Stichwahl des Präsidenten in Polen: Eine Wahl von europäischer Tragweite

Es ist mehr als eine innenpolitische Angelegenheit: Am Sonntag sind rund 29 Millionen Polinnen und Polen dazu aufgerufen, in einer Stichwahl über den neuen Präsidenten ihres Landes abzustimmen. Im ersten Wahlgang am 18. Mai konnte keiner der 13 Kandidaten eine absolute Mehrheit erlangen, nun treten der proeuropäische Kandidat Rafał Trzaskowski und der rechtsnationalistische Karol Nawrocki gegeneinander an. Auch europaweit stößt die Präsidentschaftswahl auf großes Interesse – der polnische Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann indirekt Einfluss auf die Außenpolitik des EU- und Nato-Landes nehmen. Ein
Überblick über die wichtigsten Fragen rund um die Stichwahl

Wer tritt bei der Präsidentschaftswahl in Polen an?

Am 1. Juni können wahlberechtigte Polinnen und Polen zwischen dem proeuropäischen Rafał Trzaskowski und dem rechtsnationalistischen Karol Nawrocki abstimmen. Trzaskowski hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit gut 31 Prozent ganz knapp gewonnen. Er ist aktuell Stadtpräsident der Hauptstadt Warschau und wie
Ministerpräsident Donald Tusk Angehöriger der liberal-konservativen
Bürgerplattform.

Der parteilose Nawrocki, den die ehemalige nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt, erhielt im ersten Wahlgang knapp 30 Prozent und belegte den zweiten Platz. Da keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit auf sich vereinen konnte, gibt es eine Stichwahl. Vor fünf Jahren hat der amtierende Präsident Andrzej Duda
gegen Trzaskowski die Wahl um das höchste Staatsamt gewonnen. Nach zwei Amtszeiten darf der aus den Reihen der PiS
stammende Duda aber nicht erneut kandidieren. 

Der Wahlkampf bringt auch viele Themen auf, die die Menschen in Polen aktuell bewegen: das
Gesundheitssystem, Wohnraummangel, Migration, das Recht auf
Schwangerschaftsabbrüche, der Krieg in der Ukraine sowie Polens Rolle in
der EU. Mehr als einhunderttausend Menschen versammelten sich im Vorfeld des zweiten Wahlgangs zu Kundgebungen in Warschau.

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Wer führt in Umfragen?

In Umfragen liegen die Zustimmungswerte für Nawrocki und Trzaskowski nahe beieinander. Laut einer Befragung im Auftrag des Portals Onet führt der liberale Trzaskowski mit 50,1 Prozent der Stimmen knapp vor dem rechtskonservativen Karol Nawrocki mit aktuell 49,9 Prozent. Eine Umfrage im Auftrag des Portals Wirtualna Polska hingegen sieht Nawrocki mit 50,63 Prozent knapp vorn, Trzaskowski mit 49,37 Prozent dahinter.

Die Wahllokale schließen am Sonntag um 21 Uhr. Danach gibt es zunächst nur Prognosen, deren Fehlertoleranz allerdings größer ist als der derzeitige Abstand zwischen den Kandidaten. Das offizielle Ergebnis wird erst am Montag erwartet. 

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Wie viel Macht hat der Präsident in Polen?

Die meiste
politische Macht in Polen übt der Ministerpräsident aus – derzeit also
Tusk. Die Befugnisse des polnischen Präsidenten sind entsprechend
begrenzt, reichen allerdings weiter als etwa die des deutschen Bundespräsidenten. So ist der polnische Präsident
Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ratifiziert laut Verfassung internationale Übereinkünfte. Er hat zudem das Recht, Gesetze einzubringen und sein Veto einzulegen. Dies kann zu Blockaden führen, wenn – wie aktuell – Präsident und Ministerpräsident aus unterschiedlichen Parteien kommen. 

