Rücktritte wohnhaft bei den Grünen: Jetzt führt Habeck die Regie
Nach fünf Monaten voller Niederlagen und einem dramatischen Niedergang in den Umfragen hat die Führung der Grünen sich zum Rücktritt entschlossen. Omid Nouripour und Ricarda Lang, erst vor zweieinhalb Jahren unter Jubelstürmen von den Grünen-Delegierten in die Ämter gewählt, erklärten am Mittwoch ihren Rücktritt. Und mit ihnen verlieren die Grünen auch die Funktionsspitzen aus Geschäftsführung und Schatzmeisterei, sowie zwei weithin unbekannten Stellvertreter. Die Partei sei, so erklärte Nouripour in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz, „in der tiefsten Krise seit einer Dekade“. Es sei notwendig und möglich, diese Krise zu überwinden, glaubt Nouripour.
Das glauben aber wohl vor allem diejenigen, die zu einer Neuaufstellung gedrängt haben, vor allem wohl derjenige, von dem vermutet wird, eine treibende Kraft zu sein: Robert Habeck, Wirtschaftsminister und informeller Kanzler- oder Spitzenkandidat der Grünen für die nächste Bundestagswahl.
Man habe nach der Landtagswahl in Brandenburg „intensiv darüber beraten, welche Veränderungen es braucht und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Neustart braucht“, sagte Nouripour vor der Presse. Lang und Nouripour hatten die Parteiführung nach der Bundestagswahl 2021 von Annalena Baerbock und Habeck übernommen. Habeck lobte den Rücktritt der beiden, der Schritt zeuge von „großer Stärke und Weitsicht“. Beide machten den „Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang“, sagte er. „Das ist nicht selbstverständlich, es ist ein großer Dienst an der Partei.“ Aber wie kam es zu diesem großen Dienst?
Am Mittwoch gingen die Erzählungen dazu bei den Grünen durcheinander, widersprachen sich manchmal, eingeweiht waren außerhalb des Parteivorstands selbst ohnehin nur wenige – vor allem waren es die Mitglieder des eigentlichen Machtzentrums der Partei, der Sechser-Runde. Neben den beiden Vorsitzenden sind das die beiden Fraktionsvorsitzenden, die Außenministerin Baerbock und Habeck.
Nouripour sah Ende seiner Möglichkeiten erreicht
Am Anfang der Erzählung stehen die Zahlen der vergangenen Monate: Bei der Europawahl im Juni stürzte die Partei um neun Prozentpunkte auf 11,8 Prozent ab. In Thüringen erhielt sie 3,2 Prozent und flog aus dem Landtag. In Sachsen liefen den Grünen die Wähler davon, die Partei bliebt nur knapp im Landtag. Und dann kam die Brandenburg-Wahl: eine Niederlage auf ganzer Linie, raus aus der Landesregierung, raus aus dem Landtag. Was die Grünen unterscheide, heißt es aus der Partei: Dort habe man noch die Kraft und das Personal Konsequenzen zu ziehen. Anders als SPD und FDP, die ähnlich schwere oder noch schwerere Niederlagen erlitten hatten. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich am Mittwoch geradezu beeilte mitzuteilen, das alles habe nichts mit der Regierungskoalition zu tun, sprach für sich.
Für Nouripour zumindest schien mit der Brandenburg-Wahl auch persönlich ein Ende seiner Möglichkeiten erreicht, sich das Regieren noch schönzureden. „Ich würde niemandem raten, in diese Koalition noch viele Emotionen zu stecken“, sagte er am Montag in Berlin. Der „eingefahrene Stil“ der Berliner Koalitionspolitiker habe im Wahlkampf geschadet. Und weiter: „Der große Feng Shui-Moment wird nicht mehr kommen.“ Man mache die Arbeit weiter, „aber das ist es dann auch.“ Er würde „jetzt nicht zwingend mein Herz an diese Konstellation hängen.“ So viel Pessimismus schien wohl insbesondere Habeck zu viel. Wie soll man so in einen Wahlkampf gehen? So wurde Druck aufgebaut.
