„Tatort“ Münster: Das Internet, das ist die Zukunft

Aus der Serie: Der Obduktionsbericht

„Magic Mom“ muss sterben. Der Münsteraner „Tatort“ erzählt von verzweifelten Influencerinnen und versucht zu zeigen, dass er das mit der Digitalästhetik auch kann.

Diesmal sind auch die Sympathischen unsympathisch: Die Assistenten Schrader (Björn Meyer), Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann), Haller (ChrisTine Urspruch), Boerne (Jan Josef Liefers) und Kommissar Thiel (Axel Prahl)

Das Internet, das ist die Zukunft – Seite 1

Der Münsteraner Tatort: Magic Mom (WDR-Redaktion:
Sophie Seitz) hat das Internet für sich entdeckt. Die titelgebende Figur meint
Evita Vogt (Laura Louisa Garde), eine Momfluencerin,
die ihr Geld mit dem Vorzeigen von Familienleben, Erziehungsproblemen und
Werbeprodukten versteht und es damit auf stolze 630.000 Follower gebracht hat.

Das nützt ihr allerdings nix, denn Magic Mom muss sterben.
Der Film zeigt, wie Evita Vogt vor dem geöffneten Kühlschrank verröchelt – effizient
gefilmt aus der Perspektive der Rückwand dieses Kühlschranks (Kamera: Felix
Novo de Oliveira). Als die Polizei später im schicken Einfamilienhaus
auftaucht, hängt die Leiche allerdings an der Decke – die Tötung soll als
Suizid vertuscht werden. Die Leiche wird vom Film relativ ausführlich
vorgezeigt, was wegen der Gesamtdrolligkeit von Münster kaum als Exploitation
verstanden werden kann. Der Schnitt vom Schnitt ins Gewebe des toten Körpers
auf einen sich schließenden Reißverschluss ist für einen ARD-Sonntagabendkrimi
aber ziemlich sardonisch.

Die Verdächtigenlage ist überschaubar. Gegenüber von Magic
Mom wohnt Thekla Cooper (Monika Oschek), die auf Evita Vogt nicht gut zu
sprechen ist – mit deren Mann Moritz (Golo Euler) aber eine Affäre hat. Spät
wird kurz ein Fan von Vogt gestreift, der unter dem Namen „Lonesome
Dad“ aktiv war, aber gar nicht mehr lonesome ist (Jakub Schmidt). Außerdem
gibt es die Momfluencerin-Kollegin Busy Bine (Agnes Decker), die, eigentlich
mit Evita befreundet, von dieser erpresst wurde. Denn Busy Bine fehlt das Kind
zur Momfluencerin, weshalb sie sich mit Babypuppen und Kinderzimmerkulissen
behilft (das Szenenbild dürfte in dieser Folge seinen Spaß gehabt haben:
Michaela Schumann). 

Das ist ein etwas holzklotziger Einfall, um Konflikt in die
Folge hineinzutragen, weil man sich dann vorstellt, wie Busy Bine in fünf
Jahren ein Robotergirl aus der Kita abholt. Alle Social-Media-Performances
sind auf eine Weise natürlich performativ, die Leute nicht „echt“ in
dem Sinne, wie man sich das beim Kaffeetrinken im analogen Leben vorstellt.
Aber anders als bei Schauspielerinnen (wie Busy Bine sich vor der Polizei
rechtfertigt) gibt es in der weiten Welt des Influencens keine vorgeschriebenen
Rollen, die besetzt und verkörpert werden müssen. Vielmehr geht es bei der
Vermarktung des eigenen Lebens in den Timelines der jeweiligen Community doch
darum, die eigene Rolle so gut und effektvoll zu spielen, dass andere darauf
aufmerksam werden und liken.

Der Tatort (Regie: Michaela Kezele) legt hier also
einen etwas merkwürdigen Medienbegriff an den Tag – und versucht sonst zu
zeigen, dass er das mit der Digitalästhetik auch kann. Den Hochformatvideos
von Magic Mom stellt die Folge Hochformatauftritte von Boerne (Jan Josef Liefers) zur Seite, in denen dieser, mit ein paar Filtern und Herzchen geschmückt,
etwa die chronische Krankheit von Evita Vogt erklärt. Sie erstickt, weil sie das notwendige Gegenmittel im Kühlschrank nicht findet.

Man erkennt Kommissar Thiel kaum wieder

Fassungslos schaut man auf die Eskalation fast des gesamten Münsteraner Stammpersonals. Nicht nur die dafür vorgesehene Schnöselfigur Boerne (der diesmal merkwürdig allgegenwärtig ist und als Co-Ermittler die Leute befragt) tut sich hier mit Herablassung hervor; man erkennt vor allem Axel Prahls Kommissar Thiel kaum wieder. Der war gedacht als Gegenentwurf zum arroganten Professor – als Mann von unten und mit Herz, der seine Ruhe will, freundlich ist und höchstens vom Distinktionsgetue bürgerlichen Statusdenkens überfordert.

Nun aber befehligt Thiel nicht nur seinen Mitarbeiter
Schrader (Björn Meyer) herum wie Boerne sonst Frau Haller (ChrisTine Urspruch),
er nennt den Kollegen in einer sich für besonders lustig haltenden Thomas-Gottschalk-Ranzigkeit „Schrader*in“, weil er in der Folge auch übers Gendern klagen
muss. Außerdem lacht Thiel (dann wiederum mit Schrader) Staatsanwältin Klemm
(Mechthild Großmann) in ziemlich hässlicher Manier aus, was einen erschrickt,
weil die beiden doch eigentlich ein gutes Verhältnis haben.

Als erzählerische Klammer (Drehbuch: Regine Bielefeldt) kommt in Magic Mom dann die Stelle einer „Sensibilitätsbeauftragten“ heraus, um die Schrader und Frau Haller konkurrieren, also Leute, die als queer und klein von dem abweichen, was in rechten Kulturkämpfen als die Norm verstanden wird. Als Parodie ist das redundant, weil es bei diesen Debatten doch auch nur darum geht, „inkorrekt“ Leute zu diffamieren, die von der eigenen Norm abweichen – also das, was die Folge macht, wenn sie Schrader und Frau Haller diesen als lächerlich markierten Job zuschanzt. Am Ende müssen sich die beiden gegenseitig anfrotzeln, als wären sie nicht etwa dazu da, sich mit der neuen Stelle gegen diese Art von vermeintlich lustiger Verächtlichmachung zu wenden: Frau Haller sagt irgendwas mit „Tucke“, Schrader „Schlumpfine“.

Münster also wie auf Koks, das einem selbst die netten Figuren
unsympathisch macht. Selbst wenn Magic Mom, weil es doch ums Internet,
Follower und Kommentarverhalten geht, damit vorführen will, wie hässlich
digitales Rumgehetze aussieht. Wenn man diese Art Verrohung auf echte Menschen
überträgt, bleibt am Ende Ratlosigkeit: warum?