Trump und Fox News: Das Bollwerk und die große Lüge

Die Wunde war gerade dabei abzuheilen, als Kevin McCarthy sie wieder aufriss. Dabei hatte es seine Partei, die Republikaner, gut zwei Jahre gekostet, bis die Ränder nicht mehr aufklafften und bei jeder Gelegenheit Dreck hineingeriet. Jetzt war es der Sprecher des Repräsentantenhauses selbst, der den Rückschlag sehenden Auges in Kauf nahm. McCarthy musste wissen, was auf seine Entscheidung folgen würde, ausgerechnet dem Posterboy der Trump-Fürsprecher im amerikanischen Fernsehen die bislang unveröffentlichten Videoaufnahmen vom Sturm auf das Kapitol zu geben. Und Fox-News-Moderator Tucker Carlson, ein vehementer Verbreiter der Lüge vom Wahlbetrug, enttäuschte nicht in seiner Darstellung eines „größtenteils friedlichen Chaos“.

Sofia Dreisbach

Politische Korrespondentin für Nordamerika mit Sitz in Washington.

Majid Sattar

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.

Doch McCarthy katapultierte mit seiner Entscheidung  auch die Republikaner im Kongress weit hinter die Linien zurück, zu denen sie sich seit der Enttäuschung bei den Kongresswahlen im November und McCarthys chaotischer Sprecherwahl vorgearbeitet hatten. Seit die Sendung in der vergangenen Woche ausgestrahlt wurde, sind die alten Bruchlinien der  Partei wieder umso deutlicher zu sehen. Auf der einen Seite stehen die, die den 6. Januar 2021 verurteilen und hinter sich lassen wollen. Auf der anderen Seite die, die mit der Erzählung des massenhaften Wahlbetrugs weiter im Sinne Trumps den Zorn der Basis schüren wollen und den Sturm auf das Kapitol kleinreden.

Die öffentliche Auseinandersetzung reichte diesmal bis in die Spitzen der Partei. Als prominentester Kritiker trat der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell vor die Presse und nannte es einen „Fehler“, dass Carlson die Ereignisse so beschreibe. Das stünde in „völligem Widerspruch“ zur Darstellung der Kapitolpolizei. Den Brief des empörten Polizeichefs hielt er dabei in die Kamera. Senator Mitt Romney aus Utah äußerte sich ähnlich: Carlsons Sendung sei „gefährlich und widerlich“. Es sei „absurd“, wie die Wahrheit durch eine selektive Auswahl der Aufnahmen der Sicherheitskameras verbogen worden sei.

„Politische Hexenjagd“

Die Abgeordnete Elise Stefanik dagegen, die Teil der Fraktionsführung  ist, lobte den Beitrag auf Twitter: „Gestern Abend hat Tucker Carlson bestätigt, was ich schon seit mehr als einem Jahr sage.“ Der Untersuchungsausschuss zum 6. Januar sei eine „politische Hexenjagd zur Strafe für die Gegner der radikalen Linken“ gewesen. McCarthy selbst verteidigte sein Handeln. Es gehe ihm um „Transparenz“. Die hätte man in den Augen der Kritiker jedoch auch herstellen können, indem man die Videoaufnahmen allgemein zugänglich veröffentlicht.

Es ist ein neu entbrannter Streit in Zeiten, in denen die Republikaner mit Blick auf die Präsidentenwahl 2024 ausloten müssen, wie sehr die eigene Basis noch an der „Big Lie“ vom Wahlbetrug und damit auch an Trump festhält. Wieder einmal zeigt sich dabei, wie viel Macht Trumps treuesten Journalisten bei diesem Thema zukommt, allen voran dem 53 Jahre alten Moderator Tucker Carlson.

Dass es für republikanische Politiker gefährlich sein kann, sich seiner Darstellung der Dinge entgegenzustellen, zeigte im vergangenen Jahr der Fall Ted Cruz’. Nachdem der Senator aus Texas den Sturm auf das Kapitol mehrfach als  „gewalttätigen Terroranschlag“ bezeichnet hatte, trieb Carlson ihn öffentlich vor sich her. Am ersten Jahrestag des Aufruhrs erschien Cruz also in Carlsons Show, um zu beteuern, dass diese Wortwahl ein Ausrutscher gewesen sei.

Immer mehr Republikaner rückten mit der Zeit von der klaren Verurteilung der Geschehnisse ab.
Bis heute ist Trump in Umfragen der beliebteste Kandidat unter republikanischen Wählern. Doch das Scheitern seiner Wahlleugner-Kandidaten in den Kongresswahlen im November legte  nahe, dass einige der rückwärtsgewandten Erzählung  vom Wahlbetrug überdrüssig werden und vor allem Wechselwähler deswegen Abstand halten. Jetzt hat McCarthy genau dieses Thema selbst wieder in den Vordergrund gerückt – und in die Hände eines Mannes gegeben, von dem inzwischen bekannt geworden ist, dass er selbst gar nicht an Wahlbetrug glaubt, diese Lüge aber zur Zufriedenheit der Zuschauer weiter aggressiv  befeuert.

