Ryzon-Kreativchef Fabian Jung jenseits Content, Collabs, Cycling: „Macht einfach mal den Rechner aus“

Fabian Jung ist Co-Founder und Kreativchef von Ryzon.

Alle reden von Community. Die Sportmarke Ryzon, einst im Triathlon gestartet, erweitert ihre Nische kontinuierlich und schart sowohl Hobbysportler als auch Profis um sich. Die Company tickt digital, doch manchmal muss das Handy ausgeschaltet bleiben. Wie, wann und warum, berichtet Co-Founder und Chief Creative Director Fabian Jung im TW-Interview.

TextilWirtschaft: Ryzon ist Sportmarke, stark im E-Commerce und D2C verankert. Es gibt auch Stores in München und Köln, viele Community- und Partner-Events. Wirkt, als wäre gerade viel in Bewegung bei Ryzon?
Fabian Jung: Das stimmt, es ist echt verrückt, was gerade alles passiert. Denn ganz richtig, man muss ja sagen, dass wir einerseits ein E-Commerce-Unternehmen sind und alles, was wir tun, eigentlich immer zahlenbasiert ist. Zahlen, Daten, Fakten. Im Commerce aber auch bei der Produktentwicklung, etwa wenn es um Highend-Produkte im Triathlon geht, spielen Zahlen eine große Rolle. Was spart Energie? Was ist besonders aerodynamisch?

Aber auch zwischen den Einsen und Nullen tut sich viel.
Genau. Und diese sehr wichtige Welt der Zahlen und Fakten mit Emotionen und guten Geschichten aufzuladen, das ist die Aufgabe von meinem Team und mir. Ich glaube, dass es für eine Brand mindestens genauso wichtig ist, hier eine gute Balance zu kultivieren.
Bei Zahlen kann man recht einfach sagen, wann sie für ein Unternehmen gut sind und wann nicht. Wie ist es mit den Storys?
Sie müssen relevant sein und die Menschen wirklich auch emotional berühren. Ein Beispiel ist zum Beispiel das Projekt Off Grid.

Dabei ging es quasi um die Abwesenheit von Zahlen, richtig?
Genau, das ist auch ein sehr intrinsisch motiviertes Projekt gewesen. Am Anfang stand die Idee: Was passiert eigentlich, wenn man heutzutage einfach mal wirklich ohne Handy und ohne Navi unterwegs ist? Back to the roots, so wie früher eigentlich jeder mit dem Fahrrad unterwegs war. Sind wir noch in der Lage, so an einem Ziel anzukommen? Das wollte ich unbedingt ausprobieren.

Und?
Wir sind von Köln durch Amsterdam nach Zandvoort in den Niederlanden gefahren, hatten Kontakt zu unheimlich vielen Menschen, mit denen wir sonst bestimmt nicht gesprochen hätten. Das ist wirklich ein Projekt, bei dem es unheimlich schön ist, das umsetzen zu können. Gerade auch in einem E-Commerce-Unternehmen zu sagen: „Ey, macht einfach mal den Rechner aus und lasst alles zuhause!“ − das hat viel freigesetzt. Und am Ende ist daraus unter „Off Grid“ eine komplette Bikepacking-Gravel-Kollektion geworden. Und das Ziel, diesen Spirit über die eine Tour hinaus immer weiter zu beleben.

Ryzon: Off Grid

Gab es etwas das überrascht hat auf der Tour?
Ja klar. Wir hatten zum Beispiel gedacht, dass wir uns an einer Tankstelle einfach eine Karte kaufen. Ein Navi hatten wir ja nicht dabei. Aber natürlich verkaufen Tankstellen Karten gar nicht mehr. Immerhin hatten wir einen Kompass dabei. Damit ging es dann auch. Und natürlich mit den vielen Menschen, die wir getroffen haben.

Wie geht das Projekt weiter?
Erst einmal haben wir einen Anfang gemacht. Ein Traum wäre aber natürlich, wenn „Off Grid“ sich etablieren würde, so eine Art Gattungsbegriff wird für eine Tour, die ohne große technische Hilfe auskommt, bei der das Tempo nicht die Hauptrolle spielt oder sonstige Leistungsdaten, sondern einfach die Tour an sich. Es wäre toll, wenn Menschen einfach sagen würde, „Hey, lasst und mal wieder eine Off Grid-Tour machen“. Zu so etwas zu inspirieren, ist das eigentliche Ziel.

Aber nichtsdestotrotz spielen Daten und Fakten grundsätzlich eine große Rolle, ob wie das E-Commerce-Unternehmen Ryzon oder die Marke für Hochleistungssportler, oder?
Ja klar, wir sind ja wie gesagt sehr zahlengetrieben und nutzen alle auch Dienste wie Strava. Aber das einmal aufzubrechen, eine neue Perspektive zu öffenen, finden wir auch sehr wichtig. Da haben wir als Marke jetzt mit der Größe und Reichweite, die wir inzwischen haben, eine unfassbar tolle Aufgabe, Leute zu inspirieren und zu motivieren. Das macht die Arbeit wirklich schön.

