Südmähren: Der Südosten von Tschechien bietet Architektur, Natur, Wein, Bier – WELT

Fast jeder Tschechienurlauber reist nach Prag. Aber auch die Region im Südosten bietet viel zum Sehen und zum Probieren – Wein und Bier, Schlösser und moderne Architektur. Wir nennen vier Gründe für einen Besuch, zusammengestellt von Susanne Kilimann.

Wein muss sein

Südmähren ist Weinland. Das zeigt sich schon bei der Ankunft am Bahnhof von Brünn (Brno), Tschechiens zweitgrößter Stadt. Am Bahnsteig rollt der „Traminer“ ein. An einem anderen wartet der „Müller-Thurgau“ auf das Startsignal. Regionalzüge sind hier, im tschechischen Südosten, nach Rebsorten benannt. Neben Müller-Thurgau und Traminer sind Welschriesling, Grüner Veltliner und Burgunder die Platzhirsche in den Anbaugebieten.

Kiessandterrassen, Lössboden und kühle Sommernächte verleihen den Beeren intensive Aromen. An Gelegenheiten, die Winzer-Erzeugnisse kennenzulernen, fehlt es nicht. Schon gar nicht in Znaim (Znojmo), dem Hauptort eines der vier südmährischen Anbaugebiete. Vinotheken präsentieren rund ums Jahr das vielfältige Spektrum der Region – Weiß, Rot und Rosé. Und im Herbst werden Weinfeste gefeiert.

Ein Wein sagt viel über die Lebensphilosophie seines Produzenten. Das kann man bei Vojtĕk Valka lernen. Auf seinem Weingut in Nosislav, ein Ort zwischen Znaim und Brünn, produziert der 30-Jährige „mit großem Respekt vor der Natur“, wie er sagt. Sein Know-how hat er vom Vater. Inspiration holt sich Valka, der auch Vorsitzender der Jungwinzer-Vereinigung ist, beim Austausch mit Kollegen und beim Reisen mit Ehefrau Natalia, die als Sommelière seine Weinleidenschaft teilt.

Valka schenkt Pálava ein. Die regionale, aus Muskat und Traminer gezüchtete Rebsorte habe zu Unrecht den Ruf, nur für süßliche, halbtrockene Weine zu taugen, sagt Valka: „Unser Pálava ist ganz anders – ein puristischer Naturwein, wie man ihn schon vor Tausenden Jahren machen konnte.“ Ein zufriedenes Lächeln huscht über das Gesicht des Winzers, während der herbe Orangewein die Gaumen der Gäste mit sanftem Prickeln erfrischt.

Keine bierfreie Zone

„Selbstverständlich haben wir auch Bier, nicht nur Wein.“ Der Kellner in der Vinothek am Znaimer Rathausmarkt zählt ein paar Namen heller Klassiker auf, empfiehlt dann aber hausgemachtes Johannisbeerbier. Heute sind in Südmähren eine Reihe von Mini- und Mikrobrauereien mit kreativen Rezepten am Werk. Dabei hat es das Brauereihandwerk im Weinland Mähren nicht leicht gehabt, seinen Platz zu behaupten. Das Recht auf Brauwesen und Ausschank wurde dem Handelsplatz Znaim zwar schon bei Verleihung des Wiener Stadtrechts 1278 zuteil. Doch so richtig gut lief das Biergeschäft nicht.

Im 17. Jahrhundert appellierten die beiden ortsansässigen Brauereien, die Schankrechte der Winzer einzuschränken. Den Stadtrat hatten sie bald auf ihrer Seite. Aber nicht die Bürger. Die beharrten auf ihrem Wein – und alles blieb beim Alten. Rund 100 Jahre später stellten beide Brauereien ihre Aktivitäten ein. Zur bierfreien Zone wollten die Stadtväter Znaim aber nicht verkommen lassen. Auf dem Areal der Burg brachten sie eine städtische Brauerei an den Start.

Die erlebte wechselvolle Zeiten, wurde privatisiert und nach 1945 verstaatlicht, nach dem politischen Umbruch von 1990 wieder privatisiert und schließlich an Starobrno, die große Brünner Brauerei, verkauft. Als der niederländische Gigant Heineken Starobrno übernahm, kam das Aus für die Produktion in Znaim.