Vom
Veto hat Duda wiederholt Gebrauch
gemacht und damit die meisten Gesetzentwürfe der aktuellen Regierung
blockiert. Er legte sein Veto etwa gegen einen Gesetzesentwurf ein, der Frauen rezeptfreien Zugang zur Pille danach
ermöglicht hätte. Nawrocki dürfte die Blockadepolitik Dudas fortsetzen.

Tusks Mitte-links-Bündnis hat im
Parlament aktuell nicht die nötige Mehrheit, das Veto des Präsidenten aufzuheben. Sollte hingegen Trzaskowski gewinnen, „kann das Regierungslager wichtige Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen beziehungsweise erfolgreich finalisieren“, sagt Politologe Kai-Olaf Lang von der
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu ZEIT ONLINE. Bei Legislativfragen fiele so ein „potenzieller Störfaktor“ weg. Das gelte etwa für die Rechtsstaatlichkeit und die Rückabwicklung der Justizreform der vorherigen Regierungspartei PiS. Aber auch Trzaskowski könnte in Einzelfällen Widerstand gegen
die ihm nahestehende aktuelle Regierung üben. 

Einige Beobachter spekulieren gar darüber, ob im Falle eines Wahlsieges von Nawrocki vorgezogene Parlamentswahlen möglich wären. Politologe Lang hält dies hingegen für unwahrscheinlich. „Die Parteien des Regierungslagers wären nach einem Sieg Nawrockis angeschlagen und ein Ende der Koalition oder sogar vorgezogene Neuwahlen wären enorm riskant.“

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Wofür stehen die Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl?

Rafał Trzaskowski

Der Politikwissenschaftler und ehemalige EU-Abgeordnete Trzaskowski setzt sich
für die Rechte der queeren Gemeinschaft ein und will die strikte Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen – einer der strengsten Europas –in dem katholischen Land lockern. Trzaskowskis liberale Haltung hierbei könne allerdings bestehende Differenzen innerhalb der polnischen Regierung verstärken, sagt Polenexperte Lang. Vorbehalte kommen demnach unter anderem von der Bauernpartei.

Trzaskowski ist seit vielen Jahren Stadtpräsident Warschaus. In seiner Amtszeit wurde die Infrastruktur der Stadt deutlich modernisiert. Kritiker werfen ihm jedoch Ineffizienz und Verschwendung in der Warschauer Verwaltung vor. Seine liberalen Ansichten, etwa seine Teilnahme an Pride-Paraden, stoßen zudem auf Widerstand außerhalb der städtischen Zentren. Bei anderen Themen hat Trzaskowski deutlich andere Töne angeschlagen: Er
sprach etwa wiederholt vom „wirtschaftlichen Patriotismus“ und will die
Grenzen Polens gegen Migrantinnen und Migranten absichern.

Karol Nawrocki

Der euroskeptische Kandidat Nawrocki versucht indes, Stimmen aus dem Rechts-außen-Lager für sich zu
gewinnen. Insgesamt hat in der ersten Wahlrunde eine knappe Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für Bewerber rechter und rechtsextremer Parteien gestimmt. 

Nawrocki ist ehemaliger Boxer und Historiker. Derzeit leitet er das
Institut des Nationalen Gedenkens, das sich unter anderem als Aufgabe gesetzt hat, Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges und zu Zeiten der Sowjetunion zu untersuchen. Nawrocki ist kein PiS-Mitglied. Mit seiner Kandidatur will die Partei jedoch neue Gesichter präsentieren, um
wieder an Einfluss zu gewinnen. Sollte er die Wahl gewinnen, würde die PiS „das als Trendwende verkaufen und Rückenwind verspüren“, meint SWP-Politologe Lang. Nawrockis Wahlkampf war von Kontroversen geprägt, etwa um die von ihm zugesagte Fürsorge für einen Rentner im Gegenzug für den Verkauf seiner Wohnung.

