TV-Kritik zu „Hart, doch ritterlich: Die Gretchenfrage ist, wie sich Zuwanderung steuern lässt

Das erstmalige Stimmen zusammen mit der AfD im deutschen Bundestag – Tabubruch oder Notwendigkeit? Es ist auffällig, wie wenig variabel die Anmoderationen bei dieser, die Medien gerade hoch emotionalisierenden Debattenfrage sind. „Herr Frei, hunderttausende Menschen sind auf den Straßen, war es das wert?“ So beginnt „Table Media“ vor Kurzem das Interview mit Thorsten Frei. Und genauso schreibt, beziehungsweise spricht es der Moderator von „hart, aber fair“ Louis Klamroth nach. „Herr Frei, war es das wert?“
Ja, sagt Thorsten Frei, der freundlich dreinschauende parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion aus Baden-Württemberg, denn die „Sachlage hat sich verändert“. Mit seinen schutzsuchenden Augen spricht er ziemlich unerschrocken über die Unmöglichkeit zukünftiger Schutzsuchender, sich in Deutschland um ein Asyl bewerben zu können.
Nach seinem Dafürhalten wird in diesem Land nämlich bald niemand mehr um Asyl suchen dürfen. Stattdessen werde es Kontingentregelungen und deutsche Beamte geben, die im Ausland ein etwaiges Recht auf Schutz überprüfen können. Wenn sich sowieso niemand in Europa mehr an die „Dublin 3 Verordnung“ halte, so Frei, dann stelle sich die Frage, warum Deutschland „migrationspolitisch immer noch einen Sonderweg“ gehe. In Wahrheit schreibe das Grundgesetz in Artikel 16a Absatz 2 doch vor, dass niemand Asyl in Deutschland erhalten müsse, der aus einem sicheren Drittstaat kommt. Dass sich aber eben genau daran niemand in Europa hält, sondern die Migranten nach Deutschland durchgelassen werden, das offenbare den „rechtlosen Zustand in Europa“, so Frei.
Es war ein historischer Moment
Er nickt zu der Aussage des Moderators, dass es ein „historischer Moment“ gewesen sei, im Bundestag mit den AfD-Abgeordneten zu stimmen. Er nickt auch zu der Beschreibung des Moderators, die neue Migrationspolitik der CDU werde einen „Paradigmenwechsel“ in Deutschland darstellen. „Ja“, sagt Frei. „Ja“ und nochmals: „Ja“. Denn: das Grundrecht auf Asyl bedeute nicht, dass man unbedingt in Deutschland Asyl bekommen müsse, sondern nur in einem sicheren Drittstaat.
Dagegen wendet sich Matthias Miersch, der heutige SPD-Generalsekretär, der früher als Fachanwalt unter anderem auch für Abschiebungen zuständig war. Er kritisiert die „All-in-Mentalität“ von Friedrich Merz. Der wolle als eine Art „Mini-Trump“ alles allein und nationalstaatlich regeln, dabei stelle die Migration doch Europa als Ganzes vor ein Problem, das nur gemeinsam gelöst werden könne.
Das klingt immer so stimmig und nachvollziehbar und natürlich ist das Migrationsproblem keines, das sich allein an der bayrisch-österreichischen Grenze durch mehr Bundespolizisten lösen ließe. Aber die Frage, wo sich das bilateral ausgerichtete, auf gemeinsame Lösungen bedachte Europa gerade eigentlich versteckt, stellt sich trotzdem. Was nützen europäische Regeln, wenn Europa sich mehrheitlich nicht mehr daran hält? Wenn Italien, Frankreich, Dänemark und Bulgarien genauso handeln, wie es Frei vorschlägt? Und übrigens auch der sozialdemokratische Ministerpräsident von Brandenburg, der in einem offenen Brief gemeinsam mit einer Vielzahl von Landräten und Oberbürgermeistern davor gewarnt hat, dass die Integrationsfähigkeit seiner Kommunen am Ende sei. Und ganz im Sinne von Friedrich Merz dafür plädiert, Migranten an den deutschen Grenzen zurückzuweisen.
