Sachbücher: Eine Seelenwanderung mit Gangsta-Rap gen den Galapagosinseln
Stellen Sie sich auf einen Lesemarathonmonat ein. Zunächst: Deutsche in Südamerika. Die Hispanistin Michi Strausfeld hat sie alle auf kundige Weise versammelt. Sie drängen sich auf engem Raum, jedoch ohne dass man die Übersicht verlöre. Von den Landsknechten im Gefolge der Spanier über Händler und Plantagengründer, Maler und Forschende, Kolonisten, Exilierte, Nazis, Utopisten, Spinner, Sektierer, Abenteurer oder Freiheitskämpferinnen. Mehr Männer als Frauen. Dafür unter denen – wahlweise – Maria Sibylla Merian, auf Malstudien in Surinam, Julia da Silva-Bruhns, die Mutter Thomas Manns, Gertrudis Chale, exilierte Fotografin und Künstlerin, Nora Marx, von Pinochets Putschisten ermordet, Maria Leopoldine von Habsburg, Kaiserin Brasiliens – und nicht zuletzt die titelgebende Kaiserin von Galapagos, die Hochstaplerin und „extravagante Domina“ Eloise Wagner … Eine gute Gelegenheit, über diese den Kontinent neu zu entdecken!
Von hier aus zunächst nach Asien. Im Jahr 1601 kaperten Portugiesen ein Schiff der niederländischen Ostindien-Kompagnie, worauf diese ein portugiesisches kaperte. Das ist für den Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe eine exemplarische Szene für Handelskriege seither. Monopole, ihre Durchsetzung und Anfechtung. Plumpe verfolgt die Handelskriege von Spanien und den beiden Amerikas, die britisch-niederländische Konkurrenz danach, die französisch-britischen Rivalitäten im 18. Jahrhundert, die Kontinentalsperre und den Versuch von Freihandel und die Schutzzollpraxis.
Da kommen im Neunzehnten die Vereinigten Staaten von Amerika ins Spiel und gehen nicht mehr hinaus, ob im Zerfall der Weltwirtschaft in der ersten Hälfte des Zwanzigsten, der Pax Americana danach, hin zu dem, was wir derzeit erleben. Diese Geschichte zu kennen, ist allemal wichtiger als solche von Monarchen oder Feldherren.
Nähern wir uns uns: Oliver Moody sieht nichts weniger als die „Zukunft Europas“ in der Ostsee, nicht versenkt, sondern umkämpft. Selbst etwas arg kämpferisch, ist das doch eine auf zahlreichen Interviews und Reisen basierende, ernst zu nehmende Studie über die Konfliktlage mit Russland, Stichworte Schattenflotte, Sabotage, Spionage, wie sie vor allem die baltischen Staaten bedroht, was man dort dagegen tut, aber etwa auch, wie Dänemark sich auf den Klimawandel einstellt – und nicht zuletzt, wohin Deutschland schwankt und wankt.
Hierzulande beugt man sich ja bedenksam nicht nur über die Ostsee, sondern auch über Ostdeutschland. Einen ebenso originellen wie erhellenden Zugang liefert nun ein Buch auf die Perspektiven aus der einschlägigen Popkultur zwischen Gangsta-Rap und Romanen. Nicht chronologisch, sondern systematisch: 1989 als Erinnerungsort, Phantomschmerz DDR, Utopien eines demokratischen Sozialismus, Einheitsfiktionen und deren Demontage, Zugehörigkeiten, Jugend, prekäre Männlichkeit und ländlicher Raum. Insbesondere die Kombination von sachlichen Analysen und Zusammenschauen mit jeweils Interviewpassagen einschlägiger Akteure von Hendrik Bolz über Grit Lemke oder Manja Präkels hin zu Regina Scheer und Bettina Wilpert gibt dem Ganzen Tiefe und Nachdruck, zeigt jenseits von auftrumpfenden westlichen Pauschalierungen und oschmannesk jammernden Gegenpauschalen die reale Vielfalt, Widersprüchlichkeiten und Potenziale.
Von Seelenwanderung wissen wir nichts Genaues, aber immer mehr übers Wandern für die Seele. Seit Hape Kerkeling hat es nimmer aufgehört, das Wandern fürs Sinn- und Selbstfinden. (Wobei ganz nebenbei der Körper auch zu seinem Recht kommt.) Was lässt sich nach Jakobsweg, rund um Deutschland und dergleichen noch erwandern? Nun, zum Beispiel der Sultans Trail, der der Route folgt, die im 16. Jahrhundert Sultan Süleymans osmanische Truppen von Istanbul bis vor Wien führte. Der Wiener Martin Zinggl, Reporter, Fotograf und nebenbei noch Ethnologe, ist den Feldzugsweg in die andere Richtung gegangen, Zug um Zug, Feld um Feld, aber (nicht ganz) allein – und friedlich. 2329 Kilometer. Da er trotz aller Strapazen seinen neugierigen und hellen Kopf oben behielt, ist das horizonterweiternd und öfters auch amüsant zu lesen.
Schließlich noch zu einem, der ein solches Ansinnen karl-valentinisch nicht einmal ignoriert hätte, dafür aber in der weiten Welt der Sprache zu Hause und unentwegt unterwegs war: Harry Rowohlt, der großherzige Raunzer, artistische Vorleser von eigenwillig Selbstübersetztem, nicht zuletzt legendärer Penner-Darsteller. Die Biografie, seinen Selbsterzählungen skeptisch gegenüber, aber doch ziemlich andachtsvoll, setzt ihm ein würdiges Denkmal.
Sachlich Richtig liest über das alte Südamerika und einen großherzigen Raunzer
Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika Michi Strausfeld Berenberg 2025, 263 S., 26 €
Gefährliche Rivalitäten. Wirtschaftskriege – von den Anfängen der Globalisierung bis zu Trumps Deal-Politik Werner Plumpe Rowohlt 2025, 319 S., 25 €
Konfliktzone Ostsee. Die Zukunft Europas Oliver Moody Tobias Gabel, Enrico Heinemann u. Jörg Pinnow (Übers.) Klett-Cotta 2025, 522 S., 28 €
Neon/Grau. 1989 und ostdeutsche Erfahrungsräume im Pop Alla Lux und Jonas Brückner Verbrecher 2025, 334 S., 26 €
Dass ist kein Spaziergang. Auf dem Sultans Trail von Wien nach Istanbul Martin Zinggl Knesebeck 2025, 287 S., 22 €
Harry Rowohlt. Ein freies Leben Alexander Solloch Kein & Aber 2025, 318 S., 26 €