TV-Kritik zur „Wahlarena“: Die Normalisierung dieser AfD ist mit diesen Worten verriegelt

Zum dritten Mal innerhalb weniger Tage treten am Montagabend die Kanzlerkandidaten in einem gemeinsamen Format auf. „Wahlarena“ hieß die jüngste Sendung mit Friedrich Merz, Olaf Scholz, Alice Weidel und Robert Habeck in der ARD. Anders als am Abend zuvor, wo sie miteinander diskutierten, durften nun wieder – wie schon im Format „Klartext“ – die Zuschauer fragen. Allerdings stellt sich bei der Fülle an Wahlsendungen, Duellen, Quadrellen und Bürgerbefragungen mittlerweile die Frage: Welche neuen Erkenntnisse soll das noch bringen?

Immerhin zeigen die Umfragewerte der großen Parteien in den letzten Wochen kaum noch Veränderungen. Die geringen Schwankungen liegen innerhalb der Fehlertoleranz. Weder die Abstimmung von Union und FDP mit der AfD im Bundestag, noch Elon Musks Wahlaufruf für die AfD oder Scholz‘ „Hofnarr“-Ausfall gegenüber dem CDU-Politiker Joe Chialo haben das Ruder herumgerissen. Und dennoch stehen alle vier am Abend in der Sendung von Jessy Wellmer und Louis Klamroth wieder bereit – Weidel sogar, wie sie sagt, zulasten des Geburtstags ihres Sohnes.

Dass zumindest die Politiker selbst nur noch wenig Neues übereinander erfahren, das lassen Scholz und Weidel wissen, als sie für eine einzige Frage exakt zur Mitte der Sendung kurz aufeinandertreffen. Ob sie kürzlich etwas Neues über Scholz gelernt hätte in der heißen Phase des Wahlkampfes, will die Moderatorin wissen – und Weidel antwortet prompt: „Nein.“ Auch Scholz lässt wissen: „Nein, Frau Weidel bleibt sich treu.“ Ob es den Zuschauern damit anders geht als ihnen beiden?

Ein Landwirt, der sich bei Fridays for Future engagiert

Deutlich zu spüren ist, dass nicht nur die Kandidaten, sondern auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich an seinen Fehlern der vergangenen Sendungen abarbeitet: 150 Menschen saßen bei der „Wahlarena“ im Publikum. Sie hatten sich im Vorfeld mit ihren Fragen bei dem Sender beworben. Bei der Einladung sollten nun, so schreibt es die ARD, die Fragen der Menschen im Vordergrund stehen, nicht aber die politische Orientierung. Wie ein Warnhinweis liest sich der Passus auf der Seite, dass es dennoch „kein repräsentatives Publikum“ sei, das auch nicht „die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag nachbildet.“ Auch weisen die Moderatoren, noch bevor der erste Kandidat die Bühne betritt, darauf hin, dass einige der Gäste im Publikum politisch aktiv seien – doch das sei kein Grund, diese Menschen nicht einzuladen.

Friedrich Merz gehörte an diesem Abend der Aufschlag. Nur knapp 30 Minuten hatte jeder Kandidat für die Anliegen des Publikums. Auf die Frage eines Mannes, der sich als Partner einer Unternehmensberatung in Hamburg vorstellt, und wissen will, wie es um die Zumutung der CDU für die Wähler stehe, zieht Merz die „Totalverweigerer“-Karte. Zumutungen, so Merz, gäbe es für die Menschen, die nicht arbeiten wollen. Bürgergeldempfänger also, die zwar körperlich oder psychisch arbeiten könnten, jedoch keine zumutbare Arbeit annehmen. Dass diese Gruppe der „Totalverweigerer“ aber nicht mal ein Prozent der Bürgergeld-Empfänger ausmacht, kommt nicht auf den Tisch. Das Deutsche Institut für Wirtschaft jedenfalls schätzt diese Gruppe auf bloß 14.000 Menschen. Für die kann sich Merz allerdings eine Reduktion der Bezüge auf null vorstellen.
Stets bemüht: Louis Klamroth und Jessy Wellmer moderieren die Sendung ARD „Wahlarena“.
Stets bemüht: Louis Klamroth und Jessy Wellmer moderieren die Sendung ARD „Wahlarena“.dpa

