SPD | Bürgergeld-Verschärfung zum Besten von Erbschaftssteuer-Reform? Worauf die SPD jetzt hofft
Am Tag, an dem die Inflation in Deutschland gerade wieder gestiegen ist, lehnt der Bundestag es ab, dagegen etwas zu tun. 2,2 Prozent Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat vermeldet das Statistische Bundesamt am Morgen, bei Nahrungsmitteln sogar 2,5 Prozent – doch am Vormittag hat der Antrag der Linksfraktion, die „Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte und auf Bus und Bahn abzuschaffen“, gegen SPD, Union und AfD keine Chance. Redner von letzteren beiden Fraktionen nehmen die ebenfalls von der Linken geforderte „Preisaufsicht“ zum Anlass, um Witze über DDR und Planwirtschaft zu reißen. Immerhin das sparen sich die Sozialdemokraten. Doch zimperlich ist auch deren Abgeordneter Michael Thews nicht: „Was die Linke macht, ist reiner Populismus, Tiktok-Politik“, ruft er ins Plenum, „traurig“ sei das und habe „mit den Linken nicht mehr viel zu tun“.
Die Mehrwertsteuer ist die unsozialste Steuer – sie fällt auf so gut wie alle Güter an, auch die, ohne die man nicht leben kann. Jede und jeder muss den gleichen Satz zahlen, ob arm oder reich. Zweimal wurde die Mehrwertsteuer in den vergangenen 30 Jahren erhöht, beide Male mit den Stimmen der SPD. Die Anhebung auf 19 Prozent 2006/2007, um satte drei Prozentpunkte, gilt als größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Um einen Prozentpunkt war die Mehrwertsteuer 1998, noch vor der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, erhöht worden – im sogenannten Rentenkonsens von CDU, CSU, FDP und SPD.
Miersch, Klingbeil, Lauterbach: Auf dem Weg zur Agenda 2030?
Das auf alle abgewälzte eine Prozent mehr, das wie immer bei einer Mehrwertsteuererhöhung die Ärmsten am härtesten traf, sollte helfen, das Defizit in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen. Der Rentenkonsens betonte zugleich die Unumgänglichkeit privater Vorsorge und legte so den Grundstein für die Renten- und Sozialreformen der Folgejahre unter Rot-Grün.
Die „Agenda 2010“ mit den Hartz-Reformen folgte – und nach ihr der Absturz der SPD auf Bundestagswahlergebnisse von 23 Prozent (2009), 26 Prozent (2013), 21 Prozent (2017) und 26 Prozent (2021). Letztere reichten mit Olaf Scholz wegen des Unions-Vakuums nach dem Abtritt Angela Merkels noch einmal für eine Kanzlerschaft. Doch die Ampel-Koalition zerbrach. Schon ein Jahr zuvor war die sozialdemokratische Hoffnung zerstoben, mit der Einführung des Bürgergeldes die Hartz-IV-Wunde zu kitten.
Von Hartz IV zum Bürgergeld
Denn Verschärfungen von Sanktionen, die Einleitung der Rückkehr zum Vorrang von Vermittlung in Arbeit vor Qualifizierung, die Erhöhung der zumutbaren Pendel-Zeit zu einer Arbeitsstelle auf drei Stunden pro Tag oder die Kürzung der Verschonungszeit für Vermögen hatte die Ampel bereits Ende 2023 beschlossen. Tönt knapp zwei Jahre später unter Schwarz-Rot der Ruf vom „Herbst der Reformen“ täglich noch so laut durch die Republik: dass weitere Einschnitte beim Bürgergeld die Haushaltslöcher der amtierenden Bundesregierung stopfen helfen, ist reine Fantasie. Genau wie die Vorstellung, man müsse nur vermeintliche Heerscharen von Arbeitsverweigerern drangsalieren, um das Land aus seiner tatsächlich dramatischen ökonomischen Krise zu führen.
Dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Totalsanktionierung ausschließt und die bedingungslose Gewährung des Existenzminimums verlangt, betont sogar der im Frühjahr ausgehandelte Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Das Gros der Bürgergeld-Bezieher ist nicht faul, sondern zu krank für den ersten Arbeitsmarkt, alleinerziehend oder muss infolge zu geringer Löhne aufstocken.
