»Swarm« mit Billie Eilish: Nur Göttinnen sind in der Lage, ein glückliches Ende zu gewähren

Szene aus »Swarm«

Szene aus »Swarm«


Foto: Quantrell D. Colbert / Amazon

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Eine der beunruhigendsten Figuren der jüngeren Popgeschichte ist Stan aus dem gleichnamigen Song von Eminem. »Stan« handelt von einem Fan, den die krankhafte Anverwandlung an sein Idol in den kriminellen Wahnsinn treibt. »Bienenschwarm« (»Swarm«) auf Amazon variiert »Stalker« und »Fan« auf spektakuläre Weise. »Stan Culture«, wie das Phänomen auch genannt wird, in Weiblich – und sehr, sehr gut.

Der angehimmelte Star, Ni’Jah, ist deutlich an die Beyoncé der »Lemonade«-Ära angelehnt – deren Fans sich »Bey Hive« nennen. Und Stan ist hier Dre (Dominique Fishback), ein Mädchen aus Houston, deren komplettes und nicht eben glückliches Leben sich um Ni’Jah dreht. Für 1800 Dollar, die sie nicht hat, kauft sie Tickets zu einem Konzert für sich und ihre Schwester Marissa (Chloe Bailey), fühlt sich zu Hause im virtuellen »Bienenschwarm« auf ihrem Smartphone und ist überzeugt, bei einer Begegnung mit ihrem Star deren beste Freundin werden zu können.


Dominique Fishback als Dre in »Swarm«

Dominique Fishback als Dre in »Swarm«


Foto:

Quantrell D. Colbert / Amazon


Was als eine Studie über Idolatrie anhebt, gerät nach nicht einmal einer halben Stunde der ersten von sieben Folgen völlig außer Kontrolle. Denn nach dem Selbstmord von Marissa verwandelt sich Dre vom tolpatschigen Mauerblümchen in eine Serienmörderin. Erst rächt sie den Tod der Schwester, dann macht sie schwarmgesteuert Jagd auf Menschen, die im Internet ihrem Idol die Göttlichkeit absprechen. Die Frage »Wer ist dein Lieblingssänger?« klang jedenfalls selten so bedrohlich.

Von Nachtklubs bis zur Hippie-Kolonie

Showrunner Donald Glover (»Atlanta« und »This is America«) und Janine Nabers (»Watchmen«) inszenieren diesen privaten Dschihad als Mischung aus Teenagerkomödie, Roadmovie, Sozialstudie und Horrorfilm. Mal subtil, wenn das finstere Surren eines Bienenschwarms im Kopf der Protagonistin die Gewalt ankündigt. Mal brutal, wenn sie auf teilweise verstörende Weise ausbricht.

Die einzelnen Episoden sind nur lose miteinander verknüpft, begleiten Dre auf ihrer Flucht und sind jeweils in ganz anderen Soziotopen angesiedelt – vom Milieu der Nachtklubs über die Welt der Reichen und Schönen bis zur feministischen Hippie-Kolonie. Der rote Faden der Geschichte wird durch das vielschichtige Spiel der Dominique Fishback gelegt, die den Trotz und die Besessenheit ihres Charakters in beinahe jeder Szene spürbar macht. Als Zuschauer pendelt man so unvermittelt zwischen Mitgefühl und Angst vor dieser Dre, dass es einen schwindeln kann.

Und so isoliert ist diese irrlichternde Heldin, dass sie in jeder Folge neue Nebenfiguren umgeben. Überraschend ist beispielsweise Paris Jackson als verplapperte Nachtklubtänzerin, die, obwohl weiß, sich als Schwarze definiert – väterlicherseits. Was, gespielt von der Tochter von Michael Jackson, nur eine von zahlreichen popkulturellen Anspielungen ist.

Sensationell allerdings ist der Auftritt von Billie Eilish, dem Star der Generation Z und selbst mit einer fanatischen Gefolgschaft gesegnet. Wer bisher dachte, Eilish habe nur zwei Gesichter (verschlafen und mürrisch) und halte die hier beide einfach in die Kamera, kann sich auf etwas gefasst machen. Ihr Auftritt als perfide Sektenführerin ist mehr als nur ein Ausfallschritt ins Schauspielfach. Es könnte der Beginn einer Filmkarriere sein, so nuanciert und überzeugend ist ihr Spiel. Es sollte wenigstens der vierten Folge eine Chance geben, wer die komplette Serie nicht sehen will.


Szene aus »Swarm«

Szene aus »Swarm«


Foto: Quantrell D. Colbert / Amazon

Was schade wäre, denn das Besondere an »Bienenschwarm« ist die beinahe fluide Erzählweise, das Hüpfen von Schauplatz zu Schauplatz. Große Themen wie Armut, Rassismus, Misogynie, Polizeigewalt, Identitätspolitik oder Vereinsamung vor den Bildschirmen werden hier nicht mit pädagogischem Aplomb ausgebreitet – sie sickern sozusagen seitlich in eine Handlung, die ihr klaustrophobisches Kreisen um die ebenso tragische wie psychopathische Hauptfigur für keine Szene unterbricht.

Das gilt auch für das große Finale. Ob die Geschichte in Erlösung oder eine Katastrophe mündet, sei hier nicht verraten. Denn wie heißt es in der letzten Folge? Nur Göttinnen sind in der Lage, ein glückliches Ende zu gewähren.

Wenn sie denn wirklich welche sind.

»Swarm«, seit dem 17. März abrufbar auf Amazon Prime

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes haben wir die Mitbewohnerin Melissa genannt. Tatsächlich heißt sie aber Marissa. Wir haben die Stelle korrigiert.