Schuldenstreit in Amerika: Der Dollar wird zum Problem

Fast zwölf Jahre ist es her, dass Moritz Kraemer einen mächtigen Gegner herausgefordert hat. Heute ist Krämer Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), aber im Auge des Sturms stand er im Sommer 2011. Damals arbeitete Krämer für Standard & Poor’s (S&P) und gehörte einem wichtigen Komitee der Ratingagentur an, das etwas Unerhörtes wagte: Es stufte die Ratingnote der Vereinigten Staaten von Amerika von der Höchstnote „AAA“ auf die zweithöchste Note herab.

Dennis Kremer

Redakteur im Ressort „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Dyrk Scherff

Redakteur im Ressort „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Das war eine Ungeheuerlichkeit, die sich noch nie zuvor eine Ratingagentur erlaubt hatte: nämlich Zweifel an der Fähigkeit der Vereinigten Staaten anzumelden, ihre Schulden zurückzuzahlen. Ganz leise Zweifel zwar nur, weil es eben lediglich die kleinstmögliche Herabstufung war. Aber doch genügend, um sogleich eine zweite Frage aufzuwerfen: Würde mit den Zweifeln an den US-Staatsschulden auch die Rolle des US-Dollars als Leitwährung der Welt infrage stehen?

Die Erinnerung ist bei Leuten wie Moritz Kraemer deswegen so präsent, weil die Situation heute der damaligen durchaus gleicht. Denn 2011 standen sich ebenfalls Republikaner und Demokraten in einem Streit um die Schuldenobergrenze unversöhnlich gegenüber. Damals hieß der Präsident Barack Obama, aufseiten der Republikaner hatte er es mit John Boehner zu tun. Erst in allerletzter Sekunde erzielte man eine Einigung, die mit starken Ausschlägen an den Aktienmärkten in der ganzen Welt einherging. Auch dieses Mal haben es alle Beteiligten spannend gemacht.

Einigung im Schuldenstreit

US-Präsident Joe Biden und Oppositionsführer Kevin McCarthy einigten sich auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze, um einen Zahlungsausfall der USA zu vermeiden, wie McCarthy am Samstag in Washington bestätigte. Der von Bidens Demokraten kontrollierte Senat und das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus müssen dem Deal noch zustimmen.

Aber wie schon 2011 wachsen auch jetzt die Zweifel: Können Amerika und der Dollar wirklich noch ihre führende Position im Weltfinanzsystem aufrechterhalten, wenn die politischen Entscheidungsträger des Landes eine so ausgeprägte Bereitschaft zur Kollision zeigen?

Die Vormachtstellung bleibt

Versuche, die Bedeutung des Dollars zu reduzieren, hat es schon häufig gegeben. So hat jüngst erst der brasilianische Präsident Lula die Schwellenländer dazu aufgefordert, beim Handel untereinander nicht auf den Dollar zurückzugreifen, sondern auf ihre jeweils eigenen Währungen. Saudi-Arabien und China haben sogar eine Übereinkunft getroffen, den Rohstoffhandel zwischen ihren Ländern in der chinesischen Währung Renminbi abzuwickeln. Und das Beispiel Russlands zeigt, dass ein Land nicht all seinen finanziellen Handlungsspielraum verlieren muss, wenn man es aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ausschließt, dessen tragende Säule der Dollar ist. Der Ausschluss galt als scharfe internationale Sanktion gegen Putins Regime.

Trotzdem sagt Moritz Kraemer: „Auch wenn die jüngsten politischen Auseinandersetzungen in den USA durchaus Anlass geben, den Status des Dollars kritisch zu sehen: Es ist nicht zu erwarten, dass er seine Vormachtstellung in der Finanzwelt verliert. Das liegt aber weniger an seinen Stärken als an den Schwächen der Alternativen.“

Allerdings hat sich die Rolle des Dollars im Weltfinanzsystem durchaus gewandelt, wie noch zu zeigen sein wird: Bestimmte Gesetzmäßigkeiten früherer Zeiten gelten nun nicht mehr.

Warum aber ist der Dollar nach wie vor schwer durch andere Währungen zu ersetzen? Nach Schätzungen wird mehr als ein Drittel des internationalen Handels in Dollar abgewickelt, er ist in rund 90 Prozent der globalen Devisentransaktionen involviert. Das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ brachte die Bedeutung des Dollars jüngst so auf den Punkt: Für Profi-Anleger, die Euro in Schweizer Franken tauschen wollten, sei es tatsächlich billiger, dies nicht auf direktem Wege zu tun. Stattdessen sei es günstiger, erst Euro in Dollar und dann Dollar in Franken zu tauschen. Die enorme Handelbarkeit der amerikanischen Währung wird von Bankern und Investoren in aller Welt geschätzt. Flapsig ausgedrückt: Mit dem Dollar ist man besser dran.

Die Nachteile des Euro

Weshalb das so ist, zeigt der Vergleich mit den einzigen beiden Währungen, die die Dollar-Dominanz ernsthaft infrage stellen könnten: Die Rede ist vom Euro und dem chinesischen Renminbi. Bei Europas Währung lohnt sich ein genauerer Blick, denn der Euro kommt auf einen beachtlichen Anteil von 33 Prozent im weltweiten Zahlungsverkehr. Aber es gibt nun mal keine echten europäischen Staatsanleihen, wenn man Sonderfälle wie die Anleihen des in der Eurokrise geschaffenen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) außen vor lässt oder die Anleihen für den EU-Wiederaufbaufonds. Das Interesse der Investoren konzentriert sich darum auf Deutschland, das größte Land des Euroraums, das die Topnote „AAA“ vorweisen kann.

