dafür verantwortlich sein, dass den Menschen im Süden von Cherson und auf der Krim möglicherweise das Trinkwasser entzogen und ein Teil der Siedlungen und der Biosphäre zerstört wird“, schrieb er auf Telegram. Außerdem bedrohe dies die globale Ernährungssicherheit, denn „diese Katastrophe wird das Bewässerungssystem in der Südukraine beeinträchtigen.“

Am frühen Morgen waren erste Videos von dem beschädigten Staudamm auf Telegram aufgetaucht. Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in der von Russland besetzten Stadt Nowa Kachowka dementierte dies. „Alles ist ruhig und gelassen, es gibt überhaupt nichts“, zitierte ihn die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti. Später sagte er, dass nur „der obere Teil des Kraftwerks“ beschädigt worden sei, der Damm selbst aber intakt sei.

Schon im vergangenen Herbst gab es Befürchtungen, dass russische Kräfte während des Rückzugs aus der Gebietshauptstadt Cherson versuchen würden, den Damm zu sprengen. Damals hatte die ukrainische Armee einen Teil der besetzten Orte im Gebiet Cherson während ihrer Gegenoffensive zurückerobern können.

Source: faz.net