Sie sind jung, zivilisiert und zeugen irgendwas mit Medien – die New Kids im Kontext den Linken
Einige hatten sie schon für tot erklärt – doch innerhalb eines Jahres hat sich die Linke mehr als verdoppelt. Nach mehreren Eintrittswellen hat die Partei mittlerweile rund 120.000 Mitglieder. Über die Neumitglieder wurde nach dem Wachstumsboom viel gerätselt: Was treibt sie an? Wo kommen sie her? Wie werden sie die Partei verändern?
Eine dem Freitag vorliegende Umfrage der Linkspartei gibt nun erstmals konkrete Einblicke zu den Hintergründen und Motivationen der Neuen. Die Befragung von etwa 11.500 Personen lief von April bis Juli, drei Viertel der Antworten kamen von Neumitgliedern, ein Viertel von „Bestandsmitgliedern“, also Personen, die schon vor Oktober 2024 Mitglied waren. Was verraten die Ergebnisse im Einzelnen?
Studenten und Auszubildende: Die Linke wird jünger
Ein Drittel der Neumitglieder sind aufgrund ihres Alters Studenten (21 Prozent) und Auszubildende (9 Prozent). Die Werte liegen über denen der Bestandsmitglieder – die Partei verjüngt sich also spürbar, der Anteil an Rentner*innen geht zurück.
Die Hälfte der Neumitglieder ist zudem erwerbstätig, zehn Prozent geben an, erwerbslos zu sein. Die größten vertretenen Branchen sind „Bildung“, „IT, Medien und Kommunikation“, „Kunst, Kultur und Wissenschaft“ sowie „Gesundheit und Pflege‘“. In den ersten drei Feldern liegt der Anteil jeweils deutlich über der gesamten Erwerbsbevölkerung in Deutschland.
Auffällig ist, dass es insbesondere im Gesundheitsbereich gelungen ist, prekäre Beschäftigte zu gewinnen – hier erreicht der Anteil der Neumitglieder (11,8 Prozent) fast den Anteil in der Gesellschaft (13 Prozent). Arbeitende Menschen im Handel (4,6 Prozent Neumitglieder im Vergleich zu 7,6 Prozent Gesamtbevölkerung), Handwerk (3,8 Prozent Neumitglieder im Vergleich zu 11,7 Prozent Gesamtbevölkerung) und der Industrie (4,9 Prozent Neumitglieder im Vergleich zu 12,2 Prozent Gesamtbevölkerung) sind dagegen unterrepräsentiert. Der Linken wird schon länger vorgeworfen, Arbeiter*innen nicht mehr zu erreichen und eine Partei von Akademiker*innen zu sein.
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Diana Jashari ist neu in der Linken: Gegen Merz und die AfD
Wie nimmt ein Neumitglied aus dem Handel die Atmosphäre wahr? Diana Jashari lebt in Ludwigshafen und arbeitet bei dem Kosmetikunternehmen Lush in Mannheim. Die 28-Jährige ist im Februar der Partei beigetreten. „Ich hatte lange mit der Entscheidung gehadert, da ich keine deutsche Staatsbürgerschaft habe und unsicher war, welche Folgen das Engagement für mich hat“, sagt sie dem Freitag.
Nach dem Fall der Brandmauer durch Merz Abstimmung mit der AfD und dem gleichzeitigen Neustart der Linkspartei habe sie sich zur Mitgliedschaft entschlossen. Der Vorsitzende der etwa 340 Personen großen Ortsgruppe habe sie dann direkt zum Haustürwahlkampf eingeladen. „Ich habe mich gleich wohl und verstanden gefühlt“, sagt Jashari, die mittlerweile Teil des Bezirksvorstandes und dort Sprecherin für Antifaschismus und Migration ist.
Manchmal fachsimpeln Akademiker*innen, ohne richtig zu sagen, worum es geht
Generell sei sie zufrieden, doch die Linke könne sich mit ihrer Sprache noch mehr Mühe geben, zugänglicher für arbeitende Menschen zu sein. „Manchmal fachsimpeln Akademiker*innen, ohne richtig zu sagen, worum es geht.“ Ihren jüngeren Bruder könne man damit nicht erreichen. Und die Kolleg*innen? „Einzelhandel ist eine harte Branche, viele haben am Feierabend keine Kraft für Politik.“ Potenzial sei zugleich da. „Mein Betrieb ist ein sehr offener Raum – die finden super, dass ich mich jetzt engagiere.“
Die neuen Linken: Städter, Antifaschisten, gewerkschaftlich aktiv – in der Klimabewegung weniger
Wenig überraschend ist darüber hinaus das Umfrage-Ergebnis, dass die Linke eine Stadtpartei ist. Ein Drittel der Mitglieder wohnt in den 14 größten Städten mit mehr als 500.000 Einwohner*innen, weitere 20 Prozent in Städten mit mehr als 100.000 Menschen. Mitglieder im ländlichen Raum sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert. Zwischen Neumitgliedern und Bestandsmitgliedern gibt es hier kaum einen Unterschied – eine große Herausforderung für die Präsenz auf dem Land.