Die Story zielt ja auf das Gravel-Segment. Wie ist das nüchtern betrachtet zu bewerten? Hype oder nachhaltig wichtig?
Mit Corona ist der Markt quasi explodiert. Aber es ist weit mehr als nur ein Hype. Das Thema ist für uns als Radbekleidungsmarke sehr relevant. Aber nur einfach die Produktpalette dahingehend zu erweitern, passt nicht zu uns. Wie gesagt, das Thema Off-Grid ist intrinsisch motiviert. Viele, die bei Ryzon arbeiten, sind selbst oft auf Bikepacking-Touren unterwegs, leben in dieser Welt. Und auf der anderen Seite haben wir natürlich auch Athleten bei uns, wie zum Beispiel Jonas Deichmann, der uns natürlich auch sehr inspiriert mit seinen Geschichten, wie etwa dem Triathlon um die Welt. Da fließt viel Feedback bei uns ein.

Apropos Jonas Deichmann. Gerade erst hat er mit seiner „Challenge 120“ (120 Mal die Strecke der Challenge Roth hintereinander absolvieren, also jeweils 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen, jeden Tag über vier Monate) sehr viel Aufmerksamkeit auf sich bezogen. Ein anderer Partner ist der Ex-Radprofi André Greipel und seit kurzem auch Rick Zabel. Vor allem im Triathlon sehr bekannt ist die Athletin Lucy Charles-Barclay aus Großbritannien. Welche Rolle spielen diese Partner und nach welchen Kriterien wählt ihr sie aus?
Das können unterschiedliche Faktoren sein. Das ist bisher immer sehr organisch entstanden. Vor allem muss es menschlich passen, das ist bei uns bei Ryzon immer am wichtigsten. Und natürlich ist es für die Glaubwürdigkeit einer Performance-Marke auch wichtig, dass sie im Profisport stattfindet. Und die Athletinnen und Athleten sind eine extrem wichtige Quelle für die Produktentwicklung. Da hatten wir von Anfang an das Glück, einen gestandenen Profi wie Jan Frodeno mit an Board zu haben, der uns nicht nur in der Produktentwicklung auf ein völlig neues Niveau gepusht, sondern uns auch in der Triathlon Community ein gewisses Standing ermöglicht hat.

Wichtig ist für uns immer, dass es Persönlichkeiten sind, die auch etwas zu sagen haben. Das kann dann jemand sein, der einen Triathlon um die Welt macht, aber es kann genauso eine Lucy Charles-Barclay sein, die schon auf Hawaii auf dem ersten Platz gelandet ist.

Markanter Look, kreativer Impulsgeber. Ryzon-Partner Rick Zabel hier schon zu sehen. Da kommt noch mehr.

Mit Lucy haben wir etwa unseren schnellsten Triathlon Suit, den Graphene Suit, für Frauen weiterentwickelt. Er kommt im Frühjahr 2025 auf den Markt. Das ist wirklich ein hochtechnisches Produkt. Auf der Innenseite ist ein Graphene Grid verarbeitet – ein extrem leitfähiges Material, das entstehende Körperwärme großflächig verteilt und so die Hitzebelastung für den Körper minimiert. Außerdem ist das Material sehr reißfest, leicht und biegsam. An dieser Stelle schließt sich auch wieder der Kreis zum Storytelling: Für Lucy haben wir ein besonderes Graphene-Muster kreiert, welches an Fischschuppen erinnert und so ihrem Spitznamen „Mermaid“, eben weil sie so eine starke Schwimmerin ist, Tribut zollt. Sobald sie ins Wasser steigt, kommt dieses Muster zum Vorschein und sie transformiert zu einer „Meerjungfrau“; ein perfektes Beispiel für die Fusion von Story und Technologie.

Recht jung ist auch die Partnerschaft mit dem Ex-Radprofi Rick Zabel.
Ja genau, Rick ist ein Typ, der einfach auch anders, offener kommuniziert als man das sonst aus dem Sport kennt. Hier können wir uns auch als Marke mit ihm richtig austoben, auch im Design stärker polarisieren, als man es in einer regulären Kollektion vielleicht tun würde. Und selbst wenn manche dann sagen „Ey, das Jersey vom Rick ist mir zu bunt“, sind sie darüber in unserem Kosmos gelandet. Mit ihm ist eine erste Kollektion in Planung, auf die ich mich persönlich sehr freue und die mit Sicherheit für etwas Aufmerksamkeit sorgen wird.

