Scholz fordert Aufklärung nach Raketeneinschlag in Polen

Beim Einschlag des Geschosses in dem Dorf Przewodów nahe der Grenze zur Ukraine seien am Dienstagnachmittag zwei Menschen getötet worden, sagte ein Sprecher des polnischen Außenministeriums. Der russische Botschafter in Warschau sei einbestellt worden, um „sofort detaillierte Erklärungen“ für den Vorfall zu liefern. Einheiten der polnischen Armee und andere uniformierte Dienste sind in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden.

Photograph: Wolski o Wojnie/Facebook

Mit der Herkunft der Rakete ist allerdings noch nicht geklärt, welches Land sie eingesetzt hat. Sowohl die Ukraine als auch Russland verwenden Raketen sowjetischer Konstruktion. „Wir wissen, dass es praktisch den ganzen Tag über einen russischen Raketenangriff auf die Ukraine gegeben hat“, sagte Polens Präsident Andrzej Duda am frühen Morgen. „Aber wir haben derzeit keine eindeutigen Beweise dafür, wer die Rakete abgefeuert hat. Die Ermittlungen laufen.“

Moskau weist jede Verantwortung zurück
Das russische Verteidigungsministerium bezeichnet alle Berichte über den angeblichen Einschlag in Polen als „gezielte Provokation“. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, heißt es in Moskau.

Am Abend hatte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki den nationalen Sicherheitsrat zu einer mehrstündigen außerordentlichen Sitzung einberufen. Danach kündigte er eine verstärkte Überwachung des polnischen Luftraums an. Außerdem prüfe Polen, ob ein Treffen auf Basis von Artikel 4 des NATO-Vertrags beantragt werden solle. Der Artikel besagt, dass die Mitglieder des Militärbündnisses einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.

Rakete vermutlich nicht aus Russland abgefeuert
Am Rande des G20-Gipfels auf Bali hat US-Präsident Joe Biden zu einem Krisentreffen gerufen. An den Gesprächen hinter verschlossenen Türen nahmen neben Bundeskanzler Olaf Scholz auch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel teil.

Nach Einschätzung der USA ist die Rakete vermutlich nicht aus Russland abgefeuert worden. „Ich werde dafür sorgen, dass wir genau herausfinden, was passiert ist“, sagte US-Präsident Joe Biden anschließend. Nach den derzeit vorliegenden Informationen über die Flugbahn sei es „unwahrscheinlich“, dass die Rakete von russischem Boden aus abgeschossen worden sei, so Biden. Es gebe Hinweise, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus der Ukraine gehandelt haben könnte.

Scholz: Sorgfältig aufklären
„Es ist jetzt notwendig, dass sorgfältig aufgeklärt wird, wie es dazu gekommen ist, dass diese Zerstörung dort angerichtet werden konnte“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Krisensitzung. Scholz verurteilte zudem scharf die jüngsten russischen Angriffe auf die Ukraine. „Wir stellen fest, dass Elektrizitätswerke zerstört werden, dass Umspannleitungen getroffen werden, dass Wasserversorgung zerstört wird. Das ist keine akzeptable Form der Kriegsführung in diesem ohnehin ungerechtfertigten Krieg“, betonte Scholz.

Dringlichkeitssitzung der NATO-Botschafter
Die NATO hat für diesen Mittwoch bereits eine Dringlichkeitssitzung auf Ebene der Botschafter einberufen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg werde die Beratungen leiten, „um diesen tragischen Vorfall zu besprechen“, sagte eine Sprecherin. Zuvor hatte Stoltenberg vor übereilten Reaktionen gewarnt. „Wichtig ist, dass alle Tatsachen festgestellt werden“, schrieb Stoltenberg nach einem Telefonat mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda auf Twitter: „Die NATO beobachtet die Situation, und die Bündnispartner stimmen sich eng ab.“

Ähnlich zurückhaltend äußerte sich die US-Regierung. Man werde „klären, was passiert ist und was die angemessenen nächsten Schritte wären“.

Der Krieg schwappt über
Die Explosion in dem Grenzdorf ist der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Przewodów liegt etwa 60 Kilometer Luftlinie von der westukrainischen Stadt Lwiw entfernt, die auch Ziel russischer Angriffe war.

Polen, ein Nachbarland der Ukraine, ist Mitglied der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO. Entsprechend besorgt wird die Lage von den USA, der NATO und der EU verfolgt. Staatsoberhaupt Andrzej Duda sprach mit US-Präsident Joe Biden, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

DW