Staatskonzern Rosatom: Gefährliche Partnerschaft

Auch wenn man in geheimer Mission unterwegs ist, mag man es bequem. Für die Reisegruppe, die im März die Kleinstadt Neman in der russischen Exklave Kaliningrad besuchte, wurde das Hotel Prinzessin Ragneta ausgesucht. Es ist das erste Haus am Platz, gelegen im Zentrum, nahe dem Ufer der Memel. Die Zimmer verfügen über Kühlschrank, Fernseher und Fön. Den Reisenden sollte wohl ein Mindestmaß an Komfort geboten werden, schließlich war ihr Besuch für die russischen Gastgeber äußerst wichtig.

Mehr als 20 Experten aus Südkorea sollen nach ZEIT-Informationen im Frühjahr Kaliningrad besucht haben, um dem russischen Staatskonzern Rosatom dabei zu helfen, den Anschluss an die Batterietechnik nicht zu verpassen. Bereits im vergangenen Jahr hatte die ZEIT darüber berichtet, dass ausgerechnet Unternehmen aus Südkorea Rosatom dabei unterstützen, eine Fabrik für Lithium-Ionen-Batteriezellen in Kaliningrad zu errichten, wichtig nicht nur für Elektroautos. Jetzt zeigt sich, das Engagement ist deutlich umfangreicher als ursprünglich angenommen.

Die Sache könnte man als gewissenlose Geschäftemacherei abtun. Doch nachdem das diktatorische Nordkorea mehr als 10.000 Soldaten nach Russland entsandt hat, um Wladimir Putin beim Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen, bekommt der Fall eine gefährliche geopolitische Dimension: Nordkoreas Despot Kim Jong Un erweist sich in dem Krieg als verlässlicher Partner Putins. Seit Monaten schon liefert er Raketen und Munition für die russischen Streitkräfte, während er das demokratisch regierte Südkorea mit Drohungen überzieht. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul fürchtet man, Putin könnte Kim als Dank für den Beistand Raketen- und Weltraumtechnik liefern.

Es wundert daher, dass, trotz dieser explosiven Lage, Experten aus dem Nato-Partnerland Südkorea Russland offenbar beim Bau einer Batteriefabrik helfen. Dabei hat Südkorea erst im Februar die Ausfuhr von jenen Lithium-Ionen-Batterien nach Russland verboten, die dort gefertigt werden sollen. Das Exportverbot umfasst auch eine Reihe anderer Warengruppen und wurde von der Regierung damit begründet, dass eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ bestehe, dass diese Produkte für militärische Zwecke eingesetzt werden.

Der Fall verdeutlicht, wie es Russland immer wieder gelingt, Sanktionen zu umgehen. Er zeigt aber auch, wie abhängig das Land von Technologie aus dem Ausland ist – denn ohne fremde Hilfe würde in Kaliningrad kein Batteriewerk entstehen.

Der Bau der Fabrik hält für demokratische Regierungen noch eine weitere Lektion bereit. Unterstützung erhält Rosatom bei dem Projekt von dem südkoreanischen Unternehmen Enertech. Dieses wurde im Jahr 2022 von Rosatom übernommen. Damit ist es dem russischen Staatskonzern gelungen, asiatisches Know-how einzukaufen. Das wirft die Frage auf, ob demokratische Industrieländer bei der Investitionskontrolle künftig strenger hinschauen müssen, um solche Deals zu verhindern, wenn sie ihre Sanktionen durchsetzen wollen.



Kaliningrad

200 km

©ZEIT-Grafik

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Es spielt nämlich durchaus eine Rolle, wer sich in ein Unternehmen einkauft, wenn es um Spitzentechnologie geht. Die Batterien des Spezialherstellers Enertech sind vielfältig verwendbar, etwa in Autos oder Mobiltelefonen. Zu den Kunden gehören nach Unternehmensangaben auch große asiatische Tech- und europäische Automobilkonzerne. Eine Tochtergesellschaft bekam sogar Aufträge vom US-Verteidigungsministerium. Auch Batterien für den Einsatz beim Militär fertigt Enertech. Sie zeichneten sich durch eine „hohe Widerstandsfähigkeit“ aus, wirbt das Unternehmen.

Dieses Know-how kann nun offenbar ungehindert nach Russland exportiert werden. Enertech ließ eine Anfrage dazu bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet. Die Botschaft von Südkorea in Deutschland teilt mit, das Land beteilige sich aktiv an den Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, eine friedliche Lösung für die „Situation in der Ukraine zu erreichen“, und habe „strenge Exportkontrollen gegenüber Russland“ in Kraft gesetzt.

Dass mehr als 20 Spezialisten von einem Dutzend südkoreanischer Unternehmen Ende März nach Kaliningrad reisen würden, wurde von den Beteiligten vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Nach ZEIT-Informationen sollen Mitarbeiter hochspezialisierter südkoreanischer Aktienunternehmen aus dem Energiebereich dabei gewesen sein, etwa People and Technology Inc, Youil Energy Tech oder Wonik PNE. Den Mitgliedern der Reisegruppe soll dabei die Baustelle gezeigt worden sein. Außerdem soll ein Zeitplan erstellt worden sein, wann Equipment aus Südkorea für die Fabrik geliefert werde. Bei der Reise soll auch darüber beraten worden sein, wo Spezialisten aus Südkorea untergebracht werden, wenn sie auf der Baustelle arbeiten. Sämtliche Unternehmen ließen Anfragen zu ihrem Engagement in Kaliningrad unbeantwortet.

Schon im kommenden Jahr sollen die ersten Batteriezellen gefertigt werden. In einem internen Memo der Bezirksregierung von Kaliningrad wird aber noch auf eine ganz andere Bedeutung der Fabrik hingewiesen. Sollten Unternehmen in der Region durch verstärkten „Sanktionsdruck“ schließen müssen, könnte durch das neue Werk der Anstieg der Arbeitslosigkeit verlangsamt werden – der soziale Frieden wäre nicht in Gefahr.