„Twin Peaks“ von David Lynch machte vor, welches in einer TV-Serie was auch immer möglich ist
In den kommenden Tagen und Wochen wird viel über David Lynchs gigantischen Beitrag zum Kino gesprochen werden. Unbestreitbar, wohlverdient. Aber David Lynch beherrschte jedes Medium, in dem er arbeitete. Seine Musik klang wie Musik, die nur er machen konnte. Und, ganz ehrlich, sowohl sein täglicher Wetterbericht als auch seine Lottoziehung Today’s Number Is rechtfertigen, dass man sich an ihn als bahnbrechenden YouTuber erinnert.
Was seinen Einfluss auf andere angeht, könnte es jedoch sein, dass Lynchs wichtigstes Feld das Fernsehen war. Zu seinen Lebzeiten hat Lynch nur an vier TV-Projekten gearbeitet. Zwei davon wurden nach nur drei Folgen eingestellt. Aber die anderen beiden waren Twin Peaks. Und der Einfluss der beiden Twin-Peaks-Serien auf das Medium Fernsehen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Beginnen wir mit dem Original. Nach dem Erfolg von Blue Velvet zögerte David Lynch zunächst, für das Fernsehen zu arbeiten, das er als minderwertiges Format ansah. Doch als er sich mit dem Autor Mark Frost (Hill Street Blues) zusammentat, erkannte Lynch, wozu sie gemeinsam fähig sein könnten. Frosts eher formalisierte, dramaturgisch orientierte Erzählweise passte gut zu Lynchs düsterem Surrealismus, und sie machten sich an die Arbeit zu einem Kleinstadtkrimi. Ein Mädchen von nebenan. Ein idealistischer Detektiv. Viele Sonderlinge. Und The Red Room, ein unerklärliches Vorzimmer, das die reale Welt mit einer anderen Dimension verbindet und von dem Lynch behauptete, die Idee dazu sein ihm gekommen, als er in einer kalten Nacht ein warmes Auto berührte.
David Lynch ergründete Amerikas dunkle Seite – und hatte Spaß dabei
Zu sagen, Twin Peaks sei eine Sensation gewesen, wäre eine Untertreibung. Die Serie hatte für jeden etwas anzubieten. Diejenigen, die mit den Mustern des traditionellen Fernsehens aufgewachsen waren, ließen sich in den Mord-Plot um Laura Palmer hineinziehen, aber eine jüngere, hippere Generation durchschaute das Spiel hinter der Story. Hier konnte Lynch sich austoben, die dunkle Seite Amerikas gründlicher als je zuvor erkunden und dabei Spaß haben. Twin Peaks spielte auf unwiderstehliche Art und Weise mit müden alten Genremustern. Teils liebevoll, teils höhnisch. Und mit Bob, gespielt von Frank Silva, dem bösartig aussehenden Ausstatter der Serie, ist ihm die vielleicht furchterregendste Figur gelungen, die es je im Fernsehen gegeben hat.
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Mit den ersten beiden Folgen, die zusammen als Pilotfilm ausgestrahlt wurden, erreichte der Sender ABC einen Zuschauerrekord. Die Serie wurde für 14 Emmy-Preise nominiert.
Doch die glorreichen Tage von Twin Peaks hielten nicht lange an. Der Druck, den Krimi zu Ende zu bringen, und das scheinbar nachlassende Interesse Lynchs führten dazu, dass die Einschaltquoten in der zweiten Staffel rapide sanken und die Serie schließlich abgesetzt wurde. Aber wenn man sich heute die prestigeträchtigen Serien des so genannten Goldenen Zeitalters der Fernsehserien ansieht, ist leicht zu erkennen, welche Spuren Twin Peaks hinterlassen hat. Die surrealen Wendungen von Breaking Bad. Die visuellen Motive, die sich durch The Sopranos ziehen. Die Mysterien von Lost. Das bewusst bedächtige Tempo von Mad Men. All dies und noch viel mehr verdanken wir David Lynch.
1992 entwickelten David Lynch und Mark Frost eine Sitcom
Aber Lynchs Abenteuer im Fernsehen begannen und endeten nicht mit Twin Peaks. 1992 versuchten Lynch und Frost, für die Sitcom das zu tun, was Twin Peaks für die Detektivserie war, und entwickelten On the Air. On the Air wurde für ABC produziert und entzieht sich bis heute jeglicher Erklärung. Die Show war voller Slapstick, satirisch, absurd und stellenweise alptraumhafter als alles, was Lynch je gemacht hat.
Sie verwirrte die Zuschauer so sehr, dass ABC sie nach der Hälfte der Laufzeit absetzte und vier Folgen hinterließ, die nie von einem breiten Publikum gesehen wurden. Teile davon kann (und sollte) man sich auf YouTube ansehen. Im folgenden Jahr drehte Lynch The Hotel Room für HBO. Ein halbstündiges Drama, bei dem jede Folge im selben Hotelzimmer zu einem anderen Zeitpunkt spielt. Drei Folgen wurden gedreht, es hätte eine ganze Staffel entstehen sollen, aber das Interesse war mäßig und so blieb es bei den ersten Folgen.
Und das war’s dann mit David Lynch und dem Fernsehen, bis Twin Peaks erneut anklopfte. David Nevins vom Kabelsender Showtime kündigte Twin Peaks: The Return vorab als „die reine Heroin-Version von David Lynch“, und hatte damit nicht unrecht. Mit seiner Kompromisslosigkeit brachte The Return 2017 das Fernsehen in eine Form, die es nie zuvor erreicht hatte und vielleicht auch nie wieder erreichen wird. Lynch nutzte das neue Twin Peaks, um dem Zuschauer jegliche Orientierungshilfe zu verweigern. Die Szenen dauerten viel länger, als ihnen zugestanden hätte. Alte Lieblingscharaktere wie Dale Cooper kehrten in absichtlich entstellten und unbefriedigenden Versionen ihrer selbst zurück.
Mit Folge acht schrieb Lynch endgültig Geschichte
Und dann war da noch Folge acht, die es wirklich verdient, in die Geschichte einzugehen. Vorgeblich ein Mythologie-Dump, der die gesamte Serie erklären sollte, schleppte sie uns stattdessen in den Atompilz einer buchstäblichen Kernexplosion und schmetterte uns das angsteinflößende atonale Kreischen von Pendereckis Threnody to the Victims of Hiroshima entgegen. Was Struktur und Erzählung betrifft, so sagte uns die Folge nichts.
Aber wer sie sah, bei dem verursachte sie einen Knoten in den Eingeweiden, der sich bis heute nicht gelöst hat. Folge acht von Twin Peaks: The Return war nicht nur der Höhepunkt der Serie oder der Höhepunkt von David Lynchs Karriere. Es war der Höhepunkt des gesamten Mediums, ein Moment, der wahrscheinlich niemals mehr erreicht, geschweige denn übertroffen werden wird. Was für ein Vermächtnis.
Stuart Heritage ist Filmkritiker des Guardian