Und wo kommen die Neumitglieder politisch her? 43 Prozent von ihnen gaben an, sich bereits vor dem Eintritt in die Linke engagiert zu haben. Das sind weniger als bei den Bestandsmitgliedern, wo bereits mehr Menschen vorher politisch aktiv gewesen sind. Auch zeigt sich in den Ergebnissen, dass sich die Bestandsmitglieder insgesamt mehr und breiter engagieren. Die Annahme, dass viele der Neumitglieder aus der Klimabewegung kommen, oder durch die Gaza-Proteste motiviert wurden, hat sich so nicht bestätigt.
Konkret gaben 5,2 Prozent der Neumitglieder an, sich im gewerkschaftlichen Bereich zu engagieren. Bei den Bestandsmitgliedern sind dies 14,4 Prozent. „Besonders stark sind bei uns die Gewerkschaften vertreten“, kommentiert die Linken-Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner. Die Zahlen der Neumitglieder zeigen hierbei jedoch eher Nachholbedarf auf. 2,6 Prozent der Neumitglieder engagieren sich zudem antifaschistisch und 0,8 Prozent sind jeweils in der antirassistischen und queerfeministischen Bewegung verankert. Nur sehr wenige Neumitglieder sind friedens- oder mietenpolitisch aktiv.
Hier zeigen sich in der Gesamtschau Altersunterschiede: Während Ältere sich eher für Frieden einsetzen, sind jüngere Frauen eher queerfeministisch aktiv. Die wichtigsten Themen sind für die Neumitglieder derweil Antifaschismus, Soziales, Bildung und Wohnen. Soziales und Antifaschismus sind für alle Mitglieder zentral.
Ansonsten zeigt sich, dass die Themeninteressen oft mit der eigenen beruflichen Tätigkeit zusammenhängen. Mitglieder, die im Industrie- und Handels-Bereich arbeiten, haben zudem ein großes Interesse am Thema Arbeit.
Es wäre richtig geil, wenn die Linke mehr bei Streikposten präsent ist
Was die oft verschiedenen Motivationen in der Praxis bedeuten, zeigt das Beispiel von Fynn Bothe aus Hannover, der letzten Herbst beigetreten war. Der 25-Jährige ist Maurer und macht aktuell eine Ausbildung zum Zimmerer. Ursprünglich kommt er aus der Klimabewegung, aufgrund des politischen Rechtsruck habe er sich jedoch entschieden, in der Partei aktiv zu werden. „Ich habe in der Linken eine große Chance gesehen“, sagt er dem Freitag.
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In Hannover sei er dann bald auch am Bundestagswahlkampf beteiligt gewesen. „Es wurde jeder mit Kusshand genommen – und es war Arbeit auf Augenhöhe“, sagt Bothe. Heute engagiert er sich parallel noch in der Initiative „Azubis gegen rechts“. Wie man mehr von ihnen für die Linke gewinnen könnte? „Die Azubis sind oft sehr fertig von der Arbeit, vielleicht würden knackigere Treffen und die stärkere Thematisierung von hohen Mieten und mickrigen Azubi-Gehältern helfen“, sagt Bothe. Wichtig sei aber ebenso die Praxis: „Es wäre richtig geil, wenn die Linke mehr bei Streikposten präsent ist.“
Die Linke hat eine Arbeiterquote eingeführt
Die Umfrage zeigt, dass man Neumitglieder prinzipiell für vielfältige Aktivitäten gewinnen kann. Die Bereitschaft zur Mitarbeit ist hoch. Mehr als die Hälfte der Befragten will sich punktuell einbringen. Jüngere Mitglieder, aktive Mitglieder und Mitglieder mit politischer Vorerfahrung sind zudem besonders an Haustürgesprächen interessiert. Der Anteil ist in Ostdeutschland sogar etwas höher.
„Ich sehe, dass sehr viele unserer Mitglieder richtig Lust haben, auf Leute zuzugehen und das Gespräch mit den Menschen suchen“, kommentiert die Linke-Ko-Vorsitzende Schwerdtner. Insgesamt zeigt sie sich zufrieden: „Um meine Partei mache ich mir keine Sorgen. Die Linke wächst, wird sichtbarer und gewinnt Menschen zurück.“
Dennoch weisen die Ergebnisse auf Baustellen hin: So ist mit den Neumitgliedern zwar eine Strukturbelebung und Generationsverschiebung gelungen. Gleichzeitig bleibt die Frage, wie mehr nichtakademische Arbeiter*innen und Menschen im ländlichen Raum gewonnen werden können. Die Einführung einer „Arbeiterquote“ auf dem Parteitag im Mai ist unter anderem der Versuch, hier gegenzusteuern. Letztlich ist die Umfrage der Nachweis, dass es bei der Linken eine große Dynamik und unter den Neumitgliedern auch ein großes Potenzial gibt. Die Frage bleibt, ob es gelingt, daraus eine wirkliche Klassenbewegung zu formen.