Russland: Das System Putin nachhaltig zehren

Gastautor Stefan Meister ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und Donald Trumps
Rückkehr ins Weiße Hause haben die europäische Sicherheit fundamental
verändert. Nicht nur, dass Krieg zurück ist in Europa und die nach dem Ende des
Kalten Krieges vereinbarte Sicherheitsordnung endet. Mit Donald Trumps erneutem
Amtsantritt wird die US-Rolle im transatlantischen Bündnis infrage gestellt,
womit die Beistandspflicht der Nato nicht mehr verlässlich gilt. Es ist überfällig, dass die europäischen
Staaten unter dem Druck der Trump-Regierung in ihre eigene Verteidigung stark
investieren und die Unterstützung der Ukraine priorisieren.

Was aber fehlt, ist eine grundlegende Debatte über eine neue
europäische Russlandstrategie. Denn: Ohne einen tiefgehenden Regimewechsel in
Russland wird es keinen Frieden in Europa geben. Das Land ist unter Präsident
Wladimir Putin eine revisionistische Macht, die aufgrund innerer Schwäche und
fehlender Entwicklungsperspektive durch Krieg und Abgrenzung Machterhalt
betreibt. Dabei ist es gerade die Verletzlichkeit des Regimes, die zu
Aggression nach innen und außen führt. Es ist das Syndrom einer absteigenden
Macht, die mit militärischer Macht versucht, das Ende des Imperiums
aufzuhalten.

Deutschland und Europa brauchen eine mittel- bis
langfristige Strategie für einen politischen Wandel in Russland, denn
Abschreckung und Isolation sind keine Strategie für Veränderung, sie
verfestigen eher Strukturen. Frieden in der Ukraine kann nur über einen
politischen Wandel in Russland erfolgen. Ein Deal Trumps mit Putin kann deshalb
eine Pause im Krieg bringen, aber keinen nachhaltigen Frieden.

Ablenkung durch Krieg

Putins Angriffskrieg seit Februar 2022 dient dazu, Russlands
Rolle in der europäischen Sicherheit neu zu definieren. Dem voraus gegangen war
eine Legitimitätskrise des Systems Putin im Kontext der Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen 2011/12. Massendemonstrationen gegen die Rückkehr Putins
in großen russischen Städten zeigten den Wertewandel in der russischen
Gesellschaft. Teile der Gesellschaft forderten politische Beteiligung und echte
Wahlen.

Für Putin war das der Moment, wo dieser Teil der Bevölkerung
den Gesellschaftsvertrag mit politischer Inaktivität als Gegenleistung für
steigenden Wohlstand aufkündigte. Mit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt 2012
brauchte das Regime daher eine neue Legitimitätsressource. Der Konflikt mit dem
Westen, allen voran den USA, wurde so zum zentralen Bestandteil einer
Ideologie, die systematisch aufgebaut wurde. Russlands Führung erklärte den
(hybriden) Krieg gegen den Westen zum zentralen Element seiner Überlebensstrategie.

Die Annexion der Krim 2014 war daher ein wichtiges Element
zur Mobilisierung der Gesellschaft für eine imperiale, rückwärtsgewandte
Politik. Das Regime konnte einen schnellen Erfolg verbuchen, den es historisch
begründete, und die Kosten dafür waren gering. Doch die Euphorie hielt nicht
lange an, das Fehlen einer Entwicklungsperspektive und der Wohlstandsverlust
wurden damit nicht aufgehalten. Deshalb ließ Putin 2022 auch die gesamte
Ukraine angreifen, um von den Defiziten der eigenen Politik abzulenken. Die
europäische und vor allem deutsche Appeasement-Politik hatte ihn darin nur
bestärkt. Die Ignoranz des aggressiven Charakters des Regimes, das versucht,
Europa zu spalten und die liberale Demokratie dauerhaft zu schwächen, wurde von
Teilen der europäischen Politik ignoriert.

Viel gravierender war aber, dass man sich durch vermeintlich
billiges russisches Gas hat kaufen lassen und damit in Russland den Eindruck
bestätigte, für Geld tolerieren Deutschland und Europa fast alles. Dabei kam
russisches Gas auch mit einem politischen Preis: die Korrumpierung der
europäischen Politik- und Wirtschaftseliten.