„Ted Lasso“: Breaking Good

Tony Soprano, Walter White – und jetzt Ted Lasso?! Der gutmütige Fußballtrainer hat als Anti-Antiheld einen neuen Startypen des Serienfernsehens geprägt. Aber warum bloß?

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„Ted Lasso“

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Der gute Trainer: Nick Mohammed (links) und Jason Sudeikis als Ted Lasso (rechts) in der 4. Folge der 3. Staffel von „Ted Lasso“

Breaking Good – Seite 1

Es folgen ein paar Quatschmeinungen der vergangenen Wochen: Annalena Baerbock trägt die Hauptschuld am Krieg in der Ukraine. Die Klimaaktivisten der Letzten Generation sind Terroristen. Juli Zeh schreibt gute Bücher. Union Berlin wird Deutscher Meister. Die Kindergrundsicherung ist zu teuer.

All diese Aussagen haben ihre Anhängerschaft, aber wenn man die Fernsehserie Ted Lasso nicht gut findet, dann ist man plötzlich der einsamste Mensch auf der ganzen Welt und wird mindestens für grenzdebil gehalten. Jetzt startet bei AppleTV+ die dritte Staffel von Ted Lasso, und ich finde die Serie von Jason Sudeikis und Bill Lawrence nicht gut. Ich könnte diese Meinung begründen, mit den feinen Werkzeugen, die mir die Fernsehserienkritik zur Verfügung stellt, aber würde ich damit etwas ändern? Nein, würde ich nicht. Ich könnte niemanden, der die Serie liebt (und das sind sehr, sehr viele Menschen), davon überzeugen, dass es sich um eine falsche Liebe handelt, eine Liebe unter Wert. Deshalb: Sie mögen Ted Lasso? Schön! Dann schauen Sie sich die neuen Folgen an, ziehen Sie sich das Ding rein, haben Sie Spaß dabei, es ist mir egal.

Ich werde die Serie nicht kritisieren – mir geht es in diesem Text stattdessen um folgende Fragen: Warum passt kein Serienheld besser in die aktuelle Zeit als Ted Lasso? Wie konnte es überhaupt zu einer Figur wie Ted Lasso kommen? Und wieso ist es am Ende überhaupt nicht schlimm, dass es eine Serie wie Ted Lasso gibt? Die kürzeste Antwort auf diese Fragen lautet: Tony Soprano. Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht.

In der Evolutionsgeschichte der Fernsehserien gibt es einen Weg, der zu Tony Soprano führt und von Tony Soprano zu Ted Lasso. Der Weg sieht ungefähr so aus: 1981 begann mit Hill Street Blues das zweite goldene Zeitalter des Fernsehens (das erste goldene Zeitalter interessiert uns in diesem Fall nicht, aber für die Statistik: Es ging von 1947 bis 1960). Hill Street Blues änderte die Spielregeln. Zum ersten Mal ging es nicht um strahlende Helden, sondern um mehr oder weniger kaputte Typen, die auf einem Polizeirevier arbeiteten und sich keine Illusionen machten, dass ihr Job irgendetwas an den desolaten Zuständen ändern könnte. Die Erfinder der Serie, Steven Bochco und Michael Kozoll, wollten Polizeiarbeit realistisch erzählen, und ohne diese Idee hätte es später weder The Sopranos noch The Wire oder Breaking Bad gegeben – das Dreigestirn des dritten goldenen TV-Zeitalters. 

Der Mann, der Hill Street Blues möglich machte, hieß Grant Tinker. Tinker war Fernsehproduzent bei NBC und glaubte an Autoren und deren Kreativität. Bochco und Kozoll dankten es ihm Anfang der Achtziger mit Hill Street Blues, Joshua Brand, ein weiterer Ziehsohn des Produzenten, schrieb wenig später die revolutionäre Krankenhausserie St. Elsewhere (deutscher Titel: Chefarzt Dr. Westphall) und erfand im Jahr 1990 Ausgerechnet Alaska, eine weitere sehr gute Serie, die ab 1993 ein gewisser David Chase produzierte. Chase wiederum hatte noch einmal einige Jahre später eine Idee, mit der er zum Pay-TV-Sender HBO ging: Eine Serie über einen Mafioso, der am Leben verzweifelt und deshalb eine Therapeutin konsultiert.

