TV-Kritik Sandra Maischberger: Hat die Christlich Demokratische Union ein Rhetorik-Problem?
Die Union ist in Aufruhr. Sie sieht das einzige Projekt in Gefahr, bei dem sie sich bisher auf der Erfolgswelle wähnte: eine harte Migrationspolitik voranzutreiben und mit dem Gutmenschentum der Merkel-Jahre abzurechnen.
Schuld an der Aufregung ist Johann Wadephul (CDU). Der Außenminister hatte bei einem Besuch in einem zerstörten Vorort von Damaskus gesagt: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Als Absage an die im Koalitionsvertrag vereinbarten Abschiebungen nach Syrien wollte Wadephul das nicht verstanden wissen, präzisierte er später. Aber der Schaden war schon angerichtet. Hatte man Annalena Baerbocks „wertegeleiteter Außenpolitik“ nicht eigentlich abgeschworen?
Haßelmann: „Superbequem“ für Abschiebungen plädieren
Auch die Talkrunde bei Sandra Maischberger fühlt sich an Wadephuls Vorgängerin erinnert. TV-Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt etwa wirft dem Außenminister vor, er habe sich in Syrien, ganz nach Baerbocks Vorbild, von seinen Emotionen mitreißen lassen. „Das halte ich für einen schweren Fehler.“ Noch deutlicher wird „Welt“-Chefredakteur Jan Philipp Burgard: Wadephul wirke auf ihn „nicht wie ein Weltpolitiker, sondern wie ein Politiker, der in seiner eigenen Welt lebt.“ Nur die Autorin Jagoda Marinić findet die Diskussion „ein bisschen abseitig“ und legt Wert darauf, dass Empathie nichts sei, „wofür wir uns schämen müssen.“
Von der Debatte um Abschiebungen nach Syrien ist es dann kein weiter Weg mehr zu den vieldeutigen Äußerungen von Friedrich Merz (CDU) zum „Problem“ im Stadtbild im Zusammenhang mit Migration. Als Lösungsvorschlag stellt der Kanzler Rückführungen in Aussicht, wobei sich dem Zuschauer vor allem drei Fragen stellen. 1. Kann Merz den herumlungernden Jugendlichen am Hauptbahnhof ihren Aufenthaltsstatus an der Nasenspitze ansehen? 2. Ist seine Rhetorik nicht mindestens genauso missverständlich wie die von Außenminister Wadephul? 3. Redet der Kanzler absichtlich wie ein Oppositionsführer, weil er glaubt, damit dem Mehrheitswillen zu entsprechen und die AfD in Schach zu halten?
Als Maischberger dann die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann und den CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer aufeinander loslässt, beantwortet der Schlagabtausch keine dieser Fragen abschließend. Immerhin eins haben die Diskutanten gemeinsam: Beide wähnen ihre Argumentation von der Mehrheitsmeinung gedeckt. Mayer spricht vom „subjektiven Sicherheitsempfinden“ und der Gefahr, den Eindruck eines „dysfunktionalen Staates“ zu erwecken. Haßelmann hält mit Street Workern, Druckräumen, der Bekämpfung Organisierter Kriminalität und der finanziellen Ausstattung der Kommunen dagegen. „Machen Sie sich eigentlich Gedanken darüber, wie diese Debatte auf die Menschen wirkt?“, fragt die Grüne den CSU-Mann und verweist auf mehr als 7000 syrische Ärzte, die in Deutschland arbeiten. „Wir können froh und dankbar sein.“ Auch die Kinder der Ärzte seien „bestens integriert“. Aber aus seinem Sessel könne Mayer ja „superbequem“ für Abschiebungen nach Syrien plädieren, ätzt Haßelmann. „Ich finde das sehr zynisch.“
Schießt die Koalition die „letzte Patrone“ ins eigene Bein?
Der Angegriffene bleibt bequem sitzen und lässt sich von dem Sesselvorwurf nicht provozieren. Auch der Hinweis auf die 7000 Mediziner beeindruckt ihn nicht, angesichts der insgesamt eine Million Syrer in Deutschland. Ohnehin sei es eine „Mär zu glauben, dass nur hochqualifizierte Ärzte kommen“, sagt Mayer. Er stelle sich die Frage, „wie die deutsche Bevölkerung die Debatte aufnimmt, die wir hier führen.“ In Berlin würden durchschnittlich zehn Messerangriffe am Tag verübt. „Würden Sie einer jungen Frau empfehlen, allein ab 22 Uhr in die Berliner S-Bahn zu steigen?“
Da sind sie wieder, die Frauen, die von Männern beschützt werden – zumindest dann, wenn es gerade in die politische Agenda passt. „Fragen Sie Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte“, so hatte Merz auch die Nachfragen zu seiner Stadtbild-Äußerung kommentiert. Die Autorin Marinić wehrt sich gegen „diese Polarisierung“. Statistisch gesehen erlebten Frauen sexuelle Gewalt vor allem durch Männer, „die wir kennen“.
Wenn CSU-Chef Markus Söder recht damit hat, die Regierung aus Union und SPD als „letzte Patrone der Demokratie“ zu bezeichnen, dann wäre es höchste Zeit, die Polarisierung zu überwinden. Schießt die Koalition ihre letzte Patrone in die richtige Richtung oder ins eigene Bein, will Maischberger noch wissen. Haßelmann verabscheut „diese martialischen Ausdrücke“ und tut Söders Metapher als präventive Entschuldigung für schlechtes Regieren ab. Mayer hingegen hält es für möglich, dass wir gerade die „wichtigste Legislaturperiode in der Geschichte unseres Landes“ erleben, wobei sich dem Zuschauer dann die Frage stellt, wie lange man sich noch bei kräfteverzehrenden Stadtbild-Diskussionen zerfleischt, bis man dann mal das Stadtbild verbessert.
Source: faz.net