Die Deutschen machen jedoch viel weniger Schulden als die Amerikaner, was auch bedeutet, dass Anlegern aus aller Welt viel weniger Anleihen zum Investieren zur Verfügung stehen. „Außerdem haben viele Investoren außerhalb Europas noch immer nicht ganz die Sorgen um den Fortbestand des Euros aus der Zeit der Griechenlandkrise vergessen“, sagt LBBW-Chefvolkswirt Kraemer. Zur neuen Leitwährung schafft es der Euro so nicht.

China hingegen hätte angesichts seiner Größe womöglich durchaus die Macht, mit dem Renminbi eine echte Alternative zum Dollar zu schaffen. Doch solange die Regierung in Peking sich nicht traut, den Wechselkurs des Renminbi freizugeben, und stattdessen ständig in den Kapitalmarkt eingreift, wird das nicht gelingen.

Neue Gesetzmäßigkeiten

Dass die Bedeutung des Dollars nicht ernsthaft infrage steht, heißt aber nicht, dass alles so bleibt wie bisher. Einen fundamentalen Wandel hat die amerikanische Währung schon jetzt an anderer Stelle erfahren. Bisher half sie, im Ausland die Inflation zu dämpfen. Doch seit ein paar Jahren ist das nicht mehr so, wie der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze herausgefunden hat. Gerade jetzt, wo die Inflation so hoch ist, ist das besonders schmerzhaft.

Auch Deutschland profitierte bisher davon. Der positive Einfluss wirkte über den Rohstoffhandel. Er wird weltweit in Dollar abgerechnet. Wenn die Rohstoffpreise stiegen, dann schwächte sich der Dollarkurs gegenüber anderen Währungen ab. Das hatte den angenehmen Effekt, dass sich die Rohstoffe in den Ländern außerhalb der USA weniger stark verteuerten. Und da die Rohstoffpreise in viele andere Preise einfließen, hat das einen spürbaren, dämpfenden Einfluss auf die Inflationsrate.

Das galt vor allem für Energierohstoffe wie Öl. Dies merkten deutsche Autofahrer zum Beispiel an der Tankstelle. Denn auch Öl wird in Dollar gehandelt, der Anstieg war in Dollar oft stärker als in Euro. Seit ein paar Jahren ist es nun aber umgekehrt. Der Öl- und damit der Benzinpreis steigt in Euro oft noch stärker als in Dollar.

Um das zu verstehen, ist ein bisschen Ökonomie erforderlich. Bis vor ein paar Jahren waren die Vereinigten Staaten ein Nettoimporteur von Rohstoffen, das heißt, sie haben mehr davon eingeführt als ausgeführt. Steigende Rohstoffpreise belasteten dann die amerikanische Wirtschaft, und der Dollarkurs sank. Seit ungefähr 2020 sind die USA aber Nettoexporteur, sie exportieren also mehr Öl und Gas, als sie einführen. Dadurch profitiert das Land von steigenden Rohstoffpreisen, und der Dollar wertet auf – zum Schaden für all die anderen Staaten, die Rohstoffe importieren müssen, wie zum Beispiel Deutschland. Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen dem Export und den Wechselkursen zeigen auch andere Rohstoffexporteure wie Australien und Kanada.

Die Folgen sind einschneidend: „Rohstoffpreise tendieren dazu, die Inflation zu schüren und das Wachstum in rohstoffimportierenden Ländern abzuwürgen“, schreibt Adam Tooze in einer Analyse. „Eine Dollar-Aufwertung hat den gleichen Effekt außerhalb der USA, vor allem in den Schwellenländern.“ Schmerzhaft ist das vor allem, wenn beides gleichzeitig passiert.

Wechselkurs hilft Europa

Ein bisschen Glück haben derzeit zumindest die Europäer – aber erst seit ein paar Monaten. Seit Herbst hat der Wechselkurs des Dollars zum Euro um rund zehn Prozent nachgegeben, was auch mit der Aussicht auf eine Zinspause in den USA und der Hoffnung auf weitere steigende Zinsen in Europa zu tun hat. Der Kursrückgang dämpft kurzfristig die deutsche Inflation. Dieser Effekt kann sich allerdings auch bald wieder umkehren, zum Beispiel, wenn in ein paar Monaten auch die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nicht mehr erhöht.

Auf lange Sicht wird der Dollar schon seit Jahren stärker. Zum Tiefstand im Jahr 2008 in der Finanzkrise mussten für einen Euro rund 1,60 Dollar bezahlt werden, jetzt nur noch 1,07, und im Herbst 2022 war es sogar kurzzeitig weniger als ein Dollar, so wenig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Auch für die deutschen Verbraucher wird der Einfluss des Dollars wegen der beschriebenen Zusammenhänge so zu einer Dauerbelastung.

Die Entwicklung ruft einen Satz des einstigen amerikanischen Finanzministers John Connally in Erinnerung, der Anfang der 70er Jahre sagte: „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Pro­blem.“ Das gilt in gewisser Weise bis heute.