„Ich hasse ihn leidenschaftlich“

Die gemäßigteren Nachrichtenformate auf Fox News am Nachmittag sind schon eine Weile vom Lobgesang auf den früheren Präsidenten und der Dauerberichterstattung über ihn abgerückt. Doch Tucker Carlson, Sean Hannity und Laura Ingraham, die unter der Woche am Abend immer je eine Stunde hintereinander vor der Kamera sitzen, halten am Bekenntnis zum „Helden“ Trump fest. Dabei wurden im Zuge eines Prozesses gegen Fox News jüngst Textnachrichten publik, die zeigen, was Tucker wirklich von Trump hält. So schrieb er in einer SMS etwa: „Ich hasse ihn leidenschaftlich.“ , er sei eine „dämonische Kraft“. Ein ehemaliger Produzent Carlsons schrieb, man fürchte, die Wahrheit beleidige das „dumme“ Publikum. Es sei surreal – „als würde man mit Terroristen verhandeln, aber besonders dummen“.

Vor der Kamera nannte Tucker die Wahl 2020 dann jedoch „für Joe Biden manipuliert“ und sagte etwa, manipulierte Wahlmaschinen hätten das „Vertrauen in die Demokratie untergraben“. Alles offenbar aus Angst vor schlechten Einschaltquoten und um der Einnahmen willen.

Welchen Einfluss Carlson weiterhin hat – im Sender und in der Trump-Basis – , zeigt auch die jüngste Wende Ron DeSantis’. Der Gouverneur von Florida ist Trumps gefährlichster Rivale im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner für 2024. Noch hat DeSantis seine Kandidatur nicht erklärt. Dass er sie aber konkret vorbereitet, ist nicht nur seinen Auftritten in wichtigen Bundesstaaten des Vorwahlkalenders zu entnehmen, sondern auch seinen taktischen Kurskorrekturen.

Dieser Tage nannte DeSantis in einer Antwort auf einen Fragebogen, den Carlson an die potentiellen GOP-Kandidaten verschickte, Putins Angriffskrieg einen „territorialen Disput“. Im Übrigen sei es kein vitales Interesse der Vereinigten Staaten, eine europäische Nation zu schützen. Wie Trump bezeichnete DeSantis hingegen den eigenen Grenzschutz, die Energieunabhängigkeit Amerikas und die Gewährleistung der militärischen Stärke der eigenen Streitkräfte sowie die Eindämmung der Macht der Kommunistischen Partei Chinas als vitale nationale Interessen.

Stellungnahmen taktischer Natur

Man muss das Statement aber genau lesen: DeSantis sprach sich nicht generell gegen die Unterstützung Kiews aus. Zwar äußerte er, Frieden sei das Ziel. Dann schrieb er aber: Washington sollte keine Militärhilfe leisten, welche die Entsendung amerikanischer Truppen nötig machen oder die Ukraine in die Lage versetzen könnte, Angriffe über seine eigenen Grenzen hinaus zu starten. F16-Kampfflugzeuge und Langstreckenraketen für Kiew dürften daher kein Thema sein. Ein „heißer Krieg“ zwischen zwei Atommächten müsse vermieden werden. Das Ziel, einen Regimewechsel in Moskau anzustreben, würde das Risiko erhöhen. Zur Wahrheit gehört: Flugzeuge und Langstreckenraketen, welche Teile der traditionalistischen Republikaner fordern, hat Biden vorerst ausgeschlossen – amerikanische Soldaten in der Ukraine und einen Regimewechsel sogar kategorisch.

DeSantis’ Stellungnahme ist taktischer Natur. Der 45 Jahre alte Jurist, der als Rechtsberater für die Navy Seals im Irak eingesetzt wurde und den Rang eines Leutnants erreichte, hatte sich nach 2014, dem Beginn der russischen Intervention, als Abgeordneter im Repräsentantenhaus noch für Militärhilfe für Kiew ausgesprochen und Barack Obama eine „stumpfe“ Antwort auf die russische Aggression vorgeworfen. Nun stellt er sich gegen das GOP-Establishment und die außenpolitischen Falken in seiner Partei. Gelingt es ihm nämlich nicht, Teile der Trump-Basis für sich zu gewinnen, wird nichts aus seiner Kandidatur. Und genau dafür benötigt er Carlson, der diese Basis weiterhin medial bespielt.

