Rolle welcher Kirche: Julia Klöckner stößt mit Kirchenkritik hinauf Widerstand

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat mit kritischen Aussagen zu politischen Äußerungen von Kirchen bei SPD und Grünen, aber auch aus den Reihen ihrer eigenen Partei Widerspruch geweckt. Klöckner hatte in der Bild am Sonntag (BamS) kritisiert, dass sich Kirchen auch zu tagespolitischen Themen äußern. „Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer“, sagte die Politikerin.

Dem widersprach ihr Parteifreund Armin Laschet. „Kirche war immer politisch“, sagte der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und frühere Kanzlerkandidat der Union. „Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt verändern soll (…) dann ist das immer eine politische Botschaft.“ Die Kirche werde mit ihrer Botschaft immer „ein Ärgernis sein, und das ist auch gut so.“ Er wünsche sich „eine lebendige Kirche, die ihren Beitrag auch leistet zum Zusammenhalt der Gesellschaft.“

Der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, kritisierte Klöckner grundsätzlich dafür, der Kirche Vorgaben machen zu wollen: „Ich finde es maximal irritierend, dass wir meinen, wir hätten das Recht, die Kirchen zurechtzuweisen und in ihrer Kommunikation auf ihre vermeintlichen Kernaufgaben zurückzudrängen, wie Julia Klöckner das jetzt getan hat“, sagte er der taz. Die Kirche habe bei „das Recht und auch die Pflicht, sich zu Wort zu melden.“

Klöckner fordert von Kirchen Sinnstiftung statt Tagespolitik

Ähnlich äußerte sich auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: „Christinnen und Christen haben sich immer politisch eingemischt. Und das ist gut so“, sagte er der Rheinischen Post. Es irritiere ihn, „wenn Christinnen und Christen heute fordern, Kirche solle sich aus politischen Debatten heraushalten.“ Mit Blick auf die Union sagte Miersch: „Das C im Parteinamen verträgt nicht die Aufforderung an Geistliche, keine Stellung zu beziehen und sich auf Seelsorge zu beschränken.“

Mit Letzterem ging Miersch auf Klöckners Forderung ein, Kirchen sollten sich mehr darauf besinnen, Gläubigen spirituellen Halt zu geben: Von der Kirche „erwartet man sich diese sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität“, sagte die Bundestagspräsidentin, die unter anderem Theologie studiert hatte. 

Wenn die Kirche nicht diese Themen, sondern tagespolitische Debatten im Blick habe, dann werde sie „leider auch austauschbar.“ Als Beispiel nannte Klöckner die Corona-Pandemie, in der die Kirche „vielleicht noch einen Tick mehr an Stabilität, mehr an Sinnstiftung und Seelenbegleitung“ hätte geben können. Dass immer mehr Menschen aus den Kirchen austreten würden, liege auch daran, dass die Kirche „nicht immer die Antworten gibt, die die Menschen gerade brauchen.“  

Grüne werfen Klöckner Instrumentalisierung der Kirche vor

Eine politische Instrumentalisierung der Kirche warf Klöckner der Grünenabgeordnete Andreas Audretsch vor. Wenn sie ins konservative Weltbild passten, würden politische Stellungnahmen der Kirchen geduldet. Doch „in dem Moment, wo es darum geht, Kernfragen auch des Christentums, nämlich die Bewahrung der Schöpfung, den Klimaschutz, den Umweltschutz in den Mittelpunkt zu stellen oder die Gleichheit aller Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, da hat sie Abwehrreaktionen“, sagte Audretsch den Sendern RTL und ntv.

Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sprach sich für politisch aktive Kirchen aus. „Warum sollten sich die Kirchen nicht äußern zu Ungerechtigkeiten in der Welt, zu Humanität und Menschlichkeit, zum sozialen Zusammenhalt und zur Nächstenliebe?“, sagte Haßelmann dem Tagesspiegel. „Das sind doch existenzielle Fragen des Lebens.“

Unterstützung für Klöckner kam hingegen von Thorsten Frei, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion. Die Kritik der Bundestagspräsidentin sei „absolut zutreffend“, sagte er. Je konkreter sich die Kirchen zu tagespolitischen Themen positionierten, desto mehr würden sie zu politischen Akteuren. Als solche müssten sie in einer demokratischen Gesellschaft auch mit Widerspruch rechnen.

Kirche als „weltweit größte Nichtregierungsorganisation“

Klöckners Kirchenkritik ist nicht ganz neu: Bereits Anfang April sagte die ehemalige Angehörige des Zentralkomitees der Katholiken im katholischen Domradio, sie halte es „nicht immer für sinnvoll, wenn Kirchen glauben, eine weitere NGO (Nichtregierungsorganisation) zu sein und sich zu Tagespolitik äußern“. Stattdessen wünsche sie sich eine Kirche, die etwa in bioethischen Fragen Orientierung gibt, „wenn es um das ungeborene Leben geht oder das Leben, das den letzten Atemzug macht.“

Womöglich in Anspielung auf diese ältere Äußerung Klöckners widersprach ihr nun der Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion, Lars Castellucci: Die Kirche sei die „weltweit größte Nichtregierungsorganisation“, sagte er dem Spiegel. Dies habe etwa der verstorbene Papst Franziskus mit seinem politischen Engagement deutlich gemacht.