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Wie könnte ein neuer Präsident das Verhältnis zur EU prägen?

Trzaskowski als Staatsoberhaupt würde die Beziehungen zur EU fördern, sagt Mittel- und Osteuropaexperte Lang. Nawrocki hingegen stehe „in der Linie der souveränitätsorientierten Europapolitik der PiS“. Zu erwarten sei, dass er die EU-Politik beim Thema Migration und Klima kritisiere und Kontakte zu nationalkonservativen Politikerinnen und Politikern suche.

Marta Prochwicz Jazowska von der Denkfabrik Eurpean Council on Foreign Relations geht davon aus, dass Nawrocki die Ambitionen von Tusk blockieren könnte, Polen zu einem Schlüsselakteur innerhalb der EU zu machen. Dabei könnte etwa das Format Weimarer Dreieck eine wichtige Rolle spielen – ein Koordinierungsgremium mit Frankreich und Deutschland. Doch mit seinem Vetorecht kann der Präsident neue Gesetze zur Außenpolitik blockieren. 

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Wie stehen die Kandidaten zur Ukraine?

Mit Blick auf andere Aspekte der EU-Politik wie Sanktionen gegen
Russland, Finanzhilfen für die Ukraine und ihre militärische
Unterstützung seien Trzaskowski und Nawrocki „ähnlich
ausgerichtet und werden ähnlich wie die Regierung agieren“, sagt der
Politologe Lang. Auch Jazowska schreibt, dass die Positionen der
Kandidaten mit Blick auf die Ukraine sich oberflächlich gleichen würden.

In Verhandlungen über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine würde die Regierung zwar verhandeln, der Präsident müsse aber den
Beitrittsvertrag mit seiner Unterschrift ratifizieren, wie Lang von der SWP sagt. Dabei erwartet er, dass sich Nawrocki für die konsequente
Vertretung polnischer Interessen einsetzen werde, etwa in der
Landwirtschaft oder der Finanzierung der Erweiterung.

Nawrocki hat außerdem eine Blockade gegen einen Nato-Beitritt der
Ukraine angekündigt, ebenso gegen die Stationierung polnischer Soldaten im Nachbarland und die
Einführung des Euro. Nawrocki wirft den etwa eine Million ukrainischen Flüchtlingen im Land zudem vor, sich an Polen zu bereichern

Trzaskowski hingegen will an der Perspektive eines Nato-Beitritts der
Ukraine festhalten. „Putin versteht nur die
Sprache der Stärke. Wenn die Ukraine keine Sicherheitsgarantien
bekommt, sind wir als Nächstes dran“, sagte der liberale Kandidat. Er kündigte zugleich an, als Präsident arbeitslosen Ukrainern das Kindergeld zu streichen – eine Maßnahme, die vor allem ukrainische Mütter treffen dürfte.

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Welche Bedeutung hat die Wahl für die deutsch-polnischen Beziehungen?

Der
Einschätzung des Politologen Lang zufolge könnte Trzaskowski „ein wenig
freier agieren als die Regierung, die immer darauf achten muss, nicht
als deutschlandfreundlich oder nachgiebig zu erscheinen“. Bei Nawrocki
hingegen rechnet der Politologe insbesondere bei Fragen
der Geschichtspolitik mit einem strikteren Kurs Nawrockis gegenüber der
amtierenden Regierung und Vorwürfen des rechten Politikers, „sie habe
etwa das Thema von Reparationen unter den Tisch fallen lassen“.

Einig
sind sich hingegen die beiden Kandidaten demnach bei der Forderung nach
einem größeren Engagement Deutschlands in der Sicherheitspolitik und
beim Thema Rüstungsfinanzierung. „Auch in der Migrationspolitik wäre
weiter mit Differenzen zu rechnen, wobei die Tonalität von Nawrocki
deutlich schärfer wäre.“

Mit Material der Nachrichtenagenturen AP, AFP, dpa und Reuters

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