Ton Koopman wird 80: Dirigent und Tastenkünstler
„Wie schön leuchtet der Morgenstern“: Dass diese Kantate, der ersten Ausgabe von 1850 folgend, als Nummer eins ins Bach-Werke-Verzeichnis kam, war ein kulturhistorischer Zufall. Alles andere als zufällig dagegen ist, wie Ton Koopman mit seinen Amsterdamer Barockensembles ihren Eröffnungschor, das Eingangstor des riesigen Johann-Sebastian-Notenkonvoluts, interpretiert: ergriffen staunend, innig und visionär zugleich, „lieblich, freundlich“, wie es die Textworte dieses in dunkler Wärme überströmenden F-Dur-Pastoralstücks im 12/8-Takt vorgeben, aber bei den horizontöffnenden Ritornellen der Hörner und Oboi da caccia auch ins sehnsüchtig Tiefe und Weite greifend.
BWV 1 ist eine Marienkantate im Gefühlsdreieck von Mutter, Sohn und gläubiger Seele; solche Stücke und Passagen, wo religiöse Dogmen unmittelbar menschennah werden, gelingen Koopman, dem niederländischen Katholiken, auch deshalb besonders intensiv, weil bei ihm nie nur Wort-Ausdeutungen, sondern immer und vor allem auch lebendige Klangbilder in einer von Stück zu Stück wechselnden Beleuchtung und Farbigkeit vermittelt werden: kein strenger Frontalunterricht, sondern sinnliche Anfassbarkeit, deren Aura ihre Emotionalität nicht zuletzt aus dem stimmungshaft Atmosphärischen gewinnt. Man könnte das eine fast romantische Konzeption nennen, die sich aber, wie sich in seinen Einspielungen und Aufführungen immer wieder zeigt, hervorragend in frühere Jahrhunderte zurückbinden lässt; neben Bachs Kantaten zwischen 1994 und 2005 hat davon in den Folgejahren bis 2013 auch Dieterich Buxtehude profitiert.
Die Liebe als konstante Grundhaltung
Koopman hat die Großtat seiner Gesamteinspielung der Bachkantaten nicht nach Werknummern, sondern entstehungschronologisch konzipiert, und das „Morgenstern“-Stück wurde im kalendarischen Zeitenwende-Jahr 2000 schon mit einem beträchtlichen Erfahrungspolster eingespielt. Deswegen lässt sich hier die Essenz der Beziehung zu „seinen“ Komponisten besonders gut nachvollziehen und genießen. Eine Beziehung, die intensive kritische Befragung nicht ausschließt, wie Koopman sie schon in seinem ersten künstlerischen Wirkungsfeld als Organist und Cembalist praktizierte, die aber unverkrampft hingebend und im besten Sinne gläubig bleiben darf, weil ihre Grundhaltung freundschaftliche Ehrfurcht oder, um das ganz große Wort zu gebrauchen, Liebe ist; eine Liebe, die auch Schwachstrecken, wie es sie immer und auch bei den Größten gibt, spielerisch einzugemeinden versteht.
Seine bei aller Energiegeladenheit locker bleibende, ansteckend enthusiastische Ausstrahlung macht Koopman nicht nur zu einem begnadeten Publikums-Mitsing-Dirigenten, wie vor wenigen Monaten wieder beim Bachfest in Leipzig zu erleben war, wo er sich nicht zuletzt in seinem Amt als Präsident des Bach-Archivs überhaupt oft und gern aufhält. Der Leitspruch des dortigen Gewandhausorchesters aber, dass gerade die ernsten Dinge wahre Freude bereiten – „Res severa verum gaudium“ –, könnte auch das Lebensmotto dieses ebenso kundig einfühlsamen wie freundlichen Dieners der Musik sein. Heute wird Ton Koopman achtzig Jahre alt.
Source: faz.net