Diesen Druck bekam Nouripour auch in einer anderen Runde am Montag zu spüren. Nach Berichten von Teilnehmern gab es da eine bemerkenswerte Schaltkonferenz der Realos, denen er angehört. Es waren aus allen Landesverbänden etwa 300 Teilnehmer zugeschaltet. Auch die Diskussion kreiste um die Analyse des jüngsten Wahlergebnisses in Brandenburg und den aus Sicht fast aller Teilnehmer desaströsen Auftritt von Bundesgeschäftsführerin Emily Büning in der Berliner Runde im Fernsehen. Dort hatte Büning alle Probleme der Ampel-Regierung nur als Kommunikationsproblem dargestellt. Büning gehört zum Lager der Parteilinken, beliebt war sie bei den Realos nie. Ihr wirft man vor, in Brandenburg den Wahlkampf nicht auf den Potsdamer Wahlkreis fokussiert zu haben, mit dem man nach dem dortigen Wahlrecht per Direktmandat den Einzug in den Landtag hätte schaffen können. Viel Kritik gab es auch an Lang, ihre Kommentierung der Wahlniederlage empfanden viele als zu selbstgerecht und zu wenig von Demut geprägt.
Namen für die Nachfolge kursiert schon
In der Diskussion, moderiert von Heiko Knopf, einem der beiden weithin unbekannten stellvertretenden Parteivorsitzenden, hieß es, man müsse jetzt Habeck und Baerbock nach vorn stellen. Zur Überraschung einiger Teilnehmer seien dann unmissverständliche Rücktrittsforderungen an den kompletten Bundesvorstand vorgebracht worden. Es habe in der Diskussion etwa 30 Wortmeldungen gegeben, zehn bis zwölf hätten einen Neubeginn nahe gelegt, fünf bis sechs seien sehr deutlich geworden. Auch Franziska Brantner soll an der Schalte teilgenommen haben. Sie ist Parlamentarische Staatssekretärin in Habecks Ministerium, sie sollte für ihn als Wahlkampfmanagerin eingesetzt werden – und nach dem Rücktritt des Bundesvorstands kursierte am Mittwoch sogleich ihr Name als eine Nachfolgerin an der Parteispitze.
Zu Personalfragen äußerte sich Brantner nach der Darstellung von Teilnehmern zunächst nicht, aber sie soll immer wieder zu inhaltlichen Fragen Stellung genommen haben. Besonders seitdem sich die Krise der Grünen in der Ampel-Regierung verschärft hat, heißt es in der Partei, habe sich die frühere Europaabgeordnete zu einer Art „spiritual animal“ der Partei entwickelt – zur Hoffnungsträgerin der jüngeren Realos.
Am Ende der ausgiebigen Diskussion soll Nouripour dann einen Ausblick auf die nächsten Wochen gegeben haben: Er machte Ausführungen zur Neuorganisation der Bundesgeschäftsstelle, zu den Problemen mit der FDP und zum Haushaltsstreit. Am Ende soll er auf die Rücktrittsforderungen eingegangen sein: Er habe sich schon selbst gefragt, welche Verantwortung er an den Niederlagen habe. Wenn „jemand den Omid weghaben wolle“, dann könne er nur antworten, dass er mit Lang noch die „Kraft habe weiter zu machen.“ Die Teilnehmer bekamen den Eindruck, der Vorsitzende sei nicht bereit den Weg freizumachen.
Habeck dürfte erleichtert sein
Nach dem Realo-Treffen am Montag solle es dann vertrauliche Gespräche zwischen Habeck und den beiden Parteivorsitzenden gegeben haben. Auch Brantner soll involviert gewesen sein. Nach Informationen der F.A.Z. soll Habeck intern deutlich gemacht haben, dass er für den Wahlkampf die bestmögliche Aufstellung der Partei brauche. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die aber bei einigen Mitgliedern des linken Flügels Herzrasen auslöst. In Habecks Umfeld weist man so eine Lesart des Drängens zurück. Es wird hingegen auf eine selbstständige Entscheidung der beiden Vorsitzenden verwiesen, die Respekt verdiene.