Mafia und Psychotherapie – klang interessant, HBO gab The Sopranos in Auftrag. Und wo Hill Street Blues noch die Spielregeln des Serienfernsehens geändert hatte, änderte The Sopranos nun das ganze Spiel. In der fünften Folge der ersten Staffel geschieht ein Mord. Im Prinzip nicht ungewöhnlich für eine Serie über die Mafia. Aber diesen Mord begeht der von James Gandolfini gespiele Tony Soprano, die Hauptfigur, vier Folgen lang erfolgreich eingeführt als netter Kerl. Es ist ein kaltblütiger Mord, mehr oder weniger grundlos. So einen Mord hatte es zuvor in einer Fernsehserie noch nie gegeben, und dieser Mord, diese fünfte Episode der ersten Staffel, öffnete eine Tür, und hinter dieser Tür lag das dritte goldene Zeitalter des Fernsehens. Es dauerte ungefähr bis 2018, bis zum Ende von The Americans, einer Serie, für die übrigens Joshua Brand als beratender Produzent tätig war.

Nach diesem Mord ahnten die Macher von Fernsehserien und die Verantwortlichen bei den Sendern, was alles möglich war auf ihrem Gebiet. Vor allem ahnten sie, dass sie uns, die Fernsehzuschauer, jahrzehntelang unterschätzt hatten. Man konnte uns etwas zumuten, man konnte uns überfordern – wenn es plausibel erzählt und gut gemacht war, dann würden wir nicht nur akzeptieren, dass eine Figur, die wir ins Herz geschlossen haben, ein Mörder ist. Wir würden es sogar verstehen. Der Satz „Können wir nicht machen – versteht keiner“ galt in writers‘ rooms nicht mehr, an seine Stelle rückte die Frage: „Wie weit können wir gehen?“

In dem Buch Difficult Men: Behind The Scenes of a Creative Revolution schreibt der US-amerikanische Journalist Brett Martin darüber, wie sein Leben nach den Sopranos aussah und fasst damit das dritte goldene Zeitalter des Fernsehens sehr gut zusammen: „Ich machte weiter mit David Simons The Wire und einer neuen Serie von einem der Autoren von The Sopranos, Matthew Weiners Mad Men. Die Ambitionen und die Leistungen dieser Serien lagen jenseits der simplen Feststellung von ‚gutem Fernsehen‘. Sie wurden zum Merkmal amerikanischer Kunst im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, sie waren das, was die Filme von Scorsese, Altman, Coppola und anderen in den Siebzigern gewesen waren oder die Bücher von Updike, Roth und Mailer in den Sechzigern.“ 

Was das alles mit Ted Lasso zu tun hat? Kleinen Moment noch, wir sind gleich so weit. Denn die Herrschaft sogenannter schwieriger Männer wie Tony Soprano, Walter White (Breaking Bad) oder James McNulty (The Wire) musste irgendwann enden, was auch daran lag, dass sich die Fernsehsender und vor allem die Streamingdienste neue Zielgruppen erschließen mussten, um weiterzuwachsen. Zu diesen Zielgruppen gehörten auch Jugendliche und Frauen, von denen man offenbar glaubte, dass sie nach anderen Helden verlangten. Schwierige Männer gerieten deshalb aus der Mode, die Herrschaft der sogenannten starken Frauen (etwa Eva Polastri in Killing Eve) und der suchenden Teenager (zum Beispiel Rue in Euphoria) begann. Im Jahr 2020 brachte sich mit Ted Lasso ein weiterer möglicher Thronfolger in Position: Wir nennen ihn den netten Mann.

Sich selbst, seine Spieler und die Stadt: Ted Lasso macht alle besser

Szene aus der dritten Staffel von „Ted Lasso“: Sudeikis (rechts) und Nick Mohammed zu Gast bei der Fahrstuhlmannschaft West Ham United.

Ted Lasso ist vielleicht der netteste Mann, der jemals Held einer Fernsehserie war. Er ist ein US-amerikanischer Footballtrainer, der das Angebot annimmt, die erfolglose englische Fußballmannschaft AFC Richmond zu coachen, obwohl er vom Fußball keine Ahnung hat. Aber weil Ted Lasso ein guter Kerl ist und niemandem etwas Böses will, erweist sich seine mangelnde Expertise nicht als Hindernis. Er trainiert durch die Kraft und die Reinheit seines Herzens und macht nicht nur die Mannschaft, sondern auch den Verein und nicht zuletzt die Stadt Richmond zu einem besseren Ort.

Der Ted-Lasso-Co-Erfinder und Hauptdarsteller Jason Sudeikis hat bereits zahlreiche Golden Globes und Emmys für die Serie erhalten, die wichtigsten Preise also des US-amerikanischen Fernsehbetriebs. Vielleicht auch deshalb, weil Ted Lasso eine neue Tür geöffnet hat – wie Tony Soprano vor 25 Jahren. Die Geschichte des Trainers hat das Fernsehen, nun ja, tedlassoisiert. Sie hat die Ironie aus ihrer Erzählung verbannt und durch eine vollkommen ungebrochene Aufrichtigkeit ersetzt.

