Scholz muss vor jener Wahl keine Auskunft zusätzlich dies Ampel-Aus verschenken

Das Verwaltungsgericht Berlin entschied, dass das Kanzleramt nicht mehr vor der Wahl mitteilen muss, wie sich Scholz auf den Koalitionsbruch vorbereitet hat. Andernfalls könnten Regierungsmitglieder künftig in ihrer Willensfreiheit eingeschränkt sein, so die Richter in ihrem Beschluss.

Der Grund, wieso am Sonntag vorgezogene Neuwahlen stattfinden, liegt drei Monate zurück: Am 6. November 2024, nach einem erneuten Ampel-Krisengespräch, trat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor die versammelten Kameras und verkündete mit harten Worten die Entlassung des Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP). Zu oft habe sich dieser Kompromissen verweigert und habe „kleinkariert parteipolitisch taktiert“.

Nur kurze Zeit später schoss Lindner zurück: „Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition.“ Tatsächlich berichteten die „Tagesschau“ und das „Handelsblatt“ am nächsten Tag, dass die „Entlassungsrede“ eine von mehreren Reden waren, die Scholz sich für die unterschiedlichen Szenarien, wie die Koalitionsgespräche enden könnten, hat vorbereiten lassen.

Doch diese Nachricht ging rasch unter und nach den Enthüllungen über „D-Day“ und „offene Feldschlacht“ wurde stattdessen die FDP zum Sündenbock für das Ampel-Aus gemacht. Mit diesem Narrativ konnte Scholz, der als Spitzenkandidat für die SPD erneut antritt, seinen Wahlkampf größtenteils unwidersprochen bestreiten.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat nach einem Eilantrag von WELT nun bestätigt, dass Scholz‘ Kanzleramt vor der Wahl keine Auskunft mehr darüber geben muss, wie viele Redeentwürfe es gab, wer sie erstellt hat und was ihr Inhalt war. Es ist ein Beschluss, der deutlich macht, wie schwierig es für Journalisten ist, Informationen einzuklagen.

Es gibt zwei verschiedene Wege, wie Journalisten von Behörden Informationen verlangen können. Zum einen wäre da die klassische Presseanfrage an die Pressestellen. Diese sind dann aufgrund der in Artikel 5 des Grundgesetzes verankerten Pressefreiheit grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet, sofern nicht „berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen“ entgegenstehen. Bloß umfasst dieser Auskunftsanspruch prinzipiell nur die Beantwortung einzelner konkret gestellter Fragen.

Wenn man dagegen Behördenakten einsehen möchte, macht es Sinn, parallel einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu stellen. Dieses gewährt grundsätzlich allen Bürgern einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen – auch hier wieder unter dem Vorbehalt, dass keine wichtigen Belange entgegenstehen. Das IFG-Verfahren hat jedoch einen großen Nachteil: Es dauert. Im Gesetz steht nur, dass die Entscheidung über den Antrag innerhalb eines Monats erfolgen „soll“ – eine Untätigkeitsklage kann man in der Regel erst nach drei Monaten einreichen. Da ein Anspruch nach IFG „jedermann“ und nicht nur Journalisten zusteht, genießen Pressevertreter hier grundsätzlich keine Privilegien.

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WELT hat am 9. Dezember beim Bundeskanzleramt nach IFG die Übersendung der für Scholz vorbereiteten Reden zum Ampel-Aus sowie aller dazugehörigen Unterlagen beantragt. Erst am 14. Februar entschied die Behörde, den Antrag abzulehnen.

WELT hat dann unter Berufung auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch beim Bundespresseamt angefragt, wie viele unterschiedliche Reden vorbereitet wurden, welche Szenarien sie jeweils umfassten, wer diese Reden seit wann vorbereitet hat. Außerdem bat WELT um eine Zusammenfassung ihres Inhalts und um Auskunft, wie über die jeweiligen Koalitionspartner gesprochen worden wäre. Die knappe Antwort der Behörde: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns grundsätzlich nicht zu etwaigen Text- oder Redeentwürfen äußern.“

Am Montagmorgen reichte WELT beim zuständigen Verwaltungsgericht Berlin einen Eilantrag ein und bat um Entscheidung bis Mittwochabend, damit im Erfolgsfall genügend Zeit bliebe, noch vor der Bundestagswahl darüber zu berichten.

Sodann passierten zwei kuriose Dinge: Erstens dauerte es aufgrund technischer Probleme am Gericht bis Dienstagmorgen, bis die Justizmitarbeiter den elektronisch übermittelten Schriftsatz von WELT überhaupt erst finden konnten. Zweitens entschied sich das Gericht, das Verfahren aufzusplitten. Da WELT den Antrag sowohl auf das Presserecht als auch IFG gestützt habe und es am Verwaltungsgericht eine Richter-Kammer gebe, die nur für Presserecht zuständig wäre, und eine andere, die nur IFG-Sachen behandle, müssten die beiden Teile voneinander getrennt werden.