Strom- und Einkommenssteuer: Die gebrochenen Versprechen von Schwarz-Rot
Trotzdem kündigt SPD-Bundestagsfraktionschef Matthias Miersch „umfangreiche Sozialreformen“ an, „die auch Einschnitte bedeuten“, lobt Finanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil seinen Vorgänger, den Agenda-2010-Kanzler Gerhard Schröder, dafür, „mutige Reformen angepackt“ zu haben, legt der im Wahlkreis Leverkusen / Köln IV direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen nahe, die arbeitende Bevölkerung verstünde die SPD nicht mehr, weil die sich mehr um die nicht arbeitende Bevölkerung zu kümmern scheine.
Da mag etwas dran sein – nur, warum bleibt dann die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen bei der Einkommenssteuer ein immer ferneres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag? Und warum hat die Bundesregierung das Versprechen einer Stromsteuersenkung für alle gebrochen und diese nur für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft, nicht aber für Privatverbraucher beschlossen?
Wie der Sozialdemokrat Sören Link in Duisburg gut abgeschnitten hat
Schon bei der Bundestagswahl im Februar kam die SPD auf Stimmenanteile von nur zwölf Prozent unter Arbeiterinnen wie Arbeitern und 13 Prozent unter Erwerbslosen. Die einstige Partei der Arbeit begegnet dem mit dreierlei: Bundesarbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas hat zum Kampf gegen „mafiöse Strukturen“ beim Bürgergeld geblasen. Dass es diese gibt, weiß die SPD-Chefin aus ihrer Heimatstadt Duisburg.
Dort führt ihr Genosse Sören Link als Oberbürgermeister seit Jahren jenen Kampf gegen Unternehmer, die Zuwanderer aus Osteuropa mit Niedriglohnverträgen ausstatten und sie zum Aufstocken zum Amt schicken, und gegen nur zum Schein in Hochhaussiedlungen Angemeldete, für die Bürger- oder Kindergeld fließt. Link steht für den migrationskritischen Kurs, wie ihn Dänemarks Sozialdemokraten verkörpern, gerade hat er mit 46 Prozent eines der besten SPD-Ergebnisse in NRW erzielt, auch wenn er in die Stichwahl gegen den AfD-Vertreter (20 Prozent) muss.
Doch auch dieser Kurs wird die Wirtschaft nicht in Schwung bringen noch die Haushaltslöcher der Koalition stopfen, denen diese auch mit ihrem Verschieben von Investitionen aus dem Kernhaushalt in das „Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität“ nicht beikommt. Selbiges ist die zweite Säule der SPD-Strategie: Kein Tag vergeht, ohne dass vor allem Klingbeil die Segnungen dieser Investitionen für die soziale Infrastruktur, für Schulen und Kitas etwa, betont. Doch bis die 500 Milliarden Euro für die Bürger spürbare Wirkung entfalten, wird es lange Zeit brauchen, wenn überhaupt.
Warum Jens Spahn plötzlich über eine Reform der Erbschaftssteuer nachdenkt
Bleibt zum Dritten die stärkere Besteuerung sehr hoher Vermögen und Einkommen, auf die Klingbeil pocht, obwohl sie die SPD längst in den Koalitionsverhandlungen drangegeben hat. Hoffnungsschimmer ist nun eine Reform der Erbschaftsteuer, wie sie zuletzt sogar Unions-Fraktionschef Jens Spahn in Aussicht gestellt hat. Nicht, weil er sein Gerechtigkeitsempfinden entdeckt hätte, sondern weil er wie alle im politischen Berlin weiß, dass das Bundesverfassungsgericht bald über Klagen gegen die Ausgestaltung der Erbschaftsteuer und die sagenhafte Bevorteilung vor allem riesiger Betriebsvermögen entscheidet. Karlsruhe könnte zum wiederholten Male eine Neuregelung verlangen.
Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer aber kommen eigentlich den Ländern zu und helfen dem Bund nicht. War der in der Vergangenheit besonders klamm, haben sich Regierungen dann gerne auf etwas verständigt, das gehörige Einnahmen generiert und die Ärmsten am härtesten trifft: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.