Roger Waters: Drohungen ohne Not

Jetzt
also wieder einmal Roger Waters, bald 80-jähriger Wüterich, Ex-Mitglied von Pink Floyd und
Komponist subtiler Welthits wie Another Brick in the Wall. Die Schule
erscheint darin als Gedankenpolizei, “We don’t need no education
lautet die berühmteste Zeile des Songs. Ja, besser ist es wohl ohne Bildung,
wenn man den weltanschaulichen Windungen des Musikers folgen will. Aktuell
steht er im Zentrum einer Antisemitismusdebatte (es ist nicht seine erste), die den deutschen
Kulturbetrieb ergriffen hat (es ist auch nicht dessen erste). Weil Waters sich oft kritisch über die
Siedlungspolitik von Israel äußert, weil er Israel einen Apartheidstaat nennt
(wie etwa auch Amnesty International), weil er andere Musiker dazu drängt, nicht
in Israel aufzutreten – und weil auch handfeste Entgleisungen zu seinem Repertoire gehören, ein Davidstern etwa, den er bei Konzerten einst auf ein fliegendes Gummischwein drucken ließ.

Es
ist also eine Menge zusammengekommen vor den Deutschlandkonzerten, die Waters
im Mai spielen will. In Frankfurt, Köln und München
drohen, fordern, überlegen Politik und/oder Behörden, diese Konzerte zu verbieten. Doch dafür braucht
es in Deutschland aus juristischer Sicht eigentlich mehr, als sich Waters hat zuschulden
kommen lassen, etwa die Verharmlosung des Holocausts oder einen Aufruf zu Gewalt.
Die Städte drohen also ohne rechtliche Not. Und machen dabei einen großen
Fehler.

Millionen Menschen stehen noch immer auf Waters’ zackigen Ton. Viele von ihnen fanden einst die Schule schon blöd, dann die Regierung. Waters bedient solche gleichzeitig pubertären wie altersstarrsinnigen Ressentiments gegenüber jeglicher Autorität zuverlässig bis an den Rand von Verschwörungserzählungen. Verbotsandrohungen, zumal so kurz vor den
Konzertdaten, sind trotzdem ein schlechtes Zeichen – für die Diskussionskultur
und auch für die freiheitlichen Werte, die wieder so forsch durch öffentliche
Debatten geistern, seit andere sie mutmaßlich für uns an der Front
verteidigen.

Im
Fall Waters spielen Details keine Rolle mehr. Längst steht die größtmögliche Frage
im Raum: ob denn wohl der Künstler mit seinen Auslassungen das Existenzrecht Israels
anzweifle. Die Antwort ist in den zugehörigen Debatten eigentlich immer die
gleiche, egal ob es um Waters geht, um die documenta oder um Berliner Kunsthäuser
mit gerade erst neu eingesetzter Intendanz. Kein Künstler, keine Kuratorin,
kein Professor, keine Professorin zweifelt das Existenzrecht Israels an. Noch
nie ist mir im hiesigen Kulturbetrieb eine solche oder auch nur damit verwandte
Position begegnet.

Es
wurden allerdings schon Intendantinnen von ihren Posten gedrängt, weil sie
Redner verpflichtet hatten, die sich kritisch zu Israel äußerten
(Stichworte: Stefanie Carp, Ruhrtriennale, Achille Mbembe). Im Herbst 2020, nach der Mbembe-Debatte, die ihren
Namen kaum verdient hatte, folgte die Ausarbeitung einer BDS-Resolution des
Bundestags, die es öffentlichen Kultureinrichtungen in Deutschland verbieten
möchte, Veranstaltungen mit BDS-Sympathisanten abzuhalten. Zur Erinnerung: Die
vor allem in England starke Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions ruft
Künstlerinnen dazu auf – und setzt einige unangenehm unter Druck –, in Anbetracht
der Situation der Palästinenser in den besetzen Gebieten Veranstaltungen zu
boykottieren, die von der israelischen Regierung unterstützt werden.

Viele deutsche
Kulturinstitutionen und Intellektuelle, auch jüdische, schlossen sich nach der Resolution
unter dem am Grundgesetz angelehnten Begriff Initiative GG 5.3.
Weltoffenheit
zusammen. Die Initiative positioniert sich einerseits gegen die
Boykottaufrufe der BDS-Bewegung, andererseits gegen die praxisferne und
juristisch fragwürdige Resolution des Bundestags. Seither eskaliert jede
Debatte noch schneller als davor. Die Reaktionen auf Waters in Frankfurt,
Köln, München und anderswo stellen mehr als 100.000 Waters- und Pink-Floyd-Fans unter Verdacht, potenzielle
Antisemiten zu sein. Außerdem missachten sie juristische Hinweise darauf, dass
der Tatbestand der Volksverhetzung bei Waters nicht erfüllt sei.

Es
könnte sich in diesem Zusammenhang nicht nur für Politiker lohnen, jenes Gutachten
zu lesen, das der Verfassungsrechtler Christoph Möllers im Auftrag der
Kulturstaatsministerin Claudia Roth erstellt hat und das seit Januar öffentlich
einsehbar ist
. Darin geht es zwar vor allem darum, wie sich öffentliche
Kulturinstitutionen in Zukunft besser gegen Skandale und Skandalisierungen wie
bei der letzten documenta wappnen können. Doch erstens ist der
Veranstaltungsort von Waters’ Konzert in München teilweise in öffentlicher
Hand. Und zweitens lernt man bei Möllers, dass das deutsche Recht viel offener
ist, als seine politischen Vertreter offenbar ahnen: “Die Freiheit der Kunst kann auch in Fällen
rassistischer oder antisemitischer Tendenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor
staatlichen Zugriffen schützen.” Mit Blick auf die BDS-Resolution des Bundestags
heißt es weiter, dass deren “Anwendung nach der übereinstimmenden
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Instanzgerichte gegen die
Meinungsfreiheit” verstoße.

Dass
die Bundesregierung ein Gutachten veröffentlicht, in dem ihre eigene Politik
juristisch infrage gestellt wird, ist ein gutes Zeichen für den freiheitlichen
Grund dieser Politik und ein starkes Argument gegen die These des verengten Meinungskorridors.
Man müsste das Argument jetzt nur noch in die Praxis umsetzen. In München,
Frankfurt, Köln, Hamburg und überall, wo Roger Waters die Arenen füllen will.
Bis er tatsächlich eine rote Linie überschreitet.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes stand, dass die Konzerte von Roger Waters in Frankfurt am Main und Köln verboten worden seien, während in München über ein solches Verbot noch nachgedacht werde. Das trifft für Frankfurt und Köln nicht zu. Wir stellen hiermit richtig: Die Konzerte in Köln und Frankfurt sind nicht verboten worden, Karten dafür sind weiterhin im Handel erhältlich. Wir bitten um Entschuldigung für diesen Fehler und haben den Text entsprechend geändert.