Tina Turner: Die Unvergleichliche

Ein größeres Comeback hatte es nie gegeben: Wer 1984 zwischen acht und achtzig war, wird irgendwann in jenem Jahr vermutlich das Musikvideo gesehen oder zumindest den Song gehört haben, der für die große Soulsängerin Tina Turner zu einem Wendepunkt wurde, in ihrer Karriere als Musikerin wie in ihrem Leben. Zu Beginn des Videos von What’s Love Got To Do With It steht Turner vermeintlich zaudernd am Wasser. Hochtoupierte Frisur, greller Lippenstift, Jeansjacke, hochhackige Schuhe, das später berühmt gewordene Leder-Minikleid. Tina Turner wirkt zunächst in sich gekehrt, nachdenklich. Dann scheint sie diese Gefühle mit einem entschiedenen Kopfschütteln abzuwerfen und stürzt sich in die Straßen von Manhattan. Turner stolziert nun durch New York, sie tanzt, sie singt, sie flirtet, lässt ihr hinterher schmachtende Männer am Wegesrand stehen, schubst andere weg, ist, und darum ging es hier vor allem: Herrin der Lage, ihrer Kunst, ihres Lebens. Eine Befreite aus eigener Kraft, eine unabhängige Frau, ein Role Model im Pop für viele Nachfolgerinnen.

Es waren die Achtzigerjahre und also die Zeit, in der eine ganze Reihe vormals bereits berühmter Musikerinnen und Musiker endgültig zu globalen Superstars aufstieg. Sie passten ihre Musik an den Zeitgeist an und unterzogen sie einer hemmungslosen Kommerzialisierungskur. David Bowie, Bruce Springsteen, natürlich Michael Jackson gelangen auf diese Weise ihre bis heute mit Abstand erfolgreichsten Alben. Tina Turner war die einzige Frau in dieser illustren Runde derjenigen, die schon mindestens eine musikalische Karriere hinter sich hatten. Und ihr im Mai 1984 erschienenes Album Private Dancer, aus dem What’s Love Got To Do With It die erste Single war (das auf dem Album enthaltene Al-Green-Cover Let’s Stay Together war zuvor unabhängig von der Platte erschienen), wurde ihr erfolgreichstes. Es wurde so erfolgreich auch, dass es alles in den Schatten stellte, was sie zuvor mit ihrem früheren Ehemann Ike Turner aufgenommen hatte. Dieses Album Private Dancer war nicht nur deshalb auch: ein feministischer Triumph der Selbstbehauptung in einer Weise, für die es damals noch keine Hashtags gab.

Die erste Karriere des Soul- und Popstars Tina Turner war zwar bereits eine beeindruckende gewesen, aber mit Liebe hatte sie nicht viel zu tun gehabt. Tina Turner wurde im Jahr 1939 als Anna Mae Bullock in Brownsville im US-Bundesstaat Tennessee geboren, sie sang seit der Kindheit in Kirchenchören. Ungeliebt und ungewollt im Leben, so hat sie es später in ihrer Autobiografie My Love Story (2018) beschrieben, wurde die Musik zu Turners Zufluchtsort. Ebenso verhängnisvoll wie schicksalhaft war dann die Begegnung mit Ike Turner.

Der Musiker erkannte und förderte das Talent der jungen Sängerin, die im Juli 1960 mit der Single A Fool In Love erstmals als Tina Turner in die Öffentlichkeit trat. In den folgenden 15 Jahren hatten Ike & Tina Turner als Soul- und Rhythm-and-Blues-Duo Hits wie Proud Mary, River Deep, Mountain High und Nutbush City Limits. Bald etablierte sich Tina Turner nicht nur als eine der besten Sängerinnen ihrer Generation, sondern auch als außergewöhnliche Performerin und Frontfrau. Und Ike Turner offenbarte sich als missgünstiger Unterdrücker, Chauvinist und Kokainsüchtiger, der seine Frau jahrelang misshandelt hat. Mitte der Siebziger verzichtete Tina Turner auf alle Rechte an der gemeinsamen Musik, sie floh regelrecht vor ihrem Ehemann und reichte die Scheidung ein. Tina Turners Befreiung, und darin bestand die Tragik und himmelschreiende Ungerechtigkeit, war nötig, um der Unterdrückung durch einen gewalttätigen Mann zu entkommen.

Das im reifen Popstar-Alter von 44 veröffentlichte Private Dancer war dann bereits ihr insgesamt fünftes Soloalbum. Die von Terry Britten und Graham Lyle geschriebene Single What’s Love Got To Do With It war zu diesem Zeitpunkt zuvor zahlreichen anderen Musikern angeboten worden, doch erst Tina Turner eignete sich den Song an, der fremde Text wurde zu ihrer Geschichte. Überhaupt konnte die Sängerin Tina Turner, die nie selbst Songs geschrieben hat, Lieder wie kaum jemand sonst zu ihren eigenen machen. Nachdem sie jahrelang unter einem gewalttätigen Mann gelitten hatte, der sie vor allem besitzen wollte, besaß und besetzte Tina Turner nun diese Songs.

Je nach Quelle bis zu 20 Millionen Mal verkaufte sich das Album Private Dancer. Auch danach dominierte Tina Turner die Mainstream-Pop-Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, spielte in Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel mit, landete weitere Hits wie The Best, sang 1995 den James-Bond-Song Golden Eye. Zwölfmal gewann sie den einzig wirklich wichtigen Musikpreis, den Grammy.

Beinahe nirgendwo war Tina Turner so beliebt und erfolgreich wie in Deutschland, die Leute liebten sie. Und Deutschland wurde auch privat wichtig für Turner: Hier lernte sie ihren späteren Ehemann Erwin Bach kennen, der von ihrer Plattenfirma EMI geschickt worden war, um sie am Flughafen abzuholen. 27 Jahre später erst heiratete das Paar im Jahr 2013. Damals hatte sich Turner bereits von der Bühne zurückgezogen, nachdem sie zu ihrem 50. Bühnenjubiläum 2008 bis 2009 noch einmal auf eine große Tournee gegangen war. Mit Erwin Bach führte sie nun ein zurückgezogenes Leben am Zürichsee, nahm die Schweizer Staatsangehörigkeit an, schrieb ihre Autobiografie, trat nur noch vereinzelt in der Öffentlichkeit auf.

Es ging ihr nicht gut in den letzten Jahren. Turners Körper, der so viel überstanden, so viel zu ertragen gehabt hatte und doch immerzu vor Energie zu strotzen schien auf der Bühne (Mick Jagger, ein anderes unvergleichliches Energiebündel, gab einmal zu, sich viele seiner Signature-Moves auf einer frühen Tour mit Ike & Tina Turner von ihr abgeschaut zu haben), ließ sie im Stich. Tina Turner hatte einen Schlaganfall, überstand eine Darmkrebserkrankung, eine Nierentransplantation (ihr Ehemann spendete ihr eine seiner Nieren). Und als sei das nicht genug, musste sie noch die Tode ihrer beiden leiblichen Söhne und eines Adoptivsohns verwinden.

Im Jahr 2018 gab sie der ZEIT noch ein Interview, im Garten ihrer Villa in Küsnacht bei Zürich. Turner sprach über ihr Leben – und über den Tod. „Für mich war und ist der Gedanke, dass ich sterbe, in Ordnung“, sagte sie. „Ich bin bereit, wenn die Tür sich öffnet.“

Nun ist die große amerikanische Sängerin und Performerin Tina Turner im Alter von 83 Jahren in ihrem Haus in Küsnacht gestorben. Im Vollbesitz der Kontrolle über ihr Leben und ihre Kunst.