Mit dem Ende der Braukultur abfinden wollten sich die örtlichen Bierfans zum Glück auch dieses Mal nicht: Aus dem verwaisten Braukeller machten sie ein Museum und seit ein paar Jahren gibt es eine neue kleine Stadtbrauerei. Die stellt nicht nur klassische Sorten her, sondern auch Spezialitäten wie Sauvin, ein mit Weinhefe vergorenes Bier. Mit einem Alkoholgehalt von elf Prozent nimmt es dieser Hopfentrunk sogar mit Riesling und Veltliner auf.

Mittelalter trifft Moderne

Die Villa an der Brünner Drobného-Straße 297 ist noch heute eine der prachtvollsten dieser Gegend. 1903 erbaut, mit Jugendstil-Stuckfassade, Türmchen und pyramidenförmigem Glasdach, das die Eingangshalle überspannt. Der Textilfabrikant Alfred Löw-Beer hatte das Haus in Hanglage 1913 gekauft und war mit seiner Familie an die feine neue Adresse gezogen. Seiner Tochter Grete schwebt allerdings ein ganz anderer Traum vom schönen Wohnen vor, weshalb sie Ende der 1920er-Jahre ein Haus für sich und ihren Ehemann, den Unternehmer Fritz Tugendhat, im oberen, hinteren Teil des parkähnlichen Hanggrundstücks der Eltern plante.

Sie konnte Ludwig Mies van der Rohe überzeugen, für den Auftrag aus Berlin nach Mähren zu kommen – und der Pionier der modernen Architektur setzte den Tugendhats eine dreigeschossige Villa an den Hang, die auch fast 100 Jahre nach ihrer Fertigstellung mit zeitlosem Minimalismus besticht. Spektakulär ist die Mitteletage, wo die raumhohe Glasfront Wohnraum und Garten zu einer Einheit verschmelzen lässt.

Neun Jahre lang konnten die Tugendhats ihr modernes Zuhause genießen. Dann besetzten die Nazis im März 1939 Böhmen und Mähren mitsamt Brünn – die jüdischstämmige Familie konnte gerade noch rechtzeitig fliehen. In ihre Heimat kehrten die Tugendhats nie mehr zurück, von einem Kurzbesuch abgesehen. Als eine Ikone der modernen Architektur zählt ihre Villa heute zum UnescoWeltkulturerbe.

Auch andere Architekten haben in der Zeit zwischen den Weltkriegen Gebäude mit avantgardistischen Formen in die Brünner Stadtlandschaft gesetzt. Villa Stiassni, „Café Era“ und „Café Zeman“ gehören zu den Gebäuden, die in den 1920er-Jahren eine neue Ära einläuteten; Villa und Cafés bestehen noch immer. Das lichtdurchflutete „Café Zeman“ wurde vom Brünner Stadtplaner Bohuslav Fuchs entworfen, der auch mit dem 1928 eröffneten „Hotel Avion“ Architekturgeschichte geschrieben hat.

Für das Haus stand nur ein extrem schmales Grundstück zur Verfügung. Mit einem achtgeschossigen, lediglich acht Meter breiten Gebäude zeigte Fuchs, dass Funktionalismus und Ästhetik kein Widerspruch sind – das renovierte Hotel zählt zu den spannendsten Unterkünften Südmährens.

Ein Kontrastprogramm zur Moderne bieten dagegen die Brünner Burg Spielberg und die märchenhaften Schlösser der Region, etwa Schloss Slavkov-Austerlitz. Auch das auf einem Hügel hoch über dem Tal der Thaya gelegene Städtchen Znaim, knapp 70 Kilometer von Brünn entfernt, versprüht historischen Charme. Stadtmauer und Mittelalter-Türme dominieren die Skyline.

