Siegfried Unseld: Danke, mein Freund
Diese letzte Gelegenheit möchte ich nutzen, um Siegfried dafür zu danken, mir die Welt seines Verlages von innen geöffnet zu haben – um nicht bloß der Leser jener Bücher und jener Autoren zu bleiben, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren begannen, das Profil der „Suhrkampkultur“ mitzubestimmen. Zum Glück kam es anders.
Im Frühsommer 1963 meldeten sich Siegfried und Hilde Unseld bei uns in Heidelberg zum Kaffee an. Schon bei diesem ersten Treffen war Siegfried ganz er selbst – der zielstrebige, zunächst um Mitarbeit, fast schon um Freundschaft werbende Unternehmer. Es sollte um die Gründung der Theorie-Reihe im Verlag gehen. Bald konzentrierte sich die Unterhaltung auf die Auswahl der Herausgeber, zu denen ich gehören sollte. Im Gespräch seien auch die Philosophen Wilhelm Weischedel und Hans Heinz Holz. In diesen Namen von zwei bekannten, aber nicht eben geistesverwandten Persönlichkeiten erkannte ich damals noch nicht die gewisse politische Spannung zwischen den Vorstellungen des Verlegers und seiner engagierten Lektoren Walter Boehlich und Karl Markus Michel. Stattdessen brachte ich Dieter Henrich als einen möglichen Mitherausgeber ins Spiel. Mit dem Plan war die keineswegs selbstverständliche Erweiterung eines literarischen Verlages um ein neues Lektorat für Philosophie und Gesellschaftstheorie verbunden – eine erhebliche Veränderung. Hausintern ist bis heute vom „Wissenschaftslektorat“ die Rede. Auf die Frage nach dem Motiv erklärte uns Unseld damals, bei der Prüfung der Umsätze der seinerzeit aus der Taufe gehobenen edition suhrkamp habe er entdeckt, dass sich nicht nur Brecht und Hesse, wie zu erwarten, glänzend verkauften, sondern auch Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus. Es waren also die Verkaufszahlen eines im Fach renommierten und offenbar großartigen, „aber für ein breiteres Publikum doch völlig unlesbaren Textes“ eines weltberühmten Philosophen, die den Verleger auf seine Idee gebracht hatten. Rückblickend erkennt man in diesem Motiv die zeitgeschichtliche Sensibilität für Kehrtwenden der kulturellen Szene, die den erfolgreichen Verleger auszeichnet. Siegfried hatte eine Nase für die alsbald ausbrechende „Theorieleidenschaft“ der jüngeren Generation, die damals erst in der Luft lag.