Merz schadet sein Manöver nicht
„Ich kann den Wählerinnen und Wählern in Deutschland eines sehr klar und sehr deutlich versichern: Wir werden mit der Partei, die sich die Alternative für Deutschland nennt, nicht zusammenarbeiten. Vorher nicht, nachher nicht, niemals“, so die frenetisch beklatschten Worte von Friedrich Merz auf dem soeben zu Ende gegangenen CDU-Parteitag. Mit diesen Worten hat der aussichtsreichste Kandidat für das Amt des deutschen Bundeskanzlers versucht, die Geschwindigkeit seines „Umstiegs aus dem Schlafwagen in die Achterbahn“ (so das vergiftete Lob seines CSU-Rivalen Markus Söder) etwas abzuschwächen. Und die Umfragen zeigen bislang entgegen manch medialer Vorhersage, dass Merz sein Manöver nicht wirklich schadet. Allerdings zeigen sie auch, dass die AfD dadurch eher weiter gestärkt wird. War es also falsch, die Debatte vier Wochen vor der Wahl überhaupt zu führen?
Dazu sagt die Ko-Vorsitzende des BSW, Amira Mohamed Ali, an diesem Abend mit anderen Worten das, was Friedrich Merz schon vor einigen Tagen im Deutschen Bundestag gesagt hat: „Ich lass mir von der AfD nicht vorschreiben, wofür ich stimmen soll“. Und sie fügt noch an: „Debatten um Brandmauer sind Debatten um Posen“. Wenn wirklich ein Fünftel der deutschen Wahlberechtigten ihre Stimmen der AfD geben will, dann gibt es eine Notwendigkeit, die Gefühlslage der Bevölkerung in eine politische Form zu gießen. In welche Form genau, das ist die entscheidende Frage: Ob sie „Fünf Punkte Plan“ oder „Zustrombegrenzungsgesetz“ heißt, macht da schon einen Unterschied. Denn beim Ersten geht es um die „Zurückweisung an den Grenzen“, beim Zweiten nur um „mehr Kompetenz für die Bundespolizei“.
Das Establishment ärgern
Die Partei, die sich mit Recht auf die Fahnen schreiben kann, gerade „die Themen zu setzen“, sitzt an diesem etwas sehr vorhersehbaren Diskussionsabend ebenfalls mit am Tisch – und zwar in Figur von Beatrix von Storch, einer stellvertretenden Vorsitzenden der AfD. Sie kommt zu ihrem wiederholt artikulierten Ärger viel weniger dran als alle anderen, aber hat am Ende auch etwas weniger zu sagen. Denn mehr als die verbale Verschärfung dessen, was die CDU jetzt gerade sagt, fällt ihr auch nicht ein.
Dafür weiß sie, mit was für Bemerkungen sie das mediale Establishment ärgern kann: Mit der von den derzeitigen Umfragen ja durchaus gestützten Vision, dass nach dem 23. Februar „nicht mehr 70, sondern 140 von uns“ im Deutschen Bundestag sitzen werden. Oder mit dem Hinweis darauf, dass sie, die oft als Rassistin und Menschenfeindin geschmähte Politikerin, immer mehr Aufnahmegespräche in ihre Partei mit Menschen mit Migrationshintergrund führe, die sich über die zu laxen Abschieberegeln in Deutschland beklagten.
Lückenlos die Grenzen schließen
Beatrix von Storch, die 2016 noch laut über den Einsatz von Schusswaffen an den deutschen Grenzen nachdachte, gibt an diesem Abend an, dass die 3800 km lange Grenze „lückenlos zu sichern“ seien, wenn nur der politische Wille da wäre. Dann, so geht ihre Vision weiter, könnten sofort 250.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben werden, Schwerstkriminelle, zu Unrecht Geduldete, dann würden alle Schutztitel überprüft.
Aber wann ist „dann“? Nicht in naher Zukunft jedenfalls, da kann die AfD noch so hoffen und ihre Remigrationspläne in Flyer schreiben. So wie der Moderator der AfD-Politikerin an diesem Abend mehrmals rabiat das Wort entzieht, so werden auch die vielen neuen Bundestagsabgeordneten dieser Partei nach der Wahl von den anderen geschnitten und abgewürgt werden. Das Merz-Manöver sitzt zumindest dem politischen Berlin jetzt zu sehr in den Knochen, als dass es schon in einigen Wochen ganz anders auf so einen Vorschlag reagieren würde.
Es bleibt somit auch an diesem Abend die Gretchenfrage unbeantwortet: Wie kann man es mit der Migration so halten, dass legale Einwanderung gestärkt und illegale Migration gestoppt wird? Gab es darauf jemals schon eine befriedigende Antwort? Wahrscheinlich nicht. Und vielleicht ist genau das die Antwort auf die Frage: Tabubruch oder Notwendigkeit? Nichts von beiden. Sondern riskantes Messen von Möglichkeiten.
Source: faz.net