Selbstbestimmungsgesetz: Paradestück einer fragwürdigen Identitätspolitik
Der gesellschaftliche Umbau, den der Koalitionsvertrag der Ampelparteien ahnen ließ, ist in vollem Gange. Statt Familienpolitik an vermeintlich neue Realitäten anzupassen, schaffen die Koalitionsparteien neue Realitäten für Familien, ideologisch geprägt durch Partikularinteressen der queeren Ränder neuer Lebensentwürfe und fernab jeglicher Mitte. Unter dem Leitmotiv der „Entbiologisierung der engagierten Zivilgesellschaft“ beobachten wir eine Dekonstruktion von Identität und Familie. Ein solches Entbiologisierungsprojekt, das nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung betrifft, aber als Paradestück der fragwürdigen Identitätspolitik der Ampel gelten darf, ist das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass jede und jeder einmal jährlich ohne weitere Voraussetzungen den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und den Vornamen wechseln kann. Für Kinder bis 13 Jahren geben die Eltern die Erklärung ab. Ab 14 stellen die Betroffenen den Antrag mit Zustimmung der Eltern. Wenn diese die Zustimmung versagen, kann sie durch das Familiengericht ersetzt werden. Die Bundesregierung will damit biologisches und soziales Geschlecht entkoppeln. Das Gesetz suggeriert eine vermeintliche Freiheit, „selbstbestimmt“ entscheiden zu können, welchem Geschlecht man denn nun angehören möge.
Die geltenden Regelungen des Transsexuellengesetzes, insbesondere die verpflichtende Einholung von Gutachten, werden von einigen Betroffenen als diskriminierend wahrgenommen. Als Union erkennen wir den Reformbedarf an. Der Staat muss die besonderen Lebenssituationen von transgeschlechtlichen Menschen berücksichtigen.
Wenn biologisches Geschlecht und geschlechtliche Identität abweichen, braucht es für die Betroffenen – 2020 waren es 2700 Menschen in Deutschland – einen verlässlichen Rechtsrahmen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2011 klargestellt, dass Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit des Personenstands berechtigte Anliegen des Gesetzgebers sind und dass deshalb ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit möglichst vermieden werden sollte. Eine Änderung des Personenstands will gut begründet sein. Wie sollten sonst verfassungsrechtlich verbürgte Rechte hinreichend gewahrt werden, wie Missbrauch verhindert werden? Bräuchten staatliche Behörden überhaupt Geschlechtereinträge vornehmen? Macht es noch Sinn, Rechtsfolgen an das eingetragene Geschlecht zu knüpfen?
Die Interessen der großen Mehrheit
Auf diese Fragen liefert der Referentenentwurf der Ampel keine zufriedenstellenden Antworten. Die Rechtslage für transgeschlechtliche Menschen ist zu verbessern, aber nicht um den Preis, den die große Mehrheit der anderen Menschen zahlen müsste, die ihre Interessen nicht mehr gewahrt sieht, etwa beim Frauenschutz oder bei den Gefahren für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Der Gesetzentwurf der Ampel ist familien- und jugendpolitisch verantwortungslos. Kinder und Jugendliche sind während der Pubertät einem großen Risiko von Manipulation hinsichtlich der Geschlechtsidentität ausgesetzt. Kinder- und Jugendpsychiater beobachten eine Art Trend, wonach trans zu sein „in“ ist. Die Zahlen sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Davon sind 85 Prozent biologische Mädchen. Besorgniserregend ist dies, weil das Selbstbestimmungsgesetz diese vulnerable Gruppe der vermeintlichen Transkinder und -jugendlichen ermuntern dürfte, vorschnell ein anderes als das ihnen angeborene Geschlecht zu „wählen“. Wir wissen aber, dass sich die meisten später mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren.
Der extreme Ansatz der Ampel leistet der Gefahr einer „Dynamik“ bei Kindern und Jugendlichen Vorschub, altersbedingte Persönlichkeitszweifel und Pubertätsphasen der Sexualentwicklung mit einem rechtlichen Geschlechtswechsel zu begegnen. Dieser wiederum könnte als früher Weichensteller den Weg zu medikamentösen oder operativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen ebnen. Wenn Jugendliche ab 14 ihr Geschlecht auch ohne Zustimmung der Eltern bestimmen können, sind Zerwürfnisse in den Familien vorprogrammiert. Geholfen ist damit den Betroffenen nicht.
Selbstbestimmung wird ad absurdum geführt, wenn es grenzenlose Beliebigkeit wird. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird in der Debatte derart überhöht, dass die vermeintliche Lösung lautet, die geschlechtliche Identität sei beliebig auszulegen. Es mag Gründe geben, sich dem zu entziehen. Dann sollte dies weiter möglich sein. Aber nicht zum Preis der Beliebigkeit von Tatsachen. Bleiben muss die Überprüfung der Realität zumindest in Form einer Beratung. Bei Minderjährigen sollte auch die Gutachtenpflicht beibehalten werden, schon aus Fürsorge. Als Mutter würde ich mir gerade beim sensiblen Thema der geschlechtlichen Identität eine Familienpolitik wünschen, die mehr auf ein vertrauensvolles Miteinander der Generationen setzt als juristisch den Einfluss der Eltern auf ihre Kinder auszuhebeln.
Source: faz.net