Rezession: Die unsoziale Rezession
Die Aufregung über die für das Winterhalbjahr
bekannt gegebene Rezession ist groß. Doch sie ist fehlgeleitet. Denn die Zahlen
sind zum einen nicht überraschend und zum anderen deutlich weniger schlimm als noch vor sechs Monaten
befürchtet. Das Problem dieser Rezession ist ein anderes: Sie ist höchst
unsozial, weil sie vor allem Menschen mit geringen Einkommen stark trifft und
die Gesellschaft weiter spaltet. Doch das findet im öffentlichen Diskurs kaum Beachtung.
Die Bedeutung der Rezession, durch die vom Statistischen
Bundesamt von 0,0 auf minus 0,3 Prozent revidierte Wachstumszahl des
Bruttoinlandsprodukts für das erste Quartal 2023, ist viel geringer, als dies
in der Öffentlichkeit erscheint. Solche statistischen Revisionen sind nicht
unüblich und es kann gut sein, dass die Zahlen in ein oder zwei Jahren erneut revidiert
werden, sodass sie sich möglicherweise ins Positive drehen. Tatsächlich handelt es sich eher um eine technische Rezession – und sie fällt im Vergleich zur Vergangenheit recht mild aus. Zudem gibt es zwei
positive Aspekte, die man beachten muss: Zum einen gingen die meisten Prognosen im Sommer 2022 noch von einer tiefen
Rezession von zwischen minus vier Prozent und minus sechs Prozent aus als Resultat
des Lieferstopps von Gas aus Russland. Im Vergleich dazu ist
die leichte Rezession im Winterhalbjahr ein großer Erfolg, der vor allem auf
die massiven Wirtschaftshilfen der Bundesregierung und die Gewährleistung der
Energiesicherheit zurückzuführen ist. Zum anderen konnte außerdem ein Anstieg der
Arbeitslosigkeit bisher verhindert werden.
Dennoch ist auch eine milde Rezession nichts Gutes – der negative Aspekt ist, dass
vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen massive Einbußen in
ihrem Lebensstandard erfahren müssen. Die Inflation betrug 2022 im Durchschnitt
knapp sieben Prozent und für viele Menschen mit geringen Einkommen nicht selten
das Doppelte davon, weil sie einen viel höheren Anteil ihres monatlichen
Einkommens für die Dinge ausgeben mussten, die besonders teuer geworden sind wie Energie und Lebensmittel. Die Löhne und Renten konnten hingegen kaum Schritt halten – sie sind im Durchschnitt wenig mehr als vier Prozent gestiegen.
Somit mussten vor allem Menschen mit geringen Einkommen starke Einbußen in ihrer
Kaufkraft erfahren, zumal 40 Prozent der Menschen in Deutschland praktisch
keine Ersparnisse haben, auf die sie zurückgreifen können, um die höheren
Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Die Folgen sind verheerend: Die Tafeln berichten von mittlerweile zwei
Millionen regelmäßigen Besucherinnen und Besuchern. Immer mehr Menschen müssen sich
verschulden. Und dies spiegelt sich auch in den Konjunkturzahlen wider, denn
es ist vor allem der ungewöhnlich schwache private Konsum, der die Rezession erklärt.
Den Lebensstandard des Vorkrisenniveaus werden viele lange nicht mehr erreichen
Das noch größere Problem ist jedoch ein anderes: Die
nächsten zwölf Monate dürften für viele Menschen, vor allem solche mit wenig
Einkommen und ohne Rücklagen, nochmals härter werden. Denn die Inflation wird
wohl mit voraussichtlich sechs Prozent in diesem Jahr wiederum deutlich über dem
Anstieg der Löhne und Renten liegen. Somit werden viele Menschen den Gürtel
nochmals enger schnallen müssen. Dies bedeutet konkret: weniger Geld für
Lebensmittel, für Ausflüge mit den Kindern, für Kleidung und für größere
Anschaffungen wie eine neue Waschmaschine oder ein Sofa.
Hinzu kommen die gestiegenen Zinsen, die nicht
nur Konsumentenkredite, sondern auch Kredite für Unternehmen deutlich teurer
machen. Dies schwächt die Investitionen der Unternehmen, was sich wiederum
negativ auf die Löhne der Beschäftigten und deren Kaufkraft auswirkt. Auch der
Ausblick für die Jahre 2024 und 2025 ist alles andere als rosig, da wir uns auf
absehbare Zeit mit einem schwachen Wachstum werden abfinden müssen. Und eine
Eskalation des Kriegs in der Ukraine, Konflikte mit China oder Probleme im
Bankensektor könnten die Wirtschaft erneut in eine Rezession treiben.
All dies bedeutet, dass viele Menschen wohl noch
fünf Jahre oder mehr werden warten müssen, bis die Kaufkraft ihrer Löhne und
damit ihr Lebensstandard wieder auf Vorkrisenniveau zurückgekehrt sein wird. Diese
Krise zerstört viel Wohlstand und sie trifft vor allem die verletzlichsten Menschen,
Menschen mit geringen Einkommen und mit wenig Vorsorge, besonders hart.
Daher sollte die Bundesregierung in ihrer
Budgetplanungen für den Bundeshaushalt 2024 ihr Augenmerk viel stärker als
bisher auf soziale Ausgewogenheit und Unterstützung von Menschen mit geringen
Einkommen richten. Sie darf nicht wieder den Fehler von 2022 wiederholen und
viel Geld per Gießkanne ausschütten und beispielsweise 15 Milliarden Euro pro
Jahr durch den Ausgleich der kalten Progression primär an Personen mit Spitzenverdienst
verteilen. Direkte Transferzahlungen an Menschen mit geringen Einkommen sind
das beste Instrument, um schnell und effektiv zu helfen. Daneben sind Erhöhungen
des Mindestlohns und der Rentenzahlungen wichtige Elemente, um zielgenau und
vor allem dauerhaft Menschen gegen Inflation und Stagnation zu schützen.
Zudem sollte die Bundesregierung stärkere Anreize
für Investitionen von Unternehmen setzen, sodass diese nicht nur gut durch die
Krise kommen, sondern im globalen Wettbewerb bestehen und die wirtschaftliche,
ökologische und digitale Transformation erfolgreich bewerkstelligen können. Außerdem benötigen wir auch eine kluge, expansive Finanzpolitik, die auf sozialen Ausgleich
und die Herausforderungen der Wirtschaft in der Transformation ausgerichtet
ist und die durch stärkere öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur
und Innovation auch eine schnellere wirtschaftliche Erholung möglich
macht.