Spannend ist der Abstieg in das riesige Labyrinth aus unterirdischen Gängen und miteinander verbundenen Räumen, das sich unter der Altstadt erstreckt, stellenweise über vier Geschosse tief in der Erde. Forscher gehen davon aus, dass es im Spätmittelalter als Lager für verderbliche Waren erbaut wurde. Znaim war damals eine reiche und wichtige Handelsstadt. Außerdem gibt es Annahmen, dass das unterirdische Labyrinth als geheimes Verteidigungssystem Teil der Befestigungsanlagen war. Dass sich in keinem Archiv ein Plan dieser „Stadt unter der Stadt“ finden ließ, stützt diese Theorie.

Alles grün am Fluss

Znaim liegt unweit der Thaya. Der Fluss schlängelt sich durch das tschechisch-österreichische Grenzgebiet, bildet aber nicht überall exakt die Staatsgrenze. Scheinbar mühelos lassen sich Ausflügler in bunten Kajaks flussabwärts treiben. Für Wandernde und Radfahrer geht es auf Waldwegen tiefer hinein in den Národní park Podyjí, den kleinsten Nationalpark Tschechiens. Sanft hügelig ist das Terrain. Von Wurzeln durchsetzte Wege führen zu Aussichtspunkten wie dem Königsstuhl.

Unten mäandert die Thaya durch eine romantische Schlucht. Bis zum politischen Umbruch von 1990 verlief hier die streng bewachte Grenze zwischen dem Ostblockstaat Tschechoslowakei und dem neutralen Österreich. Immer wieder gab es Fluchtversuche, die tragisch endeten. Beim Durchschwimmen der kurvigen Thaya verlor so mancher die Orientierung, wähnte sich schon im sicheren Österreich, während er am tschechischen Ufer aus dem Wasser stieg, wo Grenzsoldaten auf der Lauer lagen.

Die Natur konnte sich im Grenzgebiet ziemlich ungestört entfalten. Seltene Vogelarten wie Wiedehopf und Fischadler leben in dem Gebiet, das 1991 zum Nationalpark erklärt wurde. Rare Schmetterlingsarten wie der Schwarze Apollo sind hier heimisch. Ebenso Smaragdeidechsen.

Am Šobes, einem sonnenverwöhnten Bergsporn, werden die Reptilien mit dem blauen Kopf besonders oft gesichtet. Hierher zieht es auch die meisten Ausflügler. Denn der Šobes ist einer der ältesten Weinberge Europas. Ein Schankhäuschen verkauft hier mährische Weißweine – die lässt man sich am besten an Ort und Stelle auf einer Picknickdecke schmecken.

Tipps und Informationen

Anreise: Direktverbindung mit dem EuroCity ab Berlin über Dresden und Prag nach Brünn (mehrmals täglich), Fahrtdauer rund sieben Stunden (bahn.de). Oder mit dem Auto über Prag nach Brünn, ab Berlin etwa 5,5 Stunden, ab Frankfurt/Main 6,5 Stunden. Von Brünn nach Znaim gibt es eine Busverbindung mit einem Umstieg, Fahrtdauer etwa 1,5 Stunden. Wer will, kann auch nach Wien fliegen und nimmt von dort den Zug nach Brünn.

Unterkunft: Brünn bietet ein breites Spektrum an Hotels, Topadresse ist das „Grandezza Hotel Luxury Palace“ im Herzen der Altstadt, Doppelzimmer ab rund 100 Euro (grandezzahotel.com/de). Fans der Moderne buchen im „Hotel Avion“ in Brünn, Doppelzimmer ab 74 Euro (avion-hotel.cz). In Znaim wohnt man wunderschön in der „Stará Pekárna“, der restaurierten Alten Bäckerei, Doppelzimmer ab 90 Euro (1starapekarna.cz/en).

Entdecken: Die Villa Tugendhat lässt sich tagsüber, wenn das Park-Grundstück geöffnet ist, von außen ohne Eintritt besichtigen; Hausführungen (auf Tschechisch oder Englisch) sind oft schon auf Wochen im Voraus ausgebucht, eine frühzeitige Reservierung lohnt sich (tugendhat.eu/en). Informationen zu weiteren Sehenswürdigkeiten in Brünn unter gotobrno.cz/de; Informationen zu Znaim unter znojmocity.cz

Weitere Auskünfte: sued-maehren.de; visitczechia.com/de-de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von den Fremdenverkehrsbüros von Brünn und Znaim. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit

Source: welt.de