Touristinnen in Israel: Der Nahost-Konflikt denn Abenteuer-Urlaub

Morgens erwacht, sehr früh von fernen Sirenen. Sie sind so fern, dass ich sie nicht als solche begreifen kann. Aber ein späterer Blick ins Notebook besagt, eine libanesische Rakete sei in der Nähe von Tel Aviv abgefangen worden. Die Mädchen im sehr vollen Hostel-Raum sprachen später davon.

Ein Mädchen aus den Niederlanden in ihrer Wolke aus Flower-Flavour, klang aufgeregt unter ihrer sanften Stimme, während sie sich das Gesicht eincremte: „theres was a Siren? Why didnt i hear the Siren???“. Dachte erst, sie hätte Angst, aber die Aufregung war eher Empörung: Warum nicht sie die Sirene gehört habe, sie wolle endlich mal einen Alarm miterleben, „wenigstens einmal!“

„Ich wünsche Dir, dass es nicht das letzte ist, was du einmal gehört haben wirst.“

„Oh no …“ so habe sie es nicht gemeint. Sie wolle nicht sterben. Beides klang, als sei es ihr ernst damit.

Der obligatorische Check: „Bist Du jüdisch?“

„Nein – und Du?“

Nein, aber das wäre ihr Thing. Sie geht heute zu einer Synagoge, um sich zu informieren, wie lange es dauert, um zu konvertieren. Sie hat sich inzwischen genug eingecremt und ist in ein silber-seidiges 20er/30er/40er-Jahre-Outfit geschlüpft. Ich hatte auch mal so eins, aber eher für abends. Oder zum Schlafen gehen. Heimlicher Neid auf die dazupassenden Sandalen.

Alle eint ihr Kosmetikarsenal

Eine andere kommt ins Zimmer, braungebrannt, mit vielen Tattoos, kurzrasiertes Haar, stark und laut. Sie ist dünn und drahtig und berstend vor Energie gerade aus dem Meer gekommen. Das Dutch-Girl ist etwas besorgt, weil es heute so kühl sei. Sie verwechselt das Klima der Aircondition mit dem außerhalb. Die Tätowierte lacht dunkel, „nein, es ist heiß!“ Das Meer sei kühl. Und vom Alarm habe sie nichts gehört. Sie wirkt, als stünde sie über diesen Dingen. Aber der Mann „downstairs at the coffeebar“ habe ihr ein Kompliment machen wollen, indem er sagte, sie sähe bestimmt noch hübscher aus mit langem Haar. Sie lacht. Sie sagt es nicht kokett, eher als amüsiere sie sich über die ganze versammelte Welt in diesem Hostel.

Das Glamour-Mädchen ist schockiert, „Everyone knows he is not supposed to say so! Everyone knows that you are exactly as pretty as you feel you are“, näselt sie.

Es überrascht mich nicht, dass die unterschiedlichsten Menschen ihre Gründe haben, hier und jetzt in Israel zu sein hier und jetzt. Aber es überrascht mich, dass so viele reisen, mit einem so riesigen Arsenal an Kosmetik im Gepäck. Alle verschließbaren Boxen unter jedem der Hochbetten sind komplett gefüllt mit Essenzen und Puderpinseln, Lippenstiften und Cremes. Der 8-Raum-Schlafsaal riecht wie eine Parfümerie. Die Summe aller Düfte, der kleinste gemeinsame Nenner, um sich nicht riechen zu können.

Ich überlege, ob ich auch ein bisschen so war vor zehn Jahren.

Schnitzeljagd in den Save Room

Ich sitze am Strand, wo ich 2014 genau wie jetzt Militärflugzeuge zählte. Heute sind es von 11 bis 12.30 Uhr zwei Militär-Helikopter von Norden nach Süden und zwei von Süden nach Norden. Das Hostel hat überall A4-Ausdrucke mit einem Pfeil zum „Save room“. Ein längeres Labyrinth von hier nach dort. Wenn man sich die ganzen Ausdrucke an den Wänden ansieht, wirkt es, als sei der Save Room das Ziel einer Schnitzeljagd.

Die Panik, im Falle eines Alarms den Raum nicht zu finden oder nicht hineinzukommen, weil alle im Hostel schon drin sind, oder die Vorstellung, dass man dann mit allen verrückten Israel-Touristinnen in einem engen Schutzraum hocken muss, würde mich im Zweifelsfalle eher ins Freie rennen lassen. Das mag falsch sein, aber ein existenzieller Fatalismus hat mich bisher immer ruhig bleiben lassen. 2019 flogen so viele Raketen als ich in Gaza war. Nie war meine Wahrnehmung schnell genug, um zu begreifen, ob es die Raketen waren, die von Gaza aus losgingen, aber sofort von israelischen Abfang-Raketen zerstört wurden, oder israelische, die in Gaza einschlugen. Ich hatte keine Angst, aber das lag, glaube ich, daran, dass alle um mich herum den Ausnahmezustand als Normal behandelten. Er war es nicht. Aber es gehörte dazu ihn zu ignorieren.