Ein anderer Gast, der sich Merz als Landwirt vorstellt, möchte über den Klimawandel reden. Landwirte wie er seien durch Extremwetter wie Starkregen und Trockenheit betroffen, klagt er. Merz bleibt mit seiner Antwort im Ungefähren. Während er vor einem Wildwuchs an Windkraftanlagen warnt und den Klimawandel durch „Innovation und neue Technologien“ bekämpfen will, nennt er es erstaunlich, wie wenig über das Klima gesprochen würde. Den Klimawandel nennt er ein „massives Problem“. In den sozialen Medien entflammt anschließend eine Diskussion darüber, dass der Landwirt sich bei Fridays for Future engagiere, wie sein Instagram-Profil wissen lässt.

Insgesamt wirkt Merz zwar weniger arrogant als zuletzt, doch bleiben seine Antworten zumeist aalglatt, oft gewunden und ausweichend. Mitreißen kann er die Zuschauer nicht. Einen Treffer landet er bloß, als er einer Lehrerin im Publikum gerade heraus sagt, dass er ihren Berufsstand für den wichtigsten in Deutschland halte. Während das für viele andere Menschen, wie etwa die anwesende Pflegerin im Publikum, wie Hohn wirken muss, zeichnet sich im Gesicht der Lehrerin der Ansatz eines Lächelns ab.

Alle schütteln Weidel freundlich die Hand

Auf Merz folgt Scholz, der erst kurz zuvor aus Paris zurückgekehrt sein kann, jetzt aber mit seinem vertraut schlumpfigen Grinsen in die Wahlarena marschiert. Als die beiden Kandidaten aufeinandertreffen, machen sie klar: Zusammen regieren wollen sie nicht. Dabei ähnelt sich ihr Stil doch eigentlich sehr. Denn auch Scholz antwortet auf die starken und immer um Konkretion bittenden Anliegen der Zuschauer oft ausweichend und zu ausführlich. Etwa dann, wenn eine Ärztin ihn bittet, darzulegen, wie seine Partei mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen umgehen will. Scholz floskelt daraufhin: „Der Klimawandel und seine Folgen sind ein ganz zentrales Thema für unsere Zukunft“ und der Klimawandel sei eine Zukunftsfrage, die zu lösen sei. Das dachte sich die Fragestellerin mutmaßlich schon.

Als ein junger Mann von ihm wissen will, wie Scholz das Rentenniveau sichern will und dieser daraufhin beginnt, musterschülerhaft das Wahlprogramm zu referieren, sagt dieser: „Ich muss einhaken. Das sind wieder nur politische Floskeln.“ Scholz holt abermals ausführlich aus, gibt sich gar kampflustig: „Dann lassen Sie uns streiten.“ Auch er scheint, ähnlich wie Merz, aus den Schwächen der vergangenen Sendungen gelernt zu haben. Wie ein Besserwisser klingt Scholz an diesem Abend nur selten, selbst dann, wenn er eine andere Meinung vertritt.

Alice Weidel wiederum, die als Dritte im Bunde spricht, ist nicht nur durch die Tatsache, mittlerweile Dauergast im Polit-Talk zu sein, in der politischen Mitte akzeptiert. Als sie die Arena betritt, schütteln Moderatoren und Scholz ihr lächelnd die Hände. Wer käme hier noch darauf, dass ihre Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird? Die AfD-Frau achtet dieses Mal penibel genau darauf, ihre Anerkennung gegenüber dem Publikum auszudrücken. Während sie im „Klartext“ noch einem Studiogast vorwarf, seine Antwort auswendig gelernt zu haben, lobt sie nun von vornherein jeden der Gäste für seine Frage. Gegenüber dem Krankenhauspfarrer, der meint, der Begriff „Remigration“ im Wahlprogramm der AfD würde Fachkräfte abschrecken, lobt Weidel das Engagement des Mannes.