Die Figur Ted Lasso hat keine Abgründe, nichts Dunkles oder Abstoßendes an sich. Ted Lasso nicht zu mögen, ist unmöglich. Wie die letzten 25 Jahre vor dem Fernseher bewiesen haben, muss man Protagonisten aber gar nicht mögen, um mit ihnen zu leiden – man muss sie nur verstehen, ihren Konflikt, ihre Sehnsüchte, ihr Leid. Man kann Protagonisten für Riesenarschlöcher halten, für schlechte Menschen mit fragwürdigen Ansichten, für Mörder, Mafiabosse, Drogenbarone, Sexisten oder all das zusammen – und sie dennoch interessant finden. Tony Soprano und Walter White waren Antihelden, erfunden unter der Prämisse, dass das Publikum in der Lage sein würde, zwischen der Denkweise des Protagonisten und der Einstellung der Autoren einer Fernsehserie zu unterscheiden. Antihelden forderten die Zuschauer heraus, Dissonanzen in der Geschichte und in sich selbst zu akzeptieren.

Ted Lasso kommt ohne diese Dissonanzen aus, sie würden in dieser gutmütigen Serie nur stören. Und vielleicht stören sie auch den gegenwärtigen Zeitgeist. Eine Figur wie Soprano heute zu etablieren, wäre ungleich schwieriger als um die Jahrtausendwende, weil viele Zuschauer nicht mehr unterscheiden wollen zwischen der Denkweise des Protagonisten und der Einstellung des Autors. Müssen sie auch nicht, denn die vorherrschende Idee des Geschichtenerzählens ist die, dass Autor und Figur synchron sind. Ted Lasso zeigt diese Synchronität in Vollendung, weil der Autor die Figur auch noch selber spielt. Sehen wir also Ted Lasso, dann sehen wir ihn genau so, wie er sich selbst sieht. An das, was Ted Lasso sagt und denkt und tut, glaubt auch der Autor und Darsteller Sudeikis. Die Figur ist nicht nur authentisch, sondern sogar identisch mit ihrem Schöpfer.

All das meine ich nicht wertend. Ich behaupte nicht, dass authentische, warme, aufrichtige, integere Fernsehserien schlechter oder einfacher oder dümmer sind als ihre ironischen Vorläufer. Sie sind auch nicht moralischer: The Sopranos, The Wire und Breaking Bad waren hochmoralische Serien – nur ihre Protagonisten waren es eben nicht. Das war eine Zeitlang neu und aufregend, bis es zum Klischee erstarrte – was viele Serien, die der Sopranos-Formel gefolgt sind, bewiesen haben. So ist es nur folgerichtig, dass eine Figur wie Ted Lasso das Spiel nicht mehr mitspielt, sondern als Anti-Antiheld ein neues Spiel beginnt.

Vielleicht ist das sogar genau, wonach die Zeit gerade verlangt. Hass und Gift erwarten einen schließlich schon, wenn man morgens das Handy anschaltet oder abends Talkshows schaut. Will man dann einfach Fernsehserien sehen, in denen gute Menschen gute Dinge tun und dabei aufrichtig sind? Und ist einer der Gründe, aus denen wir Fernsehserien schauen, nicht ohnehin schon immer Eskapismus gewesen? Die Flucht aus der Realität in eine imaginäre Welt, die besser zu sein scheint als die wirkliche Welt?

Ja, das ist ein Grund, aber eben nicht der einzige. Deshalb wäre es auch falsch, wenn Ted Lasso nun zum Maß aller Dinge im seriellen Erzählen würde oder wenn man den Beginn eines vierten goldenen TV-Zeitalters ausriefe, dessen Hauptmerkmal nicht mehr die Ironie, sondern die Integrität ist. Denn Ironie und Integrität können sehr gut nebeneinander existieren, sie sind zwei Möglichkeiten des Erzählens, aus denen wir Zuschauer wählen können, je nachdem, welchen Geschichten wir mehr glauben wollen – oder wofür wir gerade Geschichten brauchen.

Ted Lasso wird übrigens nach der dritten Staffel nicht mehr weitererzählt. Jason Sudeikis sagt, die neuen Folgen der Serie markierten „das Ende der Geschichte, die wir erzählen wollten, die wir zu erzählen hofften, die wir gerne erzählt haben“. Ob das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, überlasse ich Ihnen. Meine Meinung in dieser Sache ist möglicherweise eh Quatsch.

Die zehn Folgen der dritten Staffel von „Ted Lasso“ sind ab 15. März bei AppleTV+ verfügbar.