Sicher ist, dass Nouripour und Lang am Dienstag viele Gespräche führten, immer wieder auch unter vier Augen. Als die Entscheidung gefallen war, besprachen sie sich mit dem Bundesvorstand, und riefen dann einzeln die Mitglieder der Sechserrunde an. Baerbock war da schon bei den Vereinten Nationen in New York. In den vergangenen Wochen waren Habeck und sie nach den Spannungen der vergangenen Zeit wieder deutlich enger zusammengerückt, auch in der Vorbereitung des Wahlkampfs. Am Mittwoch sagte sie dann, der Entscheidung von Nouripour und Lang „gebührt unendlicher Respekt“.
Mit dem Wechsel an der Parteispitze erleichtern die Grünen dem voraussichtlichen Spitzenkandidaten nicht nur den Wahlkampf, sie vermeiden auch eine hochemotionale Richtungsdebatte auf dem Bundesparteitag Mitte November in Wiesbaden. Denn durch zahlreiche Anträge von der Parteibasis hatte sich schon jetzt eine Debatte nach dem altbewährten Krisenbewältigungsmuster der Grünen abgezeichnet: Wir können nur überleben, wenn wir wahrnehmbar links sind. Eine These, die die Realos in der Regel in Panik versetzt.
Auf dem Parteitag geht Habeck ins Risiko
Nouripour fasste diese Debatten zusammen, indem er sagte, es sei „Zeit, die Geschicke dieser großartigen Partei in neue Hände zu legen“. Lang erklärte, es brauche „neue Gesichter, um die Partei aus der Krise zu führen“. Jetzt sei „nicht die Zeit, um an Stühlen zu kleben“. Die personelle Neuaufstellung solle „ein Baustein für die strategische Neuaufstellung der Partei“ werden, um bei der kommenden Bundestagswahl zu bestehen. Was damit gemeint sein könnte, bleib zunächst rätselhaft. Lang und Nouripour erklärten, ebenso wie die anderen vier weiteren Mitglieder des Grünen-Bundesvorstands, sie würden bis zu den Vorstandswahlen im November noch geschäftsführend ihre Arbeit zu erledigen. Wie das gehen soll, scheint auch nicht abgesprochen. Werden Lang und Nouripour bei den Haushaltsverhandlungen noch eine Rolle spielen, bei Koalitionsgesprächen überhaupt noch dabei sein?
Für den Vorsitz kursierte neben dem Namen von Brantner als Vertreterin des Realo-Flügels vor allem noch jener von Felix Banaszak als Vertreter der Linken. Die 45 Jahre alte Politikwissenschaftlerin Brantner gilt als ehrgeizig und sendungsbewusst. Und sie hat wohl auch das Vertrauen von Habeck. Der 34 Jahre alte Banaszak kommt aus Nordrhein-Westfalen, er stand mal an der Spitze der Grünen Jugend und führte einst auch erfolgreich den Landesverband – zusammen mit Mona Neubaur, die als enge Vertraute von Habeck gilt. Allerdings kursierten am Mittwoch noch weitere Namen, und vor allem die Einschätzung aus der Partei: Noch ist gar nichts entschieden. Gewählt wird beim Parteitag in Wiesbaden.
Auf diesem Parteitag will aber auch Habeck selbst ins Risiko gehen – und die Partei hinter sich und seine Kandidatur bringen. Am Mittwoch sagte er, die Wahlniederlagen seien „unstrittig vom Bundestrend beeinflusst“. Und: „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich.“ Er wolle sich dem stellen und auf dem Parteitag „eine offene Debatte zu einer möglichen Kandidatur und ein ehrliches Votum in geheimer Wahl“. Baerbock schickte ihm aus New York die volle Unterstützung hinterher: „Auf seinem Weg und dem kommenden Parteitag werde ich ihn mit aller Kraft und ganzem Einsatz unterstützen“, sagte sie. „Gemeinsam, und nur gemeinsam, können wir Grüne eine starke Stimme in Deutschland und für Deutschland in Europa und der Welt sein.“
Habeck machte klar, wer nun die Regie führt: „Der Parteitag im November wird jetzt der Ort werden, wo sich die Grünen neu sortieren und neu aufstellen werden, um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen.“ Umfragen sehen die Grünen nur noch bei zehn bis elf Prozent.
Source: faz.net