Obwohl jeder der insgesamt sechs Richter, die den Eilantrag von WELT letztlich vorgelegt bekamen, fachlich sicherlich in der Lage gewesen wäre, ihn sowohl nach Presserecht als auch nach IFG zu beurteilen, wurden aus einem Verfahren also plötzlich zwei. Auch die von WELT im Falle einer Niederlage zu zahlenden Gerichtskosten verdoppelten sich.

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Am Mittwoch lehnte die IFG-Kammer den Antrag von WELT mit nur drei Absätzen ab. Die Eilbedürftigkeit der Sache sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden.

Bei einem Eilantrag muss der Antragsteller nämlich begründen, wieso er nicht das „normale“ Klageverfahren, das auch mal ein Jahr und länger dauern kann, abwarten kann, sondern das Gericht sofort entscheiden muss. WELT argumentierte, dass die Öffentlichkeit ein Interesse daran habe, die Redeentwürfe zu lesen und zu erfahren, wie der Bundeskanzler, der sich zur Wiederwahl stellt, mit Koalitionspartnern umgeht.

Die Wähler würden ihre Stimmen nicht nur anhand des Parteiprogramms, sondern auch nach der charakterlichen Eignung der Spitzenkandidaten für das Kanzleramt vergeben. Daher sei es für sie relevant, ob der Kanzler den Regierungsbruch tatsächlich kalkuliert herbeigeführt und die letzten Koalitionsgespräche quasi nur noch zum Schein geführt habe. Nach der Wahl seien diese Informationen dagegen nur noch von historischem Interesse.

Die Berliner Richter glaubten dagegen nicht daran, „dass die Bundestagswahl das mit dem IFG-Antrag verfolgte Transparenzinteresse entfallen ließe“.

Am Donnerstag verlor WELT auch vor der Presse-Kammer. Diese verhielt sich erst gar nicht zur Eilbedürftigkeit, sondern bezweifelte schon, dass WELT einen Anspruch auf Herausgabe der Informationen habe. Der Vortrag des Kanzleramts, dass berechtigte Interessen der Auskunft entgegenstünden, sei „nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen“.

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Das Zauberwort lautet „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“: In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Regierung einen „nicht ausforschbaren“ Willensbildungsbereich haben muss, um ein „Mitregieren Dritter“ zu verhindern. Deswegen dürfen etwa Sitzungsprotokolle des Bundeskabinetts oder des Bundessicherheitsrats geheim bleiben. In der Vergangenheit beriefen sich Ministerien gegenüber WELT auch auf den „Kernbereich“, um nicht Fragen zum Gefangenenaustausch des „Tiergartenmörders“ beantworten oder interne Gutachten, die die Rechtmäßigkeit der Cannabis-Legalisierung infrage stellten, herausgeben zu müssen.

WELT trug vor, dass die Scholz-Reden, anders als das Kanzleramt meint, nicht vom „Kernbereich“ erfasst seien. Bei der Entlassung eines Ministers und dem Stellen der Vertrauensfrage handle es sich nicht um Regierungsarbeit, sondern um politische Entscheidungen, die nicht die Regierung als Ganzes, sondern allein der Kanzler treffe. Jede Koalition sei hinsichtlich ihrer personellen Zusammensetzung und der inhaltlichen Fragen, über die sie streitet, einmalig, sodass aus der Offenlegung der Reden für das Ampel-Aus keine Rückschlüsse für künftige Situationen gezogen werden könnten.

Das Verwaltungsgericht ließ sich davon nicht überzeugen. „Die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung wäre entgegen der Ansicht des Antragstellers gefährdet, wenn die Regierungsmitglieder eine nachträgliche Publizität des Inhalts ihrer nicht zum Zuge gekommenen Redeentwürfe einschließlich weitgehender Details zu deren Zustandekommen berücksichtigen müssten. Eine solche einengende Vorwirkung auf ihren Denk- und Handlungsprozess – insbesondere des in erster Linie betroffenen Bundeskanzlers – hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt. Insoweit dürfte im Rahmen einer Abwägung das Interesse der Antragsgegnerin an der Geheimhaltung überwiegen“, heißt es in dem Beschluss.

So kommt es, dass ein Kanzler auch im Wahlkampf die Privilegien seines Amtes genießt, und die Wahlberechtigten nur mutmaßen können, wieso genau er sie vorzeitig an die Urne gebeten hat.

Immerhin hat das Verwaltungsgericht Berlin dieses Mal zeitnah entschieden. Ein weiterer Eilantrag von WELT, in dem es um Fragen zur Entstehung von Lindners „Wirtschaftswende“-Papier geht, wartet seit dem Tag des Ampel-Aus auf einen Beschluss. So mancher Ex-Ampelaner dürfte wohl gerade ganz froh darüber sein, dass die im Koalitionsvertrag versprochenen Bundespresse- und Bundestransparenzgesetze nie auf den Weg gebracht wurden.

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Source: welt.de