Konkurrenten um die Kandidatur: Ron DeSantis und Donald Trump

Konkurrenten um die Kandidatur: Ron DeSantis und Donald Trump : Bild: AP

Bestrebungen anderer Sender wie Newsmax, Fox News als zentrale Plattform der Trump-Basis abzulösen, die der frühere Präsident immer wieder zu befördern versuchte, gelangen bisher nicht. Das war auch Anfang März auf der jüngsten CPAC-Konferenz zu spüren. Diese war während Trumps Präsidentschaft die zentrale Bühne der Partei, welche stundenlang live auf dem Murdoch-Sender übertragen wurde. Diesmal traf sich ein deutlich verkleinerter Trump-Folklore-Verein in der Nähe von Washington – und der rechtskonservative Newsmax-Sender fungierte gleichsam als Medien-Partner, während Trump für Fox News  nur noch ein Thema unter vielen ist. Die GOP-Wählerschaft bleibt indes dem Murdoch-Sender treu.

Die Beziehung Trumps zum Konzerngründer Rupert Murdoch ist Jahrzehnte alt. Als der australische Medien-Mogul nach seinem Feldzug in Großbritannien den amerikanischen Markt erobern wollte, war das Boulevardblatt „New York Post“ ein wichtiges Standbein. Später dann das „Wall Street Journal“. Ein gutes Verhältnis zu dem schillernden Immobilien-Zar war daher essenziell. Der wichtigste Schritt war freilich die Gründung von Fox News – der Sender ging 1996 auf Sendung. Sein Chef, der republikanische Medienberater Roger Ailes, schuf ein konservatives Bollwerk gegen den linksliberalen Mainstream. Er war der Erfinder des „modern conservatism“, der amerikanischen Spielart des Rechtspopulismus. Seine Zielgruppe war das weiße, christliche, ländliche Amerika, dem er eine Stimme gab und das er gegen die Küsteneliten in Stellung brachte. Er trug wesentlich dazu bei, die Koordinaten der „Grand Old Party“ nach rechts zu verschieben. Die Einschaltquoten gaben ihm recht. Murdoch ließ ihn machen. Die Kasse stimmte.

Ailes erkannte früh, dass Trump kein Betriebsunfall der amerikanischen Politik war. Ohne Fox News wäre er 2016 wohl nicht der republikanische Kandidat wider das GOP-Establishment geworden. Und später auch nicht Präsident. Nach den Kongresswahlen im vergangenen Jahr, gab es dann Anzeichen, dass der Murdoch-Konzern Trump fallen lassen würde. Fox News, aber auch die wichtigen Blätter des Konzerns warfen dem früheren Präsidenten vor, für die Wahlniederlagen 2018, 2020 und 2022 verantwortlich zu sein, und setzten auf DeSantis, den neuen Star der Partei. Trump reagierte erbost und  verkehrte die Kausalität: Ohne ihn wäre Fox News nie erfolgreich gewesen. Dem Konzern ging es auch seinerzeit ums Geld: Trump schien ein Mann von gestern zu sein. Und der Einsatz des Senders für Trumps Versuch, das Wahlergebnis von 2020 zu kippen, bedroht den Konzern inzwischen wirtschaftlich.

Grund dafür ist eine Verleumdungsklage des Wahlmaschinen-Unternehmens Dominion, das von dem Sender 1,6 Milliarden Dollar Schadenersatz verlangt. Das Unternehmen wirft Fox News vor, Trumps Wahllüge gefolgt zu sein und fälschlich verbreitet zu haben, die Maschinen, welche die Stimmzettel auszählten, seien politisch zugunsten Joe Bidens manipuliert gewesen. Murdoch hatte in einem Anfang März bekannt gewordenen Gerichtsdokument unter Eid eingestanden, dass „einige unserer Kommentatoren“ dem zugestimmt hätten. Er selbst habe zwar „ernsthafte Zweifel an diesen Behauptungen“ gehabt – wie auch Tucker Carlson –, auch hätte er die Auftritte stoppen können, doch habe er es nicht getan. Er habe nach der Präsidentschaftswahl geglaubt, Trump werde seine Niederlage eingestehen, doch habe er später gesehen, dass er zunehmend verrückt geworden sei.

Fox News nutzte die Gelegenheit wider Erwarten jedoch nicht, um in der Führungsriege aufzuräumen. Stattdessen sprach Rupert Murdochs Sohn Lachlan in der vergangenen Woche – bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach Bekanntwerden der absichtlichen Lügen – ein demonstratives Lob für die Geschäftsführerin Suzanne Scott aus. Die Marke sei „unglaublich stark“. Scott habe „großartige Arbeit“ geleistet. Auf den Wahrheitsgehalt der gesendeten Inhalte kommt es dabei nicht an.

Source: faz.net