Die Normalisierung der AfD ist abgeschlossen

Weidel erklärt ruhig, die AfD trenne Asyl und Zuwanderung voneinander, da fällt Wellmer ihr ins Wort und stellt eine eigene Frage. Das passiert gleich mehrfach. Anders als bei den vorherigen Kandidaten moderiert Wellmer nicht bloß die Frage des Publikums, sondern will immer wieder selbst mit Weidel diskutieren, um ihre Aussagen zu entlarven. Weidel lässt sich kaum provozieren, weist gar einmal die Moderatorin zurecht, einer Frau im Publikum zuzuhören, während diese redet: „Einfach mal zuhören.“ Als Weidel die Aussage vom Vortag im Quadrell wiederholt, Deutschland habe die höchsten Energiepreise, wirft Wellmer ein, das sei falsch. Weidel macht sich einen Witz daraus, auf den anschließenden Faktencheck der ARD zu verweisen. Sie weiß, dass höchstens ein Bruchteil des Publikums diesen tatsächlich ansehen wird.

Weidel führt Wellmer und zum Teil auch Klamroth vor. Sie haben keine Antwort darauf, dass Weidel nun etablierter Gast in ihren Sendungen ist und deshalb auch selbiges von den Moderatoren erwarten kann wie ihre Kontrahenten. Wenn man sie einlädt, muss man sie auch reden lassen; das klingt in jedem Satz mit, den sie gegenüber den Moderatoren sagt. Von Auftreten und Wortwahl unterscheidet sie sich wenig von ihren Vorgängern. Auch ihre Antworten lassen kaum darauf schließen, wie extrem die Positionen in ihrer Partei zum Teil sind. Gleich mehrfach wollen Zuschauer von ihr wissen, wie sie ihre eigene Homosexualität mit dem Programm ihrer Partei zusammenbringen könne. Sie erklärt ruhig, dass eine eingetragene Partnerschaft wie die ihre von ihrer Partei mit der Ehe gleichgestellt werden soll. Die Normalisierung der AfD ist an diesem Abend nicht nur in vollem Gang – sondern abgeschlossen.

Im Ersten nichts Neues

Den Abschluss macht nach 90 Minuten Talk der Grünen-Kandidat Habeck, der Weidel den Ratschlag „weiter so“ mitgibt, während sie ihm „viel Glück“ wünscht. Habeck, der sonst als starker Rhetoriker gilt, verzettelt sich an diesem Abend – mittlerweile ist es kurz vor 23 Uhr – immer wieder in der Länge seiner Antworten. Gerade wenn die Themen Solarenergie und Klima zur Sprache kommen, wirkt er eher wie ein Berater denn ein Politiker im Wahlkampf. Von der Moderation wird er eher behutsam begrenzt in seinen Ausführungen.

Anders als Scholz und Merz wirkt er an diesem Abend selten kernig, kaum Reibung entsteht bei Zusagen an das Publikum wie etwa der, dass er in der Frage nach dem Rentensystem nicht mehr als „die Fortsetzung der Regeln, die wir bisher haben“ versprechen könne. „Das wird schon ein Abwehrkampf.“ Wie ein Hieb gegen den Vorredner Merz wirkt dann doch noch die Aussage, dass sich hinter dem Begriff der Technologieoffenheit ein „Angriff auf die Klimaziele verbirgt“. In der direkten Konfrontation mit seinen politischen Gegnern schlägt Habeck sich besser.

Immerhin ein Drittel der Wahlbeteiligten ist wenige Tage vor der Wahl noch nicht entschlossen, wen sie wählen werden. Aber während derzeit einzig die Linke sich – getragen auf der Social-Media-Welle von Heidi Reichinnek – in den Umfragen sichtbar in eine Richtung bewegt, wird auch dieser Abend nicht dazu beigetragen haben, dass das Gros der Unentschlossenen sich nun festlegt. Während alle Teilnehmer aus Fehltritten vorheriger Sendung dazugelernt haben, zeichnet der Abend insgesamt kein anderes Bild von ihnen. Wer als Zuschauer dennoch nicht genug von der Viererrunde hat, der kann sie am Donnerstag gleich nochmal sehen. Und zwei Tage darauf wieder.

Source: faz.net