Neben einzelnen Charakteren gab und gibt es auch Collabs mit Marken, zum Beispiel schon mit La Marzocco, Leica und jetzt Bookman. Wie entwickelt ihr und welche Rolle spielen diese Kooperationen?
Inhaltlich muss es zu uns passen. Die Zusammenarbeit mit Leica ist eine fortlaufende Kooperation. Radsportlerinnen und Radsportler sind ja oft technikaffin, da passt natürlich ein Workshop zu Bike-Fotografie, wie wir ihn ausgerichtet haben, sehr gut. Und Menschen mit gleicher Gesinnung zusammenzubringen ist immer eine sehr schöne Sache. Auch La Marzocco passte extrem gut, da Rennrad und Kaffee sehr eng zusammengehören. Es geht immer um die Schnittmenge im Lifestyle. Und für uns sind solche Kooperationen nicht zuletzt auch deshalb sehr wertvoll, weil wir jedes Mal mit neuen Menschen in Austausch gehen, die absolute Experten in ihrem jeweiligen Bereich sind.

Was kommt als nächstes?
Die jüngste Kooperation haben wir mit Bookman kreiert, einem Licht-Spezialisten aus Schweden. Das Motto ist „Here to shine“. Das Thema dahinter ist tatsächlich eines, das etwas tiefer geht. Wir alle sind ja nur für einen sehr kurzen Moment auf der Erde. Nicht länger, als ein Wimpernschlag. Und „here to shine“ soll dazu motivieren, gemeinsam eine gute Zeit zu haben, lasst uns von innen scheinen, lasst uns gesehen werden. Die Kollektion ist unsere Interpretation davon. Und natürlich haben die Produkte über reflektierende Oberflächen bzw. über die Lampen selbst einen wichtigen funktionalen Nutzen.

Impression aus der Kampagne „Here to shine“

Wir sprachen über Funktion und über Collabs. Wie wichtig ist eigentlich das Thema Style?
Es gibt auf jeden Fall eine wachsende Gruppe an Menschen mit einer hohen Affinität für einen guten Look. Sei es auf dem Fahrrad, sei es beim Laufen. Nicht zuletzt, weil sich manche einfach auch gerne zeigen, etwa auf Social Media. Natürlich geht es Profisportlern vor allem darum, dass die Performance stimmt. Aber gut aussehen, wollen sie auch. Wir bei Ryzon verstehen uns aber als inklusive Marke, die nicht den einen Style vorgibt, der der richtige ist.

Im Radsport sind die modischeren Labels eher hochpreisig positioniert. Wo steht Ryzon?
Wir haben unser Angebot im Grunde wie eine Pyramide aufgebaut. Denn natürlich bedienen wir den Pro-Sportler, da kommen wir her. Wir sind gerne im Windkanal, wollen ganz oben stehen. Und das zeigt sich bei den Top-Produkten dann auch preislich. Grundsätzlich haben wir drei Linien, die eine gewisse Bandbreite abdecken und dann über die Essentials Line auch Hobbysportler ansprechen. Dadurch dass Bekleidung von uns ausschließlich in Europa gefertigt wird, können und wollen wir aber auch nicht in den Preiswettbewerb einsteigen.

Kooperations-Kollektion von Ryzon und Bookman: Here to shine ist das Motto.

Wo und wie kaufen die Kundinnen und Kunden eigentlich bei Ryzon?
Rund 90% unserer Umsätze erzielen wir digital, die anderen 10% über Offline-Aktivitäten wie Pop-ups und unsere zwei eigenen Stores in München und Köln. Interessanter Punkt: Nach der Shop-Eröffnung in München haben wir die Region genau analysiert. Mit dem Ergebnis, dass Online-Umsatz nicht Richtung Offline gewandert ist, sondern die Region durch den Store in Summe stärker gewachsen ist als der Rest Deutschlands. Auffällig ist auch, dass wir eine relativ lange Customer Journey haben. Das fragen wir regelmäßig beim Checkout mit einem Umfrage-Tool ab. Sie dauert im Schnitt länger als drei Monate. Wir sind also keine klassiche Hype-Brand, die durch einmalige Aktionen krasse Peaks erzielt, sondern wachsen kontinuierlich und langfristig. Und wir wissen, dass Kunden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wieder kaufen. Dabei haben wir eine stark steigene Anzahl unserer treuesten Kunden, die mehr als drei Mal gekauft haben. Außerdem steigt unser AOV seit Gründung von Jahr zu Jahr. Das interpretieren wir als wachsendes Vertrauen und Ergebnis echter Beziehungen. Was auch dafür spricht: In diesem Jahr konnten wir schon über 60% wachsen, haben aber das Budget für Push-Maßnahmen im gleichen Zeitraum nur um 15 bis 20% erhöht.

Ryzon kommt vom Triathlon. Tri-Suits und Co. standen einst für den Löwenanteil des Geschäfts. Wie sieht es aktuell aus?
Dadurch, dass man beim Triathlon ja alle drei Sportarten ausübt, hatten wir schon immer Läufer, Radfahrer und Schwimmer. Der Radsport-Bereich hat in Sachen Umsatz aber jetzt erstmals die Kategorie Triathlon überholt. Und Running entwickelt sich auch sehr dynamisch. Hier passiert gerade wirklich viel, ähnlich wie das Graveln beim Rennrad so ist es jetzt mit Trailrunning beim Laufen. Hier sehen wir für uns extrem viel Potenzial, genauso wie aber auch im Triathlon und beim Radsport.