Unbedingt zu den IDF

Das Dutch-Girl ist aus der Synagoge zurück. Fast zur gleichen Zeit bricht wie ein Wüstensturm die Kurzhaar-Frau herein, eigentlich auf dem Sprung zu einem Barbecue.

Es ist nicht gut gelaufen in der Synagoge. Sie habe sich das schon gedacht, aber dass es so lange dauere …

„Aber immerhin haben sie nicht nein gesagt, oder?“, fragt Hannah (echte Jüdin) aus dem Hochbett über mir, die gerade vom Duschraum kommt.

Die Kurzhaarige ist sehr freundlich und sehr scharf zugleich: „Dass das nicht einfach so geht, ist ja wohl klar. Das kann man vielleicht nachvollziehen? So ein kleines Land. Nimm die vielen Russen weg, die Araber, es bleiben nicht so viele echte Juden. Dass die sicher sein wollen, dass das nicht nur irgendein Flitz ist von jemand, der mal eben dazu kommen will. Verständlich, oder?“

„I know …“

„Sie sagen nicht nein, aber sie wollen, dass du es ernst nimmst.“

„I know …“, eine Seidensandale fliegt vom Fuß des Dutch-Girl in die Ecke. „Das würde mich auch nicht abschrecken. Ich will das ja richtig machen. Aber ich habe nicht so viel Zeit“, sagt sie und schlüpft in ihre Flip-Flops.

„Warum die Eile?“, fragt die Kurzrasierte und packt selbst ihre Sachen in Hast. Fast ist sie schon aus dem Zimmer.

„Ich habe nur noch zwei Jahre, um in die IDF zu kommen.“

Stille.

„Why the fuck would you want that?“, fragt die Kurzrasierte und bleibt jetzt doch.

„Israel beschützen!“

In Gaza kämpfen wolle sie. Das habe sie schon immer gewollt. Sie liebe die Armee. „schon immer“, sagt sie. Und weil niemand was sagt, fragt sie, ob die Duschen im Hostel okay seine oder so schmutzig wie neulich.

Doch, die Duschen seien okay, sagt Hannah.

Oder doch zum Mossad

„Dann geh doch erstmal in die Armee in den Niederlanden und schau, ob’s wirklich was für dich ist …“, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen, obwohl ich offiziell gar nicht am Gespräch teilnehme. Tatsächlich liege ich hinter dem zugezogenen Vorhang und versuche alles mitzuschreiben. Mein pragmatischer Rat, das Aufreißen des Vorhangs hat etwas von einem Überraschungs-Auftritt im Kasperletheater.

„Never Ever! Wir haben ja noch nicht mal eine richtige Armee. Sind die Duschen wirklich okay?“

Alles sei so schwer. Believe it or not: „Es ist leichter, sich beim Mossad zu bewerben, als in die israelische Armee zu kommen.“ Beim Mossad hätte man sogar eher Chancen, wenn man aus dem Ausland käme. Hm.

Die Kurzrasierte wird immer schärfer. „Why would you want that?“ Ihr Freund sei beim Geheimdienst. Tief drinnen, Under-Cover. Hard-Core „You don’t want that shit! Believe me!“ Er dürfe es ja eigentlich nicht, aber manchmal schicke er Fotos …! Wer sollte das wollen?

„Mir hat mal einer von der Armee ein Pic von einem geschickt, dem einer in den Kopf geschossen hat“. Sagt das niederländische Mädchen. Ihre Stimmte klingt so weich, dass mir unheimlich wird.

„Whatever …“, die Kurzhaarige geht zu ihrem Barbecue. Das Dutch-Girl geht nicht duschen und Hannah sagt, „I’m sure you kick ass in the Army!“, und lacht, es klingt nicht ironisch, eher wie: „Ich wünsche dir echt alles Gute, meine Liebe, wer weiß!“ Ich ziehe mich wieder ins Off zurück.

Später, da ist sie doch in den Waschraum gegangen, sehe ich zwischen ihrer Silberseide auch was in Olivgrün. Der Farbton der IDF, nur etwas schicker. Irgendwie rührt mich das doch. Ich war ganz sicher nie so, aber ich hatte auch meinen Flitz im Kopf. „Realitätscheck“. Den Nah-Ost-Konflikt begreifen wollen. Je mehr ich hier war in Israel, je länger ich dort war in Gaza, desto weniger verstand ich.

Die abgefangene Rakete aus dem Libanon hätte das Hauptquartier des Mossad treffen sollen, der sich im Vorort Glilot, nördlich von Tel Aviv befindet, neben einer Autobahn. Seltsamer Ort, neben einer Autobahn …

Miriam Sachs ist Theatermacherin und Autorin. Ihr Debüt-Roman Reise nach Jerusalem oder 141 Tage Warten auf Grünstein erschien 2005 bei Edition Nautilus. Aktuell reist sie mehrere Wochen durch Israel, um mit den Menschen über den 7. Oktober zu sprechen. Ihre Erfahrungen und die Gespräche veröffentlicht sie im Tagebuchformat auf ihrem Blog.