Syrien: Berichte obig Massaker und heftige Kämpfe in Syrien

Bei dem schlimmsten Ausbruch von Unruhen in Syrien seit dem Machtwechsel vor rund drei Monaten sind Berichten zufolge Hunderte Menschen bei Kämpfen zwischen Truppen der Übergangsregierung und Anhängern des gestürzten Langzeitherrschers Baschar al-Assad getötet oder verletzt worden. 

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen Kämpfer der Übergangsregierung mehr als 160 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, „hingerichtet“ haben. Bei den Opfern soll es sich um Angehörige der alawitischen Minderheit handeln, der auch al-Assad angehört. „Es wurden Massaker an der alawitischen Religionsgemeinschaft verübt“,
sagte der Direktor der in Großbritannien ansässigen Syrischen
Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, der Nachrichtenagentur dpa.

Übergangspräsident spricht von „Test“ für sein Land

Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa wandte sich am Freitagabend an die Bevölkerung. Überbleibsel der gestürzten Ex-Regierung hätten mit Angriffen versucht, „das neue Syrien zu testen“. Al-Scharaa lobte die Reaktion der Sicherheitskräfte und rief die Angreifer auf, ihre Waffen niederzulegen. Jeder, der Übergriffe gegen Zivilisten begehe, werde hart bestraft, kündigte der frühere Rebellenchef zugleich an. Berichte über Massaker erwähnte er nicht.

Zuvor hatte Al-Scharaa die Anhänger des gestürzten Machthabers Assad zur Kapitulation aufgerufen. Die alawitischen Kämpfer müssten sich ergeben, „bevor es zu spät ist“, sagte Al-Scharaa am Freitag in einer Ansprache im Onlinedienst Telegram. „Sie haben sich gegen alle Syrer gewandt und einen unverzeihlichen Fehler begangen. Der Gegenschlag ist gekommen“, sagte der Übergangspräsident.

Der Syrien-Sondergesandte der Vereinten Nationen, Geir Pedersen,
sagte, er sei „zutiefst besorgt“ angesichts der Kämpfe und der Berichte
über Massaker. Er rief in einer Mitteilung alle Seiten auf, von
Handlungen abzusehen, „die die Spannungen weiter anheizen“ und das Land
destabilisieren
könnten. Der Schutz der Zivilbevölkerung müsse im Einklang mit dem
Völkerrecht gewahrt werden, forderte Pedersen.

Auch die
Bundesregierung forderte ein Ende der Spirale der Gewalt. „Wir sind
schockiert angesichts der zahlreichen Opfer in den westlichen Regionen
Syriens“, teilte das Auswärtige Amt im Onlinedienst X mit.
„Wir rufen alle Seiten auf, friedliche Lösungen, nationale Einheit,
einen umfassenden politischen Dialog und eine Übergangsjustiz
anzustreben, um die Spirale der Gewalt und des Hasses zu durchbrechen“,
hieß es in dem Beitrag weiter.

Angreifer wollen möglicherweise einen Bürgerkrieg

Aktivisten aus der Stadt Idlib, mit denen die dpa sprechen konnte,
machten bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung für die mutmaßliche Massentötung alawitischer Zivilisten
verantwortlich. Sie sollen sich Befehlen aus Damaskus widersetzt haben. Das syrische Staatsfernsehen berichtet hingegen, Unbekannte hätten sich mit Uniformen
der Regierungstruppen verkleidet und die Taten begangen, um einen
Bürgerkrieg anzustiften.

Viele Menschen forderten, die bewaffneten Angriffe zurückzuschlagen. Die
Sicherheitskräfte gehen laut der staatlichen Nachrichtenagentur Sana
vor allem entlang der Mittelmeerküste, dem Kernland der alawitischen
Minderheit, gegen Anhänger al-Assads vor. In der gebirgigen Küstenregion
sind noch bewaffnete Gruppen mit Verbindungen zu der gestürzten
Vorgängerregierung aktiv.

Der syrische Geheimdienstchef Anas Khatab hatte die eigenen Kämpfer zur Zurückhaltung aufgerufen. Er machte führende Figuren aus dem Militär- und
Sicherheitsapparat des gestürzten Ex-Präsidenten für die Zusammenstöße
verantwortlich. Diese hätten eine verräterische Operation gestartet, bei
der zahlreiche Mitglieder von Armee und Polizei getötet worden seien. Sie
würden aus dem Ausland gesteuert, schrieb Khatab auf der
Onlineplattform X. Tausende Menschen hatten sich in Damaskus und
etlichen anderen Städten versammelt, um gegen die bewaffneten Anhänger
al-Assads zu demonstrieren.

Beobachtungsstelle meldet mindestens 237 Tote

Für den früheren Rebellenchef und neuen Übergangspräsidenten al-Scharaa sind die Auseinandersetzungen der erste große Test seit der Machtübernahme. Er rief „alle Kräfte, die sich an den Kämpfen beteiligt haben“ auf, sich den Befehlshabern des Militärs zu unterstellen und „die Stellungen unverzüglich zu räumen, um die aktuellen Verstöße zu kontrollieren“.

Al-Scharaa teilte bei Telegram mit, die Übergangsregierung werde sich
weiterhin für ein „Waffenmonopol in den Händen des Staates“ einsetzen.
Es werde keine unkontrollierten Waffen mehr geben, sagte er.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechtestarben bei den jüngsten Kämpfen mindestens 237 Menschen. Die Massaker hätten sich am vergangenen Donnerstag und Freitag in den
Dörfern Schir, Muchtarije und Haffa ereignet, teilte die in
Großbritannien ansässige Organisation mit. 

Assad hatte Syrien mehr als zwei Jahrzehnte regiert. Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember die syrische Hauptstadt Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Assad beendet. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft – sowohl als religiöse Minderheit als auch wegen ihrer Treue zur Assad-Familie.