Tina Turners Vermächtnis: Wie konnte eine einzelne Frau so viel Energie haben?

Meine Mutter tanzte in der Küche immer zu Tina Turner. So wurde sie zu einer Heldin meiner Kindheit und die Lebensphilosophie dieser Sängerin für lange Jahre auch zu meiner. Weder meine Mutter noch ich verstanden den Text, aber das war auch gar nicht nötig. Man erahnte, dass es irgendwie um Liebe und Trennungen und um starke Frauen ging. Ihre Songs waren manchmal verletzlich, vor allem aber vom Gefühl des Wiederaufstehens geprägt, das auch ihr Leben wie ein roter Faden durchzieht.

Auf unserem Fernsehbildschirm der 1990er Jahre flimmerte sie wie eine Löwin im kurzen Paillettenkleid und in schwarzen Stilettos. Mit kraftvollen Bewegungen, blendend roten Lippen und ihrer rauchigen Stimme brannte sie sich als Ikone in die Köpfe ein. Wie konnte eine einzelne Frau so viel Energie haben?! Und so performten auch wir in der Küche Hits wie Private Dancer, in dem es um Geld ging. Oder wir trillerten das schmalzige Duett mit Eros Ramazzotti, Cose della vita.

Hinter anderen Hits wie What’s Love Got to Do with It steckt die Nachricht, dass Liebe nur eine „Secondhand“-Emotion ist und man sich besser davor schützt, verletzt zu werden. Dahinter steht auch ihre eigene düstere Geschichte mit Männern. In ihrer ersten Biografie Ich, Tina beschreibt sie ihr erstes Mal als schmerzhaft und unfreiwillig und ihren ersten Mann Ike Turner, der sich in die „wilde Frau“ verliebt.

Ike Turner, ihr Duettpartner, verleiht ihr nicht nur den Nachnamen, sondern misshandelt sie auch in der Ehe. Mit 37 Jahren verlässt sie Ike und behält zwei Autos, Pelze und Schmuck, andere finanzielle Ansprüche gibt sie auf, um sich schnell scheiden lassen zu können. Ein zweiter großer Befreiungsschlag, den die geborene Anna Mae Bullock in ihrem Leben unternimmt. Zuvor hatte sie Nutbush, Tennessee, verlassen und damit auch das Leben der Baumwollpflücker hinter sich gelassen.

Nach der Trennung von Ike passiert etwas in der Popwelt Erstaunliches: Mit knapp vierzig beginnt Turners globale Solokarriere. Sie wird als schwarze Frau zur „Queen of Rock“ und füllt Stadien.

Die schwarze Kulturkritikerin bell hooks hatte in ihrem Band Black Looks die Sexualisierung Tina Turners beschrieben, vor allem, wie sie sich selbst als Künstlerin in Filmen wie Mad Max oder ihren Musikvideos als die verführerische schwarze Frau ausgibt und sich damit selbst zum Objekt des männlichen weißen Blicks macht. Gerade die blonde Löwenmähne sei das Symbol schwarzer, weiblicher, ungezügelter Lust und Verfügbarkeit. In anderen Songs übernehme sie dann die Rolle des dominierenden Geschlechts.

Ihr künstlerisches Werk durchzieht dieser Widerspruch aus Selbstbestimmung, Hypersexualisierung und einer naiven Sehnsucht nach wahrer Liebe. Aber das ist eben Popmusik. „Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen, das war doch nur eine Frage der Zeit“, sang sie 1999 mit When the Heartache is Over bei Wetten, dass..?, da war sie bereits 60 Jahre alt und stellte Thomas Gottschalk mit ihrem Strahlen zehnfach in den Schatten. Vielleicht lässt sich auch dieser Hit als Symbol ihres eigenen Lebenswegs verstehen.

Mit ihrem zweiten Mann, dem Musikmanager Erich Bach, lebt sie seit 1994 in der Schweiz. Meine Mutter wird diesen Text vermutlich nicht lesen und Tina Turner auch nicht mehr. Im Alter von 83 Jahren ist sie nach langjähriger Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben. Eine Ode an ihr Leben schuf sie ohnehin selbst mit